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Insekten-Food: Sechs Beine für einen Ökoburger

Lebensmittel aus Krabbeltieren sind gut für die Umwelt und dazu noch sehr nährstoffreich. Längst kann man vielerlei Insektendelikatessen im Laden kaufen. Doch ist das eine gute Idee? Überraschend viele Fragen sind noch offen.
Ein Burger und eine Porzellanschale mit braun gerösteten Seidenraupenpuppen.

Insektenburger haben es in die Kühltruhen von Supermärkten geschafft, Mannheims Studierende essen bald Nudeln aus zermahlenen Grillen in der Mensa. Proteinpulver für Sportler gibt es mit Buffalowürmern – Geschmacksrichtung: Vanille, Kokos und Kakao. Lebensmittel aus Insekten sind keine Sciencefiction mehr, sie sind auf unserem Teller, und das Spektrum reicht von alltäglich bis exotisch. Selbst bei IKEA haben Ernährungswissenschaftler angefangen, an Kerbtier-Köttbullar zu experimentieren. In Sachen Insekten scheinen der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Doch sind das Ausnahmeerscheinungen, oder steckt dahinter ein echter Trend? Nicht zuletzt: Können uns die Delikatessen aus Krabbeltieren krank machen?

Die Fantasie stößt jedenfalls sehr schnell an Grenzen, wenn man diejenigen fragt, die all das auch essen sollen. Die meisten Menschen in Deutschland stehen dem so genannten Insekten-Food eher kritisch gegenüber, wie eine aktuell laufende Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey zeigt. Auf die Frage »Könnten Sie sich grundsätzlich vorstellen, Fleischersatzprodukte aus Insekten zu essen?« antworten etwa 70 Prozent der bislang 3016 Befragten mit einem klaren Nein, knapp jeder Zehnte ist unentschieden, und am Ende sprach sich gerade mal ein Fünftel der Befragten für den Verzehr aus.

Für Daniel Anthes, Nachhaltigkeitsexperte vom Zukunftsinstitut in Frankfurt am Main, ist das nachvollziehbar: »Anders als in China, Thailand oder Mexiko, wo das Essen von Insekten Alltag ist, gelten Würmer, Larven und Fliegen in Deutschland vorrangig als Schädlinge.« Doch je größer das Angebot an Insekten-Food wird, desto mehr beobachtet der Trendforscher neben Ekel noch etwas anderes – und zwar Neugier.

Neben der Freude am Experimentieren sprechen auch andere Gründe für den Verzehr der Kleintiere. Da ist einmal ihre gute Nährstoffbilanz – genauer gesagt ihr Reichtum an Protein. Dieser liegt laut Angaben des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) zwischen 35 und 77 Prozent. Zum Vergleich: Rindfleisch hat laut Angaben der Verbraucherzentrale nur 22,3 Prozent, Schweine- und Hühnerfleisch 22,8 Prozent Eiweiß.

Insekten schonen das Klima und sind gesund

Je nach Spezies enthalten Insekten außerdem eine Vielzahl an Ballast- und Mikronährstoffen sowie Vitaminen. Die Zusammensetzung ungesättigter Omega-3- und -6-Fettsäuren in Mehlwürmern ist laut einer umfangreichen Übersichtsarbeit der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) vergleichbar mit der in Fischen und sogar höher als bei Rindern und Schweinen.

Grillen benötigen außerdem zwölfmal weniger Futter als Rinder, viermal weniger Futter als Schafe und halb so viel Futter wie Schweine und Masthühner, berichtet die FAO. Ihre Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sprachen sich deshalb bereits im Jahr 2013 für den Verzehr von Insekten aus.

Insekt ist aber nicht gleich Insekt. Derzeit beinhaltet die »Liste der essbaren Insekten der Welt« der Universität Wageningen in den Niederlanden 2111 essbare Arten, und die Liste wird stetig fortgeführt. Für Mehlwürmer und Co gilt daher dasselbe wie für alle anderen Nutztiere: Je nachdem, zu welcher Spezies man greift, variiert der Nährstoffgehalt. Auch Entwicklungsstadium und Nahrungsangebot beeinflussen, wie viel Eiweiß und Omega-3-Fettsäuren ein Tier enthält.

So haben so genannte Harlekinschrecken (Zonocerus variegatus) in Nigeria, die mit Kleie gefüttert werden, beispielsweise einen fast doppelt so hohen Proteingehalt wie die, die lediglich Mais erhalten, berichtet ein Forscherteam um K. O. Ademolu von der Universität für Landwirtschaft in Nigeria in einer Studie aus dem Jahr 2010. Auch erwachsene Harlekinschrecken enthalten der Studie nach tendenziell mehr Eiweiß als solche, die gerade erst geschlüpft sind.

Insekt ist nicht gleich Insekt

»Eine weitere Rolle spielt die Bioverfügbarkeit, also die Frage, wie gut der Mensch die Nähstoffe von Insekten überhaupt aufnehmen kann«, betont Anna-Kristina Marel vom Max Rubner-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel in Karlsruhe. Denn selbst wenn ein Produkt reich an Eiweiß, Eisen oder Omega-3-Fettsäuren ist, heißt das nicht, dass die Nährstoffe vollständig für den menschlichen Organismus verfügbar sind. Marel und ihr Team untersuchen daher gerade im Reagenzglas, wie gut Proteine des Mehlwurms im Vergleich zu denen von Schweinen verdaut werden. »Experimente, die man mit anderen Insekten und weiteren Nährstoffen durchführen sollte«, sagt Marel: »In Sachen Bioverfügbarkeit von Insekten-Food befindet die Forschung sich tatsächlich noch ziemlich am Anfang.«

»Anders als in China, Thailand oder Mexiko, wo das Essen von Insekten Alltag ist, gelten Würmer, Larven und Fliegen in Deutschland vorrangig als Schädlinge«
Daniel Anthes

Der Ansicht ist auch Guido Ritter, Vorstandsmitglied vom Institut für Nachhaltige Ernährung (iSuN). Und dennoch: »Im Angesicht von Klimawandel und Massentierhaltung könnten Insekten in Deutschland einen guten Fleischersatz darstellen«, meint der Forscher. Auch die Verbraucherzentralen und das BfR halten essbare Insekten für eine ökologisch sinnvolle Alternative zum herkömmlichen Fleisch. Das Institut hat im März 2016 sogar ein eigenes Symposium veranstaltet. Der Titel: »Insekten als Lebens- und Futtermittel. Nahrung der Zukunft?«

Entscheidend für die Zukunft soll vor allem die gute CO2-Bilanz der Insekten werden. Heute verursache die Tierhaltung etwa 8 bis 18 Prozent der vom Menschen erzeugten Treibhausgasemissionen, errechnete eine Forschergruppe um den Wissenschaftler Dele Raheem von der Ton Duc Thang University in Vietnam in einer Übersichtsarbeit, die 2019 in »Food Research International« erschien. Ein Kilogramm Rindfleisch erzeugt demnach an die 14,8 Kilogramm CO2, Hühner- und Schweinefleisch zwischen 1,1 und 3,8 Kilogramm. Mehlwurmlarven, Heuschrecken und Grillen emittieren hingegen gut 100-mal weniger Treibhausgase und 10-mal weniger Ammoniak als Rinder und Schweine.

So genannte Skarabäen, Kakerlaken und Termiten stoßen sogar gar kein Methan aus. Der Verzehr von Insekten an Stelle von Kühen könnte laut Ansicht der Forscher damit bis zu zehn Prozent Emissionen einsparen. Dazu kommt, dass Insekten in der Zucht nicht nur weniger Wasser benötigen, die meisten von ihnen sind auch zu 80 Prozent essbar und verdaulich, Rinder hingegen nur zu 40 Prozent, wie die Bundes-Verbraucherzentrale berichtet. »Der Umstieg auf Insekten kann zwar nicht die Erderwärmung aufhalten«, fasst Ritter zusammen. Aber er könne zumindest dabei helfen.

Beyond-Meat-Burger

Alles eine Frage der Gewöhnung

All diese Vorteile bringen nichts, wenn die Menschen in Deutschland sich vor Mehlwürmern und Grillen ekeln und diese nicht auf ihrem Teller haben wollen. Doch Trendforscher Anthes sieht das nicht so problematisch: »In den 1970er Jahren haben viele sich ja auch vor Sushi, also rohem Fisch geekelt«, sagt er. »Heute gibt es Sushi an jeder zweiten Ecke.« Essen sei einfach eine Frage der Gewöhnung.

Dass der Ekel vor Insekten gar nicht so tief geht, zeigt auch eine repräsentative Bevölkerungsumfrage des BfR aus dem Jahr 2016. Das Ergebnis: Die Menschen hier zu Lande würden sich vermutlich stärker für essbare Insekten interessieren, wenn sie zu den Lebensmitteln mehr Informationen erhielten, »insbesondere zur gesundheitlichen Unbedenklichkeit«, und die Tierchen in der Produktion so verarbeitet werden, dass sie nicht mehr als solche erkennbar sind.

Das hat sich anscheinend auch die Industrie gedacht. Von außen sehen Nudeln, Burger und Kekse daher total normal aus. Allein die Verpackung signalisiert, dass es sich hier nicht um konventionelle Lebensmittel handelt. Und oft steckt in den Produkten gar nicht so viel Insekt drin. Die Pasta aus Mehlwürmern, Buffalowürmern oder Grillen besteht laut Angaben des Herstellers Plumento Foods beispielsweise lediglich zu zehn Prozent aus Insekten. Was unter anderem daran liege, dass sich das Mehl der Tiere nicht so leicht verarbeiten lasse und Insekten im Einkauf noch recht teuer seien. Das Proteinpulver des Unternehmens isaac besteht hingegen aus etwa 15 Prozent Insekt, der Burger der Bugfoundation aus 27 Prozent.

Vorsicht bei Allergien

Bei den gesundheitlichen Risiken herrscht allerdings noch Forschungsbedarf. Was unter anderem wieder an der enormen Artenvielfalt liegt. »Ungeklärt ist beispielsweise, ob einzelne Insektenspezies bestimmte Bakterienstämme in sich tragen, die für den Menschen gefährlich sein können«, sagt Biophysikerin Marel. Menschen mit Allergien gegen Hausmilben oder Krusten- und Schalentiere sollten Insekten wegen der Gefahr einer Kreuzreaktion nicht oder nur unter Vorsicht verzehren. Der Grund: »Allergene sind häufig Eiweiße«, erklärt die Wissenschaftlerin. »Und da etwa Krabben und Mehlwürmer bei bestimmten Eiweißen eine sehr ähnliche Struktur haben, kann das Immunsystem diese unter Umständen nicht auseinanderhalten und reagiert auf beide allergisch.«

Doch laut FAO scheinen Insekten im Vergleich zu Säugetieren und Vögeln mit deutlich geringerer Wahrscheinlichkeit Krankheiten auf Menschen zu übertragen – vorausgesetzt die Hygiene stimmt. Und genau hier liegt das Problem: »Dadurch, dass Insekten als Lebensmittel in Deutschland noch relativ neu sind, existieren bislang keine Haltungsvorschriften«, kritisiert Armin Valet von der Verbraucherschutzzentrale Hamburg – »etwa, wie viel Platz welche Insektenart benötigt.«

Ist Insekten-Food in Deutschland legal?

Nach Artikel 10 der Novel-Food-Verordnung (EU) 2015/2283, die seit dem 1. Januar 2018 in Kraft ist, gelten Insekten als so genannte »neuartige Lebensmittel« (Novel Food). Das heißt, um in Ländern der Europäischen Union (EU) als Lebensmittel verkauft werden zu dürfen, brauchen sie eine Zulassung von der Europäischen Kommission. Davor galten Insekten nicht als neuartig und konnten deshalb auch ohne Zulassung vermarktet werden.

Mit ein Grund, warum sie in Ländern wie Belgien oder Frankreich bereits häufig verkauft werden. Wegen der Neuformulierung gibt es eine spezielle Übergangsregelung. Demnach dürfen alle Produkte, die vor der neuen Novel-Food-Verordnung als nicht neuartig angesehen wurden, es nun aber sind, weiter vermarktet werden, wenn bis Anfang 2019 ein Antrag auf Zulassung gestellt wurde. Bis die Kommission über den Antrag entschieden hat, darf das Lebensmittel dann (weiter) in Verkehr gebracht werden.

Aktuell liegen der EU-Kommission 13 Anträge für Insektenarten vor. Über die ersten Anträge wird laut Angaben der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) voraussichtlich Mitte des Jahres 2020 entschieden. Die Kontrolle, ob Insekten-Food verkehrsfähig ist oder nicht, ist Aufgabe der Bundesländer. Produkte, die die Kommission als neuartig zulässt, werden auf der so genannten Unionsliste veröffentlicht.

Das Gleiche gilt für den Einsatz von Arzneimitteln wie Antibiotika und die Frage, welche Art der Tötung die schonendste ist. Österreich ist da aus Valets Sicht einen Schritt weiter. Das Land hat zum Beispiel festgelegt, dass gezüchtete Larven und Würmer nur dann verkauft werden dürfen, wenn nach der Tötung mit einer Hitze- oder anderen Hochdruckbehandlung Krankheitserreger abgetötet werden. Vorgaben, die in Deutschland noch fehlen. Deutschlands erster produzierender Lieferant für Speiseinsekten, das Unternehmen six feet to eat in Baden-Württemberg, ist daher in einem eigenen Verfahren vom Veterinäramt in Zusammenarbeit mit anderen Behörden zugelassen worden.

Wie groß ist das Risiko?

Um sicherzugehen, dass insektenhaltige Lebensmittel für den Konsumenten unbedenklich sind, hat die Europäische Kommission im Jahr 2018 die Novel-Food-Verordnung überarbeitet, die regelt, welche Lebensmittel in den Ländern der Europäischen Union (EU) verkauft werden dürfen. Burger und Nudeln aus Insekten dürfen seitdem nur auf den Markt, wenn die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) sie auf ihre Sicherheit überprüft hat.

Diese Neuregelung beinhaltet zwar noch keine Haltungs- und Hygienevorschriften, ist laut Verbraucherschützer Valet jedoch ein Schritt in die richtige Richtung. Nach Ansicht der Biophysikerin Marel bietet es allerdings auch Chancen, dass wir mit der Erforschung von Insekten als Lebensmittel noch relativ am Anfang stehen: »Bei der kontrollierten Zucht von Insekten starten wir quasi bei null«, sagt sie. »Damit haben wir die Chance, erstmals eine nachhaltige Zucht aufzubauen.«

Denn eins ist klar: »Vor dem Hintergrund globaler Herausforderungen wie Klimawandel und Massentierhaltung müssen wir unsere Ernährung ändern«, sagt Nachhaltigkeitsforscher Anthes. Und Grillen, Heuschrecken und Larven hätten hier im Hinblick auf ihr Nährstoffprofil sowie die Umweltbilanz erst mal einiges zu bieten – zumindest, wenn man weiter Fleisch essen wolle. Denn viel Eiweiß und eine gute CO2-Bilanz bieten jahrtausendealte Nahrungspflanzen wie Linsen und Lupinen auch. Ganz ohne Sicherheitsprüfung.

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