Energieverbrauch: Körpertemperatur sinkt seit Jahrzehnten
Um etwa ein halbes Grad ist die durchschnittliche Körpertemperatur der Menschen in den Industrieländern in den vergangenen 150 Jahren gesunken. Der traditionelle Richtwert von 37 Grad Celsius ist damit zu hoch, wie eine Arbeitsgruppe um Julie Parsonnet von der Stanford University nach einer Auswertung von drei Kohortenstudien aus den USA berichtet. Wie das Autorenteam in »eLife« schreibt, steigt die Körperkerntemperatur, korrigiert um Faktoren wie Alter und Gewicht, je weiter man in den Geburtsjahrgängen zurückgeht. Laut der Auswertung liegt sie pro Jahrzehnt um 0,03 Grad höher.
Männer, die im frühen 19. Jahrhundert geboren wurden, waren demnach um 0,59 Grad wärmer als heute. Frauen mit Geburtsjahrgängen um 1890 um 0,32 Grad. Schon vor einigen Jahren stellten mehrere Forschungsgruppen weltweit fest, dass sie um einige zehntel Grad niedrigere Körpertemperaturen maßen als die Mitte des 19. Jahrhunderts gefundenen 37 Grad. Nach Ansicht von Parsonnet und ihrem Team zeigt ihr Vergleich dreier Studien nun, dass der Effekt real ist und nicht auf systematischen Fehlern wie einer veränderten Messmethode basiert.
Die Körpertemperatur ist nicht nur ein Indiz für den Gesundheitszustand, sondern auch ein grobes Maß für die Stoffwechselrate: Wer mehr Energie verbraucht, ist wärmer.
Tatsächlich deuten weitere Studien darauf hin, dass die Stoffwechselrate bei Menschen heute niedriger ist als früher – ein kurios anmutendes Ergebnis. Schließlich haben die meisten Menschen dank der reichhaltigeren Nahrung heute viel mehr Energie zur Verfügung als vor 150 Jahren. Doch es ist nicht das Angebot, das den Energieverbrauch steuert, sondern der Bedarf, vermuten Fachleute. Dieser ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gesunken.
Je anspruchsvoller die Umwelt, desto höher ist der Energieverbrauch. Das heißt andersherum: Ein wenig gestresster Körper brennt auf kleinerer Flamme. Als wichtigsten Faktor für die geringere Temperatur nennen Parsonnet und ihre Gruppe den verbesserten Gesundheitszustand der Weltbevölkerung. Der insgesamt höhere Lebensstandard, bessere Zahnhygiene, weniger Infektionen durch Kriegsverletzungen, nicht mehr so häufig auftretende Tuberkulose und Malaria und vor allem wirksame Antibiotika trügen dazu bei, dass chronische Entzündungen in der Bevölkerung seltener werden. Für diesen Erklärungsansatz spricht laut Autorenteam eine kleine Studie aus Pakistan. Demnach finden sich in der Bevölkerung dort vergleichsweise häufiger chronische Entzündungen, und zugleich gibt es höhere durchschnittliche Körpertemperaturen. Eine These, die es zu prüfen gilt.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.