"Black Drink": Koffeingebräu deutet auf frühe Handelsnetzwerke hin
Neben dem Kakaobaum war in der Neuen Welt auch die Stechpalme die pflanzliche Basis ritueller Getränke – das konnten Forscher nun zum ersten Mal mit Hilfe von Biomarkern chemisch dokumentieren. In Keramikgefäßen aus Cahokia, der größten und frühesten Siedlung nördlich von Mexiko, fanden die Archäologen und Chemiker um Patricia Crown von der University of New Mexico in Albuquerque Spuren von Ilex vomitoria und I. cassine. Das deutet darauf hin, dass bereits zwischen den Jahren 1050 und 1250 am oberen Mississippi der so genannte "Black Drink" konsumiert wurde. Das Stechpalmengebräu war hochgradig koffeinhaltig und löste Brechreiz aus, wenn es schnell und in großen Mengen getrunken wurde – damit war es ein wichtiges Element ritueller Reinigungen.
Der Nachweis von Stechpalmenextrakten in Gefäßen aus der Mississippi-Metropole ist in vielerlei Hinsicht aufschlussreich. Zunächst unterstützt er die These, dass Cahokia Handelsbeziehungen bis an die Golfküste unterhielt. Denn nur dort, mehrere hundert Kilometer südlich, wachsen in Nordamerika Stechpalmen. Ferner sei dieser Fund der bisher früheste Hinweis auf den Konsum des "Black Drink", so die Forscher. Vor allem aber deutet er darauf hin, dass die schnell aufblühende Stadt eine entscheidende Rolle für die religiösen und politischen Entwicklungen der Region spielte. Denn Reinigungsrituale fanden vorwiegend in kulturellen Zentren statt – mit ihnen bereiteten sich Männer auf Kriege, Verhandlungen oder religiöse Zeremonien vor.
Auf der Suche nach den in Cahokia verwendeten Zutaten isolierten die Forscher zunächst per Flüssigchromatografie organische Substanzen aus pulverisierten Keramikstücken, die sie zuvor auf vier Probeflächen der Ausgrabungsstätte nahe dem heutigen St. Louis ausgegraben hatten. Dann identifizierten sie die Extrakte per Massenspektrometrie. Die Krux bei der Zuordnung einer Herkunftspflanze war nun, dass die Zutaten anderer ritueller Getränke zum Teil dieselben Substanzen enthalten: die Methylxanthine Theobromin, Koffein, Theophyllin und Ursolsäure. Entscheidend ist deshalb ihr artspezifisches Verhältnis zueinander. In den meisten Gefäßen aus Cahokia fanden die Chemiker Ursolsäure – laut der Gruppe um Patricia Crown ein Biomarker, mit dem man die Stechpalmengattung Ilex von der Kakaopflanze Theobroma cacao unterscheiden kann. Außerdem enthielten die Proben Koffein und Theobromin im Verhältnis von fünf zu eins. Daraus schlossen die Forscher, dass die Bewohner von Cahokia ihr Gebräu aus Ilex vomitoria bereiteten, einer Verwandten des Matestrauches (Ilex paraguaiensis).
Cahokia zählte mehr als 15 000 Einwohner und erstreckte sich entlang der fruchtbaren Mississippi-Auen nahe dem heutigen St. Louis. Dank Zuwanderung aus benachbarten Dörfern wuchs die Siedlung rasant: Innerhalb von nur einem Jahrhundert erstreckte sie sich über eine Fläche von 14,5 Quadratkilometern. Die Bevölkerung unterhielt Handelsbeziehungen von der Golfküste bis zu den Great Lakes. Warum sie bereits im frühen 13. Jahrhundert wieder verschwunden war, ist bis heute ein Rätsel.
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