Elektronen bremsen Wasser: Seltsame Quantenreibung in Kohlenstoffnanoröhren
Wenn Wasser durch eine Kohlenstoffnanoröhre fließt, gelten sehr fremdartige Gesetze. Wie ein Team um Nikita Kavokine von der Sorbonne Université in Paris berichtet, tritt in ihnen eine bisher unbekannte Quantenreibung auf, deren Auswirkung in radikalem Widerspruch zur Alltagserfahrung steht. Bei ihr beeinflussen Stoffe außerhalb der Röhre die Reibung in ihrem Inneren. Und statt leichter durch eine große Öffnung zu fließen als durch eine kleinere, verhält sich Wasser bei bestimmten Kohlenstoffnanoröhren komplett gegenteilig: je größer der Durchlass, desto größer der Widerstand. Wie die Arbeitsgruppe nun in »Nature« schreibt, ist die Ursache ein quantenmechanischer Effekt. Elektronenzustände in den Kohlenstoffnanoröhren treten in Resonanz mit kollektiven Schwingungen der Wassermoleküle und bremsen sie dadurch.
Das seltsame Verhalten, über das Fachleute seit Jahren rätseln, tritt bei mehrwandigen Kohlenstoffnanoröhren auf, bei denen immer größere Röhren wie Zwiebelschalen umeinanderliegen. Wenn Wasser durch eine Kohlenstoffnanoröhre fließt, ist die Reibung extrem gering, das ergaben Experimente der vergangenen Jahre. Weil die Wand sehr glatt und recht steif ist, verlieren die Moleküle nur wenig Energie durch Stöße. Die gleichen Versuche hatten aber auch gezeigt, dass die Reibung zunimmt, wenn der Durchmesser der Röhren steigt – ein auf den ersten Blick völlig absurdes Ergebnis. Tatsächlich ist aber die extrem geringe klassische Reibung ein Teil der Erklärung, denn dadurch haben schwache Quanteneffekte merkliche Auswirkungen.
Um diese Effekte zu erklären, entwickelte das Team um Kavokine eine Quantentheorie der Grenzfläche zwischen Festkörpern und Flüssigkeiten. Sie beschreibt die Wechselwirkungen zwischen Quantenzuständen in den beteiligten Materialien und erklärt unter anderem, warum die Reibung zwischen Wasser und Graphit höher ist als zwischen Wasser und einer einzelnen Graphen-Lage. Wie die Arbeitsgruppe schreibt, kommen solche Effekte zu Stande, weil Plasmonen, Schwingungszustände frei beweglicher Elektronen, im Graphit ähnliche Energien haben wie kollektive Schwingungszustände der benachbarten Wassermoleküle. Deswegen können diese miteinander koppeln und Energie austauschen – was sich als Reibung bemerkbar macht.
Im Graphen dagegen, das im Grunde eine einzelne Graphitschicht ist, geht das nicht – den Elektronen fehlt quasi eine Dimension, so dass ihre Plasmonen völlig andere Energien haben. Deswegen ist ihre Wechselwirkung mit den Wassermolekülen gering und erzeugt kaum zusätzliche Reibung. Mehrwandige Kohlenstoffnanoröhren haben Ähnlichkeiten mit Graphit, denn auch sie sind aus übereinandergestapelten Schichten von Graphen aufgebaut, deren Elektronen stark miteinander wechselwirken. Dadurch entstehen in ihnen ganz ähnliche Plasmonen, die mit den Schwingungszuständen des Wassers koppeln können.
Doch bei den Nanoröhren kommt ein weiterer Faktor hinzu: je kleiner der Durchmesser der Röhren, desto stärker die Krümmung. Wie das Team um Kavokine berichtet, hat die Krümmung dramatische Folgen für die Plasmonen. Während in Nanoröhren mit 50 Nanometer Innendurchmesser die Wände zumindest näherungsweise glatt übereinanderliegen wie im Graphit und deswegen gut elektronisch wechselwirken, sind eng aufgerollte Nanoröhren mit 10 Nanometer Innendurchmesser durch die Krümmung fast komplett voneinander entkoppelt. Die Plasmonen ähneln deswegen jenen im Graphen – und lassen Wasser ungehindert strömen.
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