Direkt zum Inhalt

Umwelt: Kollateralschaden

Gegenüber der Not der Zivilbevölkerung gingen die Umweltzerstörungen durch den jüngsten Nahost-Konflikt nahezu unter. Doch das Mittelmeer wird noch lange an der kriegsbedingten Ölpest zu leiden haben. Und dies ist kein Einzelfall.
Ölpest
Am 13. und 15. Juli 2006 bombardierte die israelische Luftwaffe ein libanesisches Kraftwerk in Dschije südlich von Beirut. Zwischen 10 000 und 35 000 Tonnen Schweröl ergossen sich ins östliche Mittelmeer. Zeitweise war der Ölteppich 150 Kilometer lang und bis zu 40 Kilometer breit. Die libanesische Regierung schätzt die Kosten für die Ölbeseitigung auf 50 bis 100 Millionen US-Dollar.

Am 12. August 2006 sank vor den Zentralphilippinen ein Öltanker mit zwei Millionen Liter Treibstoff an Bord. 300 Kilometer Küste sind bereits verschmutzt; der Ölteppich erreichte hier eine Länge von bis zu 36 Kilometern.

Ölpest | Am 24. März 1989 war der Öltanker "Exxon Valdez" gesunken. Drei Tage später bedeckte eine klebrige zähe Masse den Strand am Prinz-William-Sund in Alaska.
Sei die "Ölpest" nun eine fatale Nebenwirkung des jüngsten Krieges in Nahost oder ein immer wieder vorkommender Betriebsunfall – für die Meeresfauna und -flora bleibt das Ergebnis immer gleich: Etliche Seevögel sterben dreifach durch Erfrieren, Verhungern oder Vergiften. Das Öl verklebt das Gefieder und zerstört die Struktur, die das Wasser abhält. Die Tiere versuchen sich so lange zu putzen, bis das Gefieder wieder sauber ist. Dabei schlucken sie schließlich dann Öl hinunter.

Festsitzende Bodenorganismen wie Muscheln und Schnecken sowie Larven und Eier zahlreicher Fischarten werden vernichtet. Durch dieses Massensterben reduziert sich das Angebot in der Nahrungskette für andere Organismen drastisch. Im Mittelmeer geraten die ohnehin überfischten Bestände des Roten Thunfisches (Thunnus thynnus) durch das Öl noch mehr in Bedrängnis. Brutplätze der Unechten Karettschildkröte (Caretta caretta) und der Grünen Meerschildkröte (Chelonia mydas) sind durch den Ölteppich akut bedroht.

Vor den Philippinen ist besonders die Verschmutzung der Küstenmangrovenbestände eklatant: Diese "Kinderstube" zahlreicher Meeres- und Brackwasserbewohner ist ebenfalls Nahrungsgrundlage für eine ganze Organismenkette. Im Libanon verzögerte sich durch die Kampfhandlungen bereits die Reaktion auf das ausgelaufene Öl. Es bleibt Nebensache – dabei ist aus der Vergangenheit bereits einiges über die Gefährlichkeit des begehrten Rohstoffes bekannt.

Schwarzes Gold – schwarzes Gift

Besonders das häufig transportierte Schweröl hat einiges zu bieten: Neben Kohlenstoff enthält es einen hohen Anteil der aus mehreren hundert Verbindungen bestehenden Gruppe der polyzyklischen Aromaten (PAK). Diese sind für ihre Toxitizät, Persistenz in der Umwelt und weite Verbreitung berüchtigt. Ein allgemein bekannter Vertreter der Gruppe ist das Naphthalin. Teilweise giftige Schwefelverbindungen und Schwermetalle erhöhen die Umweltgefährlichkeit. Gelangen diese Stoffe ins Küstensediment, werden sie unter anaeroben Bedingungen nur sehr langsam abgebaut und dauerhaft immer wieder freigesetzt. Organismen vergiften sich schleichend, ohne sofort daran zu sterben.

Ölsperren am Prinz-William-Sund | Mit schwimmenden Ölsperren sollte das Öl eingedämmt und von den verseuchten Strandabschnitten eingesammelt werden.
Tankerhavarien sind für den Eintrag von jährlich etwa 100 000 Tonnen Öl verantwortlich. Eine beachtliche Zahl – und doch sind es nur acht Prozent der insgesamt 1,3 Millionen Tonnen, mit denen das marine Ökosystem eigentlich fertig werden muss. Unauffällige Hauptsünder dabei bleiben chronische Verschmutzung durch Einträge aus Flüssen oder der reguläre Schiffsbetrieb. Dazu gehört auch das illegale "Verklappen", die Entsorgung von Ölresten auf hoher See. Doch die Ölpest gilt wegen ihrer verheerenden Folgen als einer der größten anzunehmenden Unfälle schlechthin für die Umwelt.

Die "Exxon Valdez" – menschliches Versagen

Kalte Gewässer trifft es besonders hart. Die flüchtigen Bestandteile des Öls verdunsten bei kühlen Temperaturen langsamer, und auch das Öl wird im Vergleich zu wärmerer Umgebung langsamer abgebaut. Arktische Ökosysteme haben weniger Arten mit kürzeren Nahrungsketten und reagieren deshalb besonders empfindlich. So sank am 24. März 1989 der voll beladene Tanker "Exxon Valdez" im Prinz-William-Sund in Alaska. Laut vorsichtigen Schätzungen liefen rund 40 000 Tonnen Öl aus; 2000 Kilometer Küstenlinie waren von der Ölverschmutzung betroffen.

Dabei erschienen die Bedingungen noch Tage nach der Havarie als geradezu ideal für eine Seebergung: ruhiges Wetter, kaum Wind. Doch die Maßnahmen kamen nur schleppend in Gang, und die nötige teure Entscheidung zum Leerpumpen und Abschleppen des Tankers blieben aus. Als dann das Wetter zum Sturm umschlug, konnten die endlich eingeleiteten Bekämpfungsmaßnahmen das Öl nicht mehr vom Land fernhalten: 250 000 Seevögel und 3500 Seeotter starben zusammen mit ungezählten anderen Meeresbewohnern – auf Grund von Untätigkeit nach dem Unfall und einem betrunkenen Kapitän, der die Steuerung einem unzureichend ausgebildeten Offizier überlassen hatte.

Versuch einer Schadensbegrenzung

Der Fall "Exxon Valdez" wurde nicht zuletzt wegen dieses mehrfachen menschlichen Versagens zum Medienereignis. Die Bilder der verklebten, elend zugrunde gehenden Seeotter und das Ausmaß der Katastrophe rüttelten die Öffentlichkeit nachhaltig auf.

Hochdruckreinigung | Heißer Dampf sollte die Ölpest beseitigen. Doch die Hochdruckbehandlung verschlimmerte die Schäden zusätzlich.
Doch die Fehler gingen trotzdem weiter. Das Öl sollte schnellstmöglich optisch verschwinden. Heißes Wasser aus Hochdruckreinigern verhieß eine schnelle Lösung für die verschmierten Felsen – doch mit der nächsten Flut kam das Öl wieder zurück. Der hohe Druck der Reiniger presste es tief ins Sediment. Dort kann es unter Licht- und Luftabschluss nur sehr langsam von Bakterien abgebaut werden. Das heiße Wasser wusch darüber hinaus Nährstoffe aus dem Sediment aus und verlangsamte so die Wiederbesiedlung "gereinigter" Flächen. Nach den Erfahrungen in Alaska wird jetzt "schweres Gerät" bei der Ölbekämpfung deutlich zurückhaltender eingesetzt.

Schäden an Braunalgen | Die bei Niedrigwasser trocken fallenden Steine des Prinz-William-Sunds sind dicht mit der Braunalge Fucus gardneri bewachsen (oben).
Die Hochdruckreinigung mit heißem Wasser hat den Bewuchs weit gehend zerstört (unten).
Der einzige Garant für die dauerhafte Selbstreinigung von Küsten sind Öl abbauende Bakterien. Obwohl Bestandteil der natürlichen Bakterienflora, variiert ihre Dichte erheblich mit dem Nahrungsangebot. Im Prinz-William-Sund waren sie deshalb vor dem Unglück kaum vorhanden, und deshalb wurde Dünger für sie ausgebracht – eigentlich eine sehr sinnvolle Maßnahme. Doch die Zusammensetzung und damit das Nahrungsbedürfnis der Mikroorganismen verändert sich im Laufe des Abbaus – und die Anpassung des "Futters" an diese Veränderung unterblieb. Genau so wie eine zusätzliche Belüftung des Bodens, welche die Sauerstoff verbrauchenden Helferlein unbedingt für ihre Arbeit gebraucht hätten. Der Erfolg blieb deshalb leider aus.

In schnell aufgebauten Stationen versuchten Umweltschützer im Sund die verschmutzten Otter und Seevögel zu säubern und aufzupäppeln. Solche Rettungseinrichtungen gibt es auch an der heimischen Nord- und Ostseeküste, doch die mittlere Überlebensdauer gereinigter Vögel liegt trotz aller Anstrengung nur bei sieben Tagen. Die feine Federstruktur wird beim Waschen endgültig zerstört und ist erst nach der nächsten Mauser wieder komplett vorhanden. Der Stress der ganzen Prozedur lässt überdies viele verenden. Als ökologisch sinnvoll wird die Rettung von Individuen daher nur betrachtet, wenn sie anschließend wieder zum Reproduktionserfolg der Population beitragen.

Bilanz nach 17 Jahren

In Alaska sind die Natur und ihre Bewohner zurückgekommen – keine Frage. "Doch man findet an vielen Stellen weiterhin Öl im Boden", berichtet Jörg Fedderen vom Umweltverband Greenpeace. "Es ist erstaunlich, wie lange das Öl mit Hilfe des Menschen oder durch natürliche Abbauprozesse braucht, um aus dem Ökosystem zu verschwinden."

"Es ist erstaunlich, wie lange das Öl braucht, um aus dem Ökosystem zu verschwinden"
(Jörg Fedderen)
Mittlerweile weisen Studien auf eine Schädigung des Erbgutes von Lachsen und Heringen durch das Öl hin: Missbildungen bei Eiern und Larven sind die Folge. Durch die Anreicherung der giftigen Ölrückstände in der Nahrungskette sind immer noch besonders die Bestände von Ottern und Seevögel in ihrer Erholung beeinträchtigt. Charles Peterson von der Universität von North Carolina und seine Kollegen weisen in diesem Zusammenhang auf den unerwarteten Einfluss nicht tödlicher Dosen von toxischen Substanzen auf ein Ökosystem hin. Tierpopulationen erholen sich bei kontinuierlicher Anwesenheit solcher Substanzen langsamer als erwartet, stellten die Forscher fest. Bisher wurden nur Akutereignisse als Einfluss auf Populationsentwicklungen diskutiert.

Was unternommen wird

Nach der Havarie der "Exxon Valdez" dürfen nur noch Tanker mit Doppelhülle US-Häfen anlaufen, und auch die Europäische Union konnte sich zu dieser Maßnahme für die europäischen Häfen durchringen. Doch wenn ein manövrierunfähiges Schiff gegen die Küste getrieben wird, nützt auch die beste Doppelhülle nichts. Und die europäischen Gewässer passieren dürfen die alten Einfachtanker nach wie vor. So havarierte im November 2002 der marode Einhüller "Prestige" vor Galizien und verschmutzte bis Anfang 2003 etwa 2000 Kilometer spanische, portugiesische und französische Küste. Schwerwiegende Fehlentscheidungen der spanischen Regierung verzögerten auch hier die nötigen Sofortmaßnahmen. Der Tanker brach schließlich auf offener See auseinander.

Überaltete Einhüllentanker fahren trotzdem als schwimmende Zeitbomben weiter über die Meere. Die "Prestige" hätte auch vor der deutschen Haustür havarieren können. Sie fuhr auf ihrer letzten Fahrt von Estland durch die austauscharme Ostsee und dann durch die stark befahrene nur etwa 1,7 Kilometer breite Kadetrinne zwischen Deutschland und Dänemark weiter Richtung Gibraltar.

Die Folgen für die Ostsee wären vergleichbar gewesen mit der aktuellen Situation im Mittelmeer. Das Öl kann nicht wie in offenen Meeren durch Wind und Wellen verdünnt werden. Stark aufgefaltetete Küstenabschnitte mit vorgelagerten Inseln werden zum Sammelbecken für Ölbestandteile. Hier wie dort sind neben Flora und Fauna auch der Tourismus und damit ein ganzer Wirtschaftszweig gefährdet. Die Regierungen von Syrien und Zypern, aber auch die Türkei sehen ihre Wirtschaftskraft in den Küstenregionen in den kommenden Jahren bereits stark bedroht.

Tiefere Ursachen

Überaltete Tanker mit unzureichend ausgebildeter Mannschaft werden aus Profitgründen mit großem Risiko für Mensch und Umwelt weiter von ihren Betreibern und Reedereien eingesetzt. Doch es reicht nicht aus, ihnen und unzureichenden Kontrollen und Vorschriften allein die Schuld an den immer wieder vorkommenden Unfällen zu geben. Das Verlangen der Verbraucher nach möglichst billigen Produkten sorgt für immensen Preisdruck entlang der Produktions- und Transportkette. Deshalb fahren marode Tanker wie die "Prestige" hochtoxisches Schweröl über weite Strecken, anstatt es in modernen Raffinerien am Ort der Entstehung zu verwerten und halbwegs unschädlich zu machen.

Allein die schlichte Reduzierung der Öltransporte wird auch ganz nebenbei Tankerunfälle unwahrscheinlicher machen. Dazu muss über Alternativen zum fossilen Rohstoff Erdöl nachgedacht werden. Erneuerbare Energien und eine nachhaltigere Lebensweise in den Industrieländern sind hier der Schlüssel zum Erfolg.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.