Personalisierte Medizin: Kombipackung gegen den Krebs
Bei schwarzem Hautkrebs im späten Stadium ist die Prognose schlecht. Die meisten Patienten sterben innerhalb eines Jahres nach der Diagnose. Doch 2010 zeigte ein Medikament in Studien viel versprechende Wirkung. Das Mittel Vemurafenib (PLX4032) konnte den fortgeschrittenen Krebs sehr effizient eindämmen, bei einigen Patienten verschwanden sogar nahezu alle Tumoren. Aber die Wirkung hielt nicht an: Etwa sieben Monate nach Therapiebeginn kam der Krebs zurück. Die Krebszellen waren ab da unempfindlich gegenüber dem Medikament. Sie hatten eine Resistenz entwickelt [1, 2].
"So etwas hat man auch bei den ersten HIV-Medikamenten beobachtet", erzählt Christoph Bock, Bioinformatiker und Krebsforscher am CEMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin in Wien. "Als in den späten 80ern und frühen 90ern die ersten HIV-Medikamente verfügbar waren, sah man zunächst spektakuläre Effekte, die sich dann wieder verloren haben." Grund hierfür waren ebenfalls Resistenzen. Die Lösung bei HIV: eine Kombinationstherapie mit mehreren verschiedenen Medikamenten.
So eine Kombination könnte auch das Problem der Resistenzen bei Krebs lösen, schrieben Bock und sein Kollege Thomas Lengauer vom Max-Planck-Institut für Informatik in Saarbrücken in einem Meinungsartikel in "Nature Reviews Cancer" im Juli 2012 [3]. "Die genetische Zusammensetzung des Tumors ist in jedem Patienten verschieden. Wir müssen eine Methode finden, wie wir die Vielfalt der Erkrankung behandeln können mit einer relativ begrenzten Anzahl von Medikamenten. Die einzige bezahlbare Lösung ist dabei die Kombinatorik", erklärt Bock.
Therapieresistenz ist nur eine Frage der Zeit
Krebszellen, die wie im Fall des schwarzen Hautkrebses resistent gegenüber der Therapie sind oder werden, sind ein Grundproblem der Krebsmedizin. Das betont auch Klaus Schulze-Osthoff, Sprecher des Tübinger Sonderforschungsbereichs 773, in dem sich Wissenschaftler in 20 Forschungsprojekten mit dem Thema Therapieresistenz beschäftigen. "Irgendwann entwickelt fast jeder Krebs eine Therapieresistenz", erzählt er, "und wenn ein Patient an Krebs stirbt, obwohl dieser zunächst erfolgreich behandelt wurde, dann ist eigentlich immer eine Resistenz die verantwortliche Todesursache."
Dass ein Krebs unempfindlich auf die Therapie reagiert, ist meist nur eine Frage der Zeit. Bei einigen Krebsarten und -behandlungen kommt der Tumor wie beim geschilderten Melanomfall schon Wochen nach Beginn der Behandlung wieder zurück. In diesem Fall sind meist schon von Anfang an einige Zellen im Tumor resistent. Während der Therapie haben diese dann einen erheblichen Vorteil gegenüber den anderen und setzen sich durch, bis der gesamte Tumor nur noch aus resistenten Zellen besteht. In anderen Fällen kann es viele Jahre dauern, bis der Tumor resistent zurückkehrt – häufig stirbt der Patient dann vorher schon aus anderen Gründen. Die Forscher vermuten, dass dabei die Krebszellen während der Therapie erst mühselig Mutationen ansammeln, bis sie die richtigen besitzen, die sie resistent machen.
Die Resistenzmechanismen sind vielfältig
Welche Mechanismen die Krebszellen unempfindlich machen, hängt jeweils von der Art der Therapie ab. Die klassische Chemotherapie wirkt relativ unspezifisch als Zellgift und tötet die Krebszellen ab. Deswegen sind die Resistenzen gegen die klassischen Zytostatika auch eher allgemeiner Natur. Resistente Zellen pumpen beispielsweise das Mittel direkt wieder aus den Zellen heraus, oder die Zellen reparieren gezielt die Schäden in der DNA, die das Medikament verursacht. Hat ein Tumor erst einmal eine Resistenz gegen eine klassische Chemotherapie entwickelt, ist er meist auch gegen andere Chemotherapeutika unempfindlich.
Anders ist es bei den gezielten Krebstherapien, den "targeted drugs". Diese picken sich unter einer Vielzahl molekularer Mechanismen, die nur in Krebszellen auftauchen, genau einen als Angriffsziel heraus. Die Nebenwirkungen sind dadurch geringer als bei der klassischen Chemotherapie, die allgemein giftig für Zellen ist und den Krebszellen oft nur ein klein wenig stärker schadet als den gesunden.
"Dieser Ansatz wird in den seltensten Fällen Krebs wirklich heilen, er kann aber ein langfristigen Leben mit Krebs ermöglichen."Christoph Bock
Das erwähnte Vemurafenib gegen schwarzen Hautkrebs gehört zu diesen gezielten Therapien. Es ist ein so genannter Kinaseinhibitor, der ausschließlich das Onkoprotein BRAF-V600E bindet. BRAF-V600E ist ein mutiertes Protein, das in etwa der Hälfte aller malignen Melanome vorkommt. Die Mutation lässt die Zellen wuchern. Indem Vemurafenib dieses Protein bindet, blockiert es den dadurch aktivierten Signalweg in der Zelle und bremst so das unkontrollierte Wachstum des Tumors.
Aber selbst gegen einen solchen Präzisionsschlag können Zellen immun werden: Es tauchen neue Mutanten auf, die ohne den attackierten Signalweg oder das Zielprotein des Medikaments auskommen. "Die Resistenzmechanismen sind dabei sehr vielfältig", sagt Schulze-Osthoff. Kaum haben die Forscher ein Mittel, das gezielt die Krebszelle angreift, entsteht schon der passende Resistenzmechanismus, und das Spiel beginnt von Neuem.
Ein entscheidender Unterschied zu den Abwehrmechanismen gegen die klassische Chemotherapie ist, dass ein Tumor, der ein gezieltes Krebsmedikament umgeht, trotzdem noch gegenüber anderen empfindlich ist. Daher sprechen sich Bock und Lengauer in ihrem Artikel vor allem für Kombinationen gezielter Therapien aus. "In einem Tumor ist vielleicht eine von zehn Millionen Zellen resistent gegen das eine zielgerichtete Medikament, das ich verwende", rechnet Christoph Bock vor. "Im Rahmen der Tumorevolution setzen sich diese innerhalb von ein paar Monaten durch, und der gesamte Tumor ist resistent. Wenn ich aber nicht eins, sondern drei Medikamente parallel verwende, macht das nur noch eine unter zehn Millionen hoch drei resistente Zellen, also eine von 1021 Zellen.
Da der Mensch nur ungefähr 100 Milliarden (1011) Körperzellen hat, ist es also sehr unwahrscheinlich, dass es darunter eine dreifach resistente gibt. Dann muss der Tumor mühselig Schritt für Schritt eine nach der anderen Mutation entwickeln, um resistent zu werden. Das wird in der Regel deutlich länger dauern, Jahre oder Jahrzehnte."
Mit Bioinformatik zur optimalen Kombination
Welche Therapien man genau kombinieren muss, ist von Patient zu Patient und von Krebs zu Krebs unterschiedlich. Jeder Tumor muss zuerst molekularbiologisch erfasst werden: Nicht nur sein Genom, sondern auch die Gesamtheit der aktiven Genschalter und -abschriften (Epigenom und Transkriptom). Mit Hilfe der Bioinformatik soll der Arzt dann aus dem kompletten Arsenal verfügbarer Medikamente die geeignete Kombination auswählen.
Sobald sich zeigt, dass auch die Kombinationstherapie ihre Wirkung verliert und der Tumor resistent zurückkehrt, müsse die Therapie umgestellt werden, meint Bock. "Dieser Ansatz wird in den seltensten Fällen Krebs wirklich heilen, er kann aber ein langfristigen Leben mit Krebs ermöglichen", so Bock.
Bock und Lengauer schlagen nun vor, zuerst an kleinen Patientengruppen Resistenztests auf Zellebene durchzuführen. Aus den Ergebnissen müsse man dann Profile erstellen, die die genetischen Details eines Krebses mit den Resistenzen verknüpfen. Auf dieser Grundlage sollte dann ein Computermodell entwickelt werden, mit dessen Hilfe der behandelnde Arzt direkt von den Informationen übers Genom, Epigenom und Transkriptom des Tumors auf möglicherweise bereits vorhandene Resistenzen schließen und so die optimale Kombination bestimmen kann.
Für die Behandlung von HIV wurde in der Abteilung von Lengauer am Max-Planck-Institut für Informatik in Saarbrücken bereits ein Computerprogramm entwickelt. Es bestimmt anhand der Virusvarianten, von denen ein Patient betroffen ist, die beste Kombination an Medikamenten.
In Zukunft jeden Krebs individuell behandeln
"Die personalisierte Krebsmedizin wird kommen, das ist gar nicht anders denkbar", sagt auch Schulze-Osthoff vom Sonderforschungsbereich. "Ein Ziel ist es hierbei, das Krebsgenom von jedem Tumorpatienten, der in die Klinik kommt, zu sequenzieren und dann veränderte Signalwege zu detektieren, um entsprechende zielgerichtete Medikamente auszuwählen."
Doch so eine individuelle Medizin ist durch die aufwändige Diagnose bislang teuer. Schulze-Osthoff lässt das nicht gelten: "Ich glaube, realistisch ist es, ein Krebsgenom in naher Zukunft für zirka 2000 Euro oder weniger zu sequenzieren. Ich bin da optimistisch. Das ist günstiger als viele teure Therapien, die derzeit verwendet werden und bei vielen Patienten häufig nicht wirken."
Im November 2011 haben Wissenschaftler um Sameek Roychowdhury von der University of Michigan in Ann Arbor das in einer Pilotstudie getestet [4]. Die Kosten lagen pro Tumor bei rund 3600 Euro und die Zeit bis zur Diagnose bei etwa drei bis vier Wochen. Im Prinzip ist es also bereits jetzt möglich, den Krebs individuell zu analysieren und darauf zugeschnittene Therapien auszuwählen. Allerdings fehlen laut Roychowdhury und Kollegen noch die geeigneten Medikamente oder klinische Wirkungsnachweise. Die Wissenschaftler konnten zwar herausfinden, wie sie theoretisch den jeweiligen Tumor optimal behandeln müssten. Sie hatten jedoch die nötigen Werkzeuge dann nicht zur Verfügung.
Das gleiche Problem sehen auch Bock und Lengauer in ihrem Artikel: Es müssen noch mehr gezielte Krebsmedikamente gefunden und zugelassen werden. Nur so können die Mediziner dann später aus einer Art "Werkzeugkasten" an Therapien die zweckmäßigsten auswählen und kombinieren.
Bleibt als letzte Hürde noch die Zulassung: Ist der Einsatz eines Medikaments gestattet, darf es noch lange nicht beliebig mit anderen kombiniert werden. Für die Behörden stellt das Management solcher personalisierter Wirkstoffkombinationen eine beträchtliche Herausforderung dar. "Doch wenn der medizinische Nutzen auf der Hand liegt, können sich die regulatorischen Behörden nicht querstellen", sagt Bock. Wie schon bei HIV müssten die Wissenschaftler nun zeigen, dass die Wirkung einer personalisierten Medizin "so dramatisch ist, dass es ein Skandal wäre, nicht so zu behandeln".
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