Neurowissenschaften: Kommando: Zugreifen!
Allein die Vorstellung genügt, die rechte Hand zu bewegen - und schon wandert ein Lichtpunkt auf dem Computerbildschirm nach rechts. Ob eine simple Cursorbewegung oder das Zugreifen einer Handprothese - mit Hilfe von Hirn-Computer-Schnittstellen lassen sich inzwischen zahlreiche Prozesse per "Gedankenkraft" steuern.
"Meine Herren, wir können ihn wieder zusammenbauen. Wir haben die Technologie", verkündet ein Sprecher zu Beginn der US-amerikanischen Fernsehserie "The Six Million Dollar Man" aus den 1970er Jahren. Es geht um einen Astronauten, der bei einem Flugzeugabsturz lebensgefährlich verletzt wird. In einer sechs Millionen Dollar teuren Operation werden ein Auge, ein Arm und beide Beine durch künstliche Körperteile ersetzt, die er mit seinen Gedanken steuern kann.
Einmal abgesehen davon, dass die Prothesen dem Astronauten übermenschliche Kräfte verliehen haben, passt diese Serie heute nicht mehr so recht in die Sciencefiction-Sparte, für die sie geschrieben wurde. Das inzwischen recht weit verbreitete Cochlea-Implantat etwa beweist, dass intelligente Prothesen inzwischen in der Realität angekommen sind.
Wie von Geisterhand
Grundlage dieser Technologie sind Hirn-Computer-Schnittstellen: Elektroden, die entweder auf der Kopfhaut angebracht oder in das Gehirn implantiert wurden, messen Aktivitätsmuster und übermitteln sie an einen Computer, der sie wiederum in technische Steuersignale umwandelt.
Besonders für Menschen mit einem Locked-in-Syndrom – also Patienten, die fast vollständig gelähmt sind und sich nicht sprachlich oder durch Bewegungen verständlich machen können – bergen Hirn-Computer-Schnittstellen ein großes Potenzial. Mit ihrer Hilfe können sie wieder Kontakt mit der Umwelt aufnehmen.
Der künstliche Arm
"Es gibt grundlegend verschiedene Herangehensweisen, eine Neuroprothese zu entwickeln", erklärt Klaus-Robert Müller vom Fraunhofer-Institut für Rechnerarchitektur und Softwaretechnik in Berlin. Die beste Übertragungsrate liefern invasive Hirn-Computer-Schnittstellen, bei denen Elektroden direkt in das Gehirn implantiert werden.
Die Affen mussten zuerst nur Armbewegungen beobachten. "Das aktiviert ihre Hirnzellen so, als würden sie die Bewegung selbst ausführen", erläutert Schwartz. Der Computer lernte nun, die charakteristischen Aktivitätsmuster zu erkennen und entsprechende Bewegungsbefehle an einen Roboterarm weiterzugeben.
Die beiden leiblichen Arme der Affen hatten die Forscher während des Experiments fixiert, so dass die Tiere ausschließlich mit ihrer Prothese greifen konnten.
Zwar bewegten die Tiere ihren dritten Arm nicht so flink und geschickt, wie sie ihre eigenen Gliedmaßen einsetzen würden, doch sie führten sich die Süßigkeiten überraschend präzise zu Gemüte. Und wollte der klebrige Klumpen mal nicht sofort im Maul verschwinden, wurde mit der zweifingrigen Hightech-Hand nachgeholfen.
Eine Neuroprothese, die ihre Informationen von implantierten Elektroden bezieht, wurde auch schon bei Menschen getestet – zum Beispiel im Jahr 2004 bei Matthew Nagle, dem drei Jahre zuvor bei einer Messerattacke das Rückenmark durchtrennt wurde.
Solche kurzen Erfolgsmomente – der Patient ist letztes Jahr offenbar an den Spätfolgen seines Unfalls gestorben – dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine routinemäßige Anwendung invasiver Techniken noch weit entfernt scheint. "Das gesundheitliche Risiko ist sehr groß", warnt Klaus-Robert Müller.
Kaffee zum Menü
Gesundheitlich unbedenklich seien dagegen Hirn-Computer-Schnittstellen, welche die Hirnströme mittels EEG abgreifen. Den Probanden wird lediglich eine Haube mit unzähligen Kabeln über den Kopf gestülpt. Da die Elektroden bei diesem System nur auf der Kopfhaut liegen, können die gemessenen Signale allerdings nicht so exakt bestimmten Hirnregionen zugeordnet werden. Es ist für den Computer somit viel schwieriger die Informationen zu interpretieren. "Ich kann damit zum Beispiel einen Cursor bewegen", erklärt der Computerwissenschaftler, "aber solche Systeme sind noch Größenordnungen davon entfernt, Prothesen zu steuern."
Weitere Anwendungen EEG-basierter Schnittstellen entwickelt der Forscher mit seiner Arbeitsgruppe im Rahmen des Projekts "Berlin Brain-Computer Interface" (BBCI). Neben Computerspielen, bei denen man etwa "gedanklich" einen Balken verschieben muss, um eine hin und her fliegende Kugel im Bild zu halten, haben die Wissenschaftler eine mentale Schreibmaschine konzipiert. Anstatt mit seinen Fingern zu tippen, muss man hier mit seinen Gedanken Buchstaben aus einem Computermenü auswählen.
Hirn-Computer-Schnittstellen sind aber nicht nur für Medizin, Spiel- und Autoindustrie interessant: Dem Hirn beim Denken zuzusehen, sei etwas ganz Attraktives für Hirnforscher wie Psychologen, meint der Berliner Wissenschaftler. Doch genau bei diesem Punkt setzen auch die Bedenken von Skeptikern ein. Werden Forscher irgendwann Gedanken lesen und gezielt manipulieren können?
Ferngesteuerter Nager
Manipulieren müsse eine Neuroprothese schon, meint Müller: "Wenn ich eine gute Prothese bauen will, muss ich ein Feedback zurückgeben. Das Schreiben in das Gehirn ist dann notwendig."
Es gibt aber auch erschreckende Beispiele von Gedankensteuerung. So haben John Chapin und seine Kollegen vom Suny Downstate Medical Center in Brooklin in einer vom Verteidigungsministerium der Vereinigten Staaten unterstützten Studie die Gehirne von Ratten so stimuliert, dass sie die Tiere fernsteuern konnten [3]. Die Forscher hatten Elektroden im Belohnungszentrum der Nager platziert. Sie schickten etwa immer dann Pulse in das Rattenhirn, wenn das Tier einem bestimmten Geruch folgte. Die "elektrische" Belohnung war wesentlich effektiver, als klassische Futterprämien.
Beim Thema Gedankenlesen kann uns Klaus-Robert Müller aber beruhigen: Man versuche mit Hirn-Computer-Schnittstellen nur, bestimmte Gedankenzustände auszulesen. "Wenn Sie zum Beispiel an die Telefonnummer Ihrer Mutter denken, können wir nur feststellen, dass Sie an Zahlen denken – nicht aber, an welche."
Einmal abgesehen davon, dass die Prothesen dem Astronauten übermenschliche Kräfte verliehen haben, passt diese Serie heute nicht mehr so recht in die Sciencefiction-Sparte, für die sie geschrieben wurde. Das inzwischen recht weit verbreitete Cochlea-Implantat etwa beweist, dass intelligente Prothesen inzwischen in der Realität angekommen sind.
Wie von Geisterhand
Grundlage dieser Technologie sind Hirn-Computer-Schnittstellen: Elektroden, die entweder auf der Kopfhaut angebracht oder in das Gehirn implantiert wurden, messen Aktivitätsmuster und übermitteln sie an einen Computer, der sie wiederum in technische Steuersignale umwandelt.
Beispielsweise feuern bestimmte Nervenzellen immer dann, wenn man die linke Hand hebt oder sich vorstellt, sie zu heben. Der Computer lernt nun, die entsprechenden Signale zu erkennen und lässt etwa einen Cursor auf einem Bildschirm nach links wandern, wenn man sich die Handbewegung "durch den Kopf gehen lässt".
Besonders für Menschen mit einem Locked-in-Syndrom – also Patienten, die fast vollständig gelähmt sind und sich nicht sprachlich oder durch Bewegungen verständlich machen können – bergen Hirn-Computer-Schnittstellen ein großes Potenzial. Mit ihrer Hilfe können sie wieder Kontakt mit der Umwelt aufnehmen.
Der künstliche Arm
"Es gibt grundlegend verschiedene Herangehensweisen, eine Neuroprothese zu entwickeln", erklärt Klaus-Robert Müller vom Fraunhofer-Institut für Rechnerarchitektur und Softwaretechnik in Berlin. Die beste Übertragungsrate liefern invasive Hirn-Computer-Schnittstellen, bei denen Elektroden direkt in das Gehirn implantiert werden.
Ein Forscherteam um Andrew Schwartz von der University of Pittsburgh hat mit Hilfe eines solchen Systems eine Armprothese entwickelt, mit der sich Makakenaffen selbst füttern konnten [1]. Die Wissenschaftler hatten mit Hilfe implantierter Elektroden die Signale von Neuronen im motorischen Kortex der Tiere aufgezeichnet.
Die Affen mussten zuerst nur Armbewegungen beobachten. "Das aktiviert ihre Hirnzellen so, als würden sie die Bewegung selbst ausführen", erläutert Schwartz. Der Computer lernte nun, die charakteristischen Aktivitätsmuster zu erkennen und entsprechende Bewegungsbefehle an einen Roboterarm weiterzugeben.
Die beiden leiblichen Arme der Affen hatten die Forscher während des Experiments fixiert, so dass die Tiere ausschließlich mit ihrer Prothese greifen konnten.
"Wir beginnen zu verstehen, wie unser Gehirn funktioniert"
(Andrew Schwartz)
Boten die Wissenschaftler den Primaten Marshmallows an, so detektierte der Computer Signale, die ihm bedeuteten, den künstlichen Arm anzuheben, zum Leckerbissen zu führen, ihn zu greifen und ins Maul zu schieben. (Andrew Schwartz)
Zwar bewegten die Tiere ihren dritten Arm nicht so flink und geschickt, wie sie ihre eigenen Gliedmaßen einsetzen würden, doch sie führten sich die Süßigkeiten überraschend präzise zu Gemüte. Und wollte der klebrige Klumpen mal nicht sofort im Maul verschwinden, wurde mit der zweifingrigen Hightech-Hand nachgeholfen.
Eine Neuroprothese, die ihre Informationen von implantierten Elektroden bezieht, wurde auch schon bei Menschen getestet – zum Beispiel im Jahr 2004 bei Matthew Nagle, dem drei Jahre zuvor bei einer Messerattacke das Rückenmark durchtrennt wurde.
"Unser unmittelbares Ziel ist es, Prothesen für vollständig gelähmte Menschen zu entwickeln"
(Andrew Schwartz)
Nach der Implantation konnte Nagle mit Hilfe seiner Gedanken unter anderem E-Mails abrufen, den Fernseher bedienen und Kommandos an eine Handprothese senden [2]. (Andrew Schwartz)
Solche kurzen Erfolgsmomente – der Patient ist letztes Jahr offenbar an den Spätfolgen seines Unfalls gestorben – dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine routinemäßige Anwendung invasiver Techniken noch weit entfernt scheint. "Das gesundheitliche Risiko ist sehr groß", warnt Klaus-Robert Müller.
Kaffee zum Menü
Gesundheitlich unbedenklich seien dagegen Hirn-Computer-Schnittstellen, welche die Hirnströme mittels EEG abgreifen. Den Probanden wird lediglich eine Haube mit unzähligen Kabeln über den Kopf gestülpt. Da die Elektroden bei diesem System nur auf der Kopfhaut liegen, können die gemessenen Signale allerdings nicht so exakt bestimmten Hirnregionen zugeordnet werden. Es ist für den Computer somit viel schwieriger die Informationen zu interpretieren. "Ich kann damit zum Beispiel einen Cursor bewegen", erklärt der Computerwissenschaftler, "aber solche Systeme sind noch Größenordnungen davon entfernt, Prothesen zu steuern."
Mit Hilfe von Cursorbewegungen lassen sich aber über ein Menü Befehle an Maschinen senden. So wurde eine Anwendung für Gelähmte entwickelt, bei der ein Blickrichtungsmessgerät feststellt, wo die Person hin sieht, zum Beispiel auf eine Tasse. Ein intelligentes System erkennt, um was für einen Gegenstand es sich handelt. In einem Menü werden nun Optionen angezeigt, was mit der Tasse angestellt werden soll. Per Gedankenkraft wählt man zum Beispiel "Tasse zum Mund führen" aus – und ein Roboterarm führt die gewünschte Bewegung aus. "Das sind natürlich nur Hilfsmittel", bemerkt Müller.
Weitere Anwendungen EEG-basierter Schnittstellen entwickelt der Forscher mit seiner Arbeitsgruppe im Rahmen des Projekts "Berlin Brain-Computer Interface" (BBCI). Neben Computerspielen, bei denen man etwa "gedanklich" einen Balken verschieben muss, um eine hin und her fliegende Kugel im Bild zu halten, haben die Wissenschaftler eine mentale Schreibmaschine konzipiert. Anstatt mit seinen Fingern zu tippen, muss man hier mit seinen Gedanken Buchstaben aus einem Computermenü auswählen.
In einer Zusammenarbeit mit Daimler entwickeln die Forscher ein System, das bemerken soll, wenn der Fahrer zu müde zum Autofahren ist. "Es stellt fest, wann man kognitiv unaufmerksam ist", erläutert Müller. Ein Nachteil: Man muss sich am Steuer immer die unschöne EEG-Haube auf den Kopf setzen.
Hirn-Computer-Schnittstellen sind aber nicht nur für Medizin, Spiel- und Autoindustrie interessant: Dem Hirn beim Denken zuzusehen, sei etwas ganz Attraktives für Hirnforscher wie Psychologen, meint der Berliner Wissenschaftler. Doch genau bei diesem Punkt setzen auch die Bedenken von Skeptikern ein. Werden Forscher irgendwann Gedanken lesen und gezielt manipulieren können?
Ferngesteuerter Nager
Manipulieren müsse eine Neuroprothese schon, meint Müller: "Wenn ich eine gute Prothese bauen will, muss ich ein Feedback zurückgeben. Das Schreiben in das Gehirn ist dann notwendig."
"Eine gute Prothese braucht Feedback – das Schreiben in das Gehirn ist notwendig"
(Klaus-Robert Müller)
Stößt beispielsweise eine Armprothese gegen einen Widerstand, ist es sehr nützlich, wenn sie dem Gehirn mitteilt, dass es dort nicht weiter geht. (Klaus-Robert Müller)
Es gibt aber auch erschreckende Beispiele von Gedankensteuerung. So haben John Chapin und seine Kollegen vom Suny Downstate Medical Center in Brooklin in einer vom Verteidigungsministerium der Vereinigten Staaten unterstützten Studie die Gehirne von Ratten so stimuliert, dass sie die Tiere fernsteuern konnten [3]. Die Forscher hatten Elektroden im Belohnungszentrum der Nager platziert. Sie schickten etwa immer dann Pulse in das Rattenhirn, wenn das Tier einem bestimmten Geruch folgte. Die "elektrische" Belohnung war wesentlich effektiver, als klassische Futterprämien.
Beim Thema Gedankenlesen kann uns Klaus-Robert Müller aber beruhigen: Man versuche mit Hirn-Computer-Schnittstellen nur, bestimmte Gedankenzustände auszulesen. "Wenn Sie zum Beispiel an die Telefonnummer Ihrer Mutter denken, können wir nur feststellen, dass Sie an Zahlen denken – nicht aber, an welche."
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