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Kommunikation: Buckelwalgesang ähnelt menschlicher Sprache

In den Gesängen von Buckelwalen finden sich charakteristische Muster, die auch in menschlicher Sprache vorkommen. Sie erleichtern den Tieren vermutlich das Erlernen der Gesänge und somit deren kulturelle Weitergabe.
Ein Buckelwal schwimmt knapp unter der Wasseroberfläche im tiefblauen Ozean. Die Sonnenstrahlen brechen durch das Wasser und beleuchten die markanten Falten und die große Flosse des Wals. Keine Menschen sind im Bild zu sehen.
Buckelwale sind berühmt für ihre Unterwassergesänge. Ähnlich wie Menschen und Vögel reihen sie beim Singen Strophe um Strophe kunstvoll aneinander. Damit verständigen sie sich mit ihren Artgenossen über lange Distanzen hinweg.

Menschliche Sprache folgt bestimmten statistischen Regeln. Das bemerkte schon vor fast 100 Jahren der amerikanische Linguist George Kingsley Zipf. Nach ihm ist das zipfsche Gesetz benannt: Das häufigste Wort einer Sprache (im Deutschen »der«) kommt etwa doppelt so oft vor wie das zweithäufigste Wort (»die«), ungefähr dreimal so oft wie das dritthäufigste (»und«) und so weiter. Eine weitere von Zipf entdeckte Regel ist, dass häufige Wörter normalerweise kürzer sind als seltene. Diese Muster erleichtern das Lernen von Sprache und ermöglichen es Babys, den Redefluss in einzelne Wörter zu strukturieren. Ein internationales Forscherteam um Inbal Arnon von der Hebräischen Universität Jerusalem fand nun heraus, dass in Gesängen der Buckelwale ebenfalls wiederkehrende Elemente vorkommen, deren Häufigkeitsverteilung jener in menschlichen Sprachen gleicht und damit den zipfschen Gesetzmäßigkeiten entspricht.

»Seitdem wir über die statistischen Muster in der menschlichen Sprache Bescheid wissen, suchen Forscher nach ähnlichen Merkmalen in den Kommunikationssystemen anderer Tiere«, sagt Simon Kirby von der University of Edinburgh, der an der Studie beteiligt war. Allerdings habe es bislang wenig Beweise für die Existenz von wortähnlichen Einheiten bei anderen Arten gegeben, die der zipfschen Häufigkeitsverteilung folgen.

Die Gesänge von Buckelwalen gehören zu den außergewöhnlichsten kulturellen Ausdrucksformen im Tierreich. Ausschließlich von Männchen vorgetragen, durchdringen die Klänge den Ozean über viele Meilen und können Stunden andauern. Junge Wale lernen sie oft von erfahrenen Sängern, und Jahr für Jahr werden die Lieder komplexer – vielleicht um potenzielle Partnerinnen zu beeindrucken. Verschiedene Versionen der Gesänge können sogar auf andere Walgemeinschaften im Südpazifik übergreifen, die sie kopieren und verändern.

Bei genauerer Betrachtung sind die Gesänge von Buckelwalen in einer Weise strukturiert, die der menschlichen Sprache ähnelt. Genau wie wir grundlegende Laute (Phoneme) zu Wörtern, Phrasen, Strukturen und Erzählungen kombinieren, folgen die Wallieder einem ähnlichen hierarchischen Muster. Sie bestehen aus Klangeinheiten, die miteinander verbunden werden und standardisierte »Phrasen« bilden. Mehrfach wiederholt, wird aus diesen Phrasen dann ein »Thema«. Mehrere Themen kommen zusammen, und ein »Lied« entsteht; aus mehreren Liedern wird eine »Liedersitzung«.

Von Babys inspiriert

Für uns mögen Walgesänge wie eine Reihe zufälliger Laute klingen. Doch menschliche Babys nehmen Sprache anfangs auf ähnliche Weise wahr, bevor sie lernen, wo einzelne Wörter anfangen und enden, und Regelmäßigkeiten im Sprachfluss erkennen. Jahrzehntelange Forschung hat gezeigt, dass Säuglinge statistische Hinweise darüber nutzen, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Laut dem anderen folgt. Hinweise wie Rhythmus und Prosodie spielen dabei eine entscheidende Rolle, da Pausen zwischen Wörtern selten sind.

»Wir haben uns gefragt: Was, wenn Wale ihren Gesang auf ähnliche Weise lernen wie menschliche Babys das Sprechen?«, sagt Kirby. »Anders ausgedrückt, welche wortähnlichen Einheiten würde ein menschliches Baby entdecken, wenn es Walgesang hört?« Also entwickelten die Wissenschaftler einen Algorithmus, inspiriert von der Art und Weise, wie Säuglinge Sprache lernen: Er suchte nach Lauten, die im Kontext überraschend sind, und ordnete diese jeweils als den Beginn eines neuen Lauts ein (etwa ein ansteigendes Stöhnen gefolgt von einem Grunzen). Damit analysierte das Team 33 Stunden akustisches Material von Buckelwalgesängen, die es über acht Jahre hinweg in Neukaledonien gesammelt hatte.

»Die Art und Weise, wie Wale ihr Lied lernen, ähnelt möglicherweise derjenigen, wie Babys Sprache lernen«Simon Kirby, Kognitionswissenschaftler

Den Experten gelang es, wiederkehrende Segmente zu identifizieren, deren Häufigkeitsverteilung dem ersten zipfschen Gesetz folgten. Und auch die Regeln des zweiten zipfschen Gesetzes fanden sie in den Walgesängen wieder: Häufige Elemente waren kürzer als seltene. Dieses Muster, das in vielen tierischen Kommunikationssystemen beobachtet wird, dient wohl einer gesteigerten Effizienz.

Auf Effizienz getrimmt

»Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Art und Weise, wie Wale ihr Lied lernen, möglicherweise derjenigen ähnelt, wie Babys Sprache lernen«, erklärt Kirby. Laut Andrew Whiten, der an der schottischen University of St Andrews Evolutions- und Entwicklungspsychologie lehrt und nicht an der Studie beteiligt war, hat der Selektionsdruck sowohl bei Menschen als auch bei Walen eine möglichst effiziente Ausdrucksform hervorgebracht. Man nennt das Konvergenz: Auf Grund eines vergleichbaren Selektionsdrucks können sich ähnliche Merkmale oder Verhaltensweisen ausprägen – unabhängig vom Verwandtschaftsgrad der Arten. »Dadurch können Buckelwale wahrscheinlich die komplexen Gesangsstrukturen leichter lernen«, so der Forscher.

»Wir glauben nicht, dass Wale ihren Gesang auf dieselbe Weise verwenden wie wir Sprache, um Bedeutungen zu vermitteln«, sagt Kirby. »Man sollte ihn eher als Musik denn als Sprache betrachten, wobei die Komplexität und Neuheit in den Liedern besonders für Weibchen attraktiv ist«, so Whiten. Mason Youngblood von der Stony Brook University, New York, resümiert: »Die Studie trägt zu einem wachsenden Konsens darüber bei, dass viele Merkmale, die früher als einzigartig für die menschliche Sprache galten, wie die zipfschen Gesetze, deutlich weiter verbreitet sind als bisher angenommen.«

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  • Quellen
Arnon, I. et al.: Whale song shows language-like statistical structure. Science 387, 2025

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