Kommunikation: Menschen schreien komplizierter
Der »Wilhelm-Schrei« ist der berühmteste Schmerzensschrei der Popkultur, kam in »Star Wars«- und »Indiana Jones«-Filmen ebenso zum Einsatz wie im Computerspiel »Red Dead Redemption«. Doch Schmerz ist nur einer von mindestens sechs unterscheidbaren Gründen, warum Menschen schreien, berichtet nun eine Arbeitsgruppe um Sascha Frühholz von der Universität Zürich – und Schreie sind weit mehr als bloße Alarmsignale. Zu diesem Schluss kommt das Team in einer neuen Studie in »PLOS Biology«, für die es Versuchspersonen Schreie bewerten ließ und ihre Hirnaktivität mittels funktioneller Kernresonanztomografie (fMRI) maß.
Zwölf Schreiwillige stießen dafür Schreie aus, die sie mit Schmerz, Angst, Wut, Trauer, Freude und Vergnügen in Verbindung brachten. Anschließend bewerteten Fachleute aus der Arbeitsgruppe, ob es sich tatsächlich um Schreie handelt – denn es gibt keine klare Definition eines Schreis, man erkennt ihn aber, wenn man einen hört. Allerdings lassen sich die verschiedenen Schreitypen laut der Untersuchung anhand ihres Klangspektrums voneinander und von einem emotional neutralen Schrei unterscheiden. Zusätzlich bewerteten 23 unabhängige Personen die Schreie daraufhin, wie alarmierend sie sind: Bei anderen Säugetieren sind Schreie nahezu immer Warn- oder Alarmrufe.
Bei den menschlichen Schreien konnten die Versuchspersonen jedoch zuverlässig zwischen alarmierenden und nicht alarmierenden Schreien unterscheiden. Besonders bemerkenswert: Es waren keineswegs die mit negativen Emotionen verbundenen Schreie, auf die Versuchspersonen am stärksten reagierten. Wie die Arbeitsgruppe berichtet, identifizierten sie die positiven Schreie schneller und genauer, und ihr Gehirn war dabei aktiver. Das steht im Widerspruch zur angenommenen biologischen Alarmfunktion der Schreie.
Frühholz und sein Team sehen das als Indiz dafür, dass bei Menschen die Alarmfunktion bei Schreien nicht mehr ausschließlich im Vordergrund steht. »Positive Emotionen durch Schreie zu signalisieren und sie wahrzunehmen, scheint bei Menschen gegenüber Alarmsignalen an Priorität gewonnen zu haben«, zitiert eine Pressemitteilung den Forscher. Womöglich hätten die komplexen Anforderungen des menschlichen Sozialverhaltens dazu geführt, dass sich die Prioritäten verschieben.
Offen ist allerdings die Frage, ob die »freiwilligen« Schreie sich von echten Schreien unterscheiden und wie die Ergebnisse in dem Fall aussähen. Womöglich können Menschen reale Alarmrufe ebenso gut von Film-Schreien unterscheiden wie in dieser Studie positive Schreie von negativen. Das wird aber mutmaßlich erst einmal ungeklärt bleiben. Eine Studie, bei der Versuchspersonen mit geeigneten Stimuli reale Angst- oder Schmerzensschreie entlockt werden, dürfte weder bei Geldgebern noch bei Ethikkommissionen auf allzu große Gegenliebe stoßen.
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