Miteinander reden: Wie man Gräben überwindet
Nach der US-Präsidentschaftswahl 2016 beobachteten drei langjährige Freunde – der Autor David Blankenhorn, Familientherapeut Bill Doherty und Familienforscher David Lapp – eine zunehmende Feindseligkeit zwischen Demokraten und Republikanern. Sie waren beunruhigt angesichts der Kluft zwischen den beiden Lagern, die weit über politische Meinungsverschiedenheiten hinausging. Immer mehr Liberale und Konservative schienen einander für zutiefst unmoralisch, dumm und bösartig zu halten, und immer weniger schienen interessiert an einem konstruktiven Austausch mit der anderen Seite.
Die drei hatten eine Idee, angeregt durch die berufliche Expertise von Doherty, Professor für Familienforschung und Programmdirektor eines Projekts für Paare in der Krise an der University of Minnesota: Könnten einige der Techniken der Familientherapie helfen, die amerikanische »Familie« zu heilen? Sie gründeten eine gemeinnützige Organisation namens »Better Angels«, vor Kurzem umbenannt in »Braver Angels«, und passten die Methoden der Familientherapie an, um so den guten Willen von Liberalen und Konservativen zu fördern. Die drei waren inspiriert von der ersten Antrittsrede des ehemaligen US-Präsidenten Abraham Lincoln (1809–1865), in der er vor den Gefahren der Uneinigkeit warnte. In jener Zeit, als das Land am Rand eines Bürgerkriegs stand, sagte Lincoln, man könne Zwietracht heilen, wenn man nur auf die guten Engel in der eigenen Natur höre, »the better angels of our nature«.
#In den Workshops der »Braver Angels« kommen Demokraten und Republikaner zusammen, um zu lernen, wie man fruchtbarere Gespräche führen kann. Bei einer Übung namens »Fishbowl« (Goldfischglas) bilden die Mitglieder der einen politischen Partei einen Kreis, während die Mitglieder der anderen um sie herumsitzen. Die äußere Gruppe sitzt ruhig da und hört zu, wie die innere Gruppe eine Reihe von Fragen beantwortet, zum Beispiel »Warum glauben Sie, dass die Politik oder die Kandidaten Ihrer Partei gut für das Land sind?« oder »Welche Erfahrung in Ihrem Leben hatte einen großen Einfluss auf Ihre politischen Ansichten?«.
Häufig versuchen wir, andere davon zu überzeugen, ihren Standpunkt aufzugeben. Das kann nach hinten losgehen
Nachdem jede Seite die Möglichkeit hatte zu antworten und zuzuhören, kommen die Gruppen zusammen und sprechen gemeinsam darüber, was alle gelernt haben. »Die Leute sagen oft: ›Vor dem Workshop dachte ich, meine Seite sei zersplittert und unorganisiert und die andere Seite sei geschlossen und organisiert‹«, sagt Blankenhorn. »Sie erkennen dann aber, dass beide Seiten sehr vielfältig sein können.« Und trotz ihrer starken Überzeugungen besserte sich die Einstellung der Workshop-Teilnehmer zueinander.
Wie man sich richtig über Politik austauscht
Die Polarisierung in den USA geht weit über die Politik hinaus. Uneinigkeit ist ein Schlüsselmerkmal des gesellschaftlichen Lebens und durchdringt Organisationen, Familien, Freundschaften und selbst die Reaktion auf Krisen. Regelmäßig haben Menschen miteinander zu tun, deren grundlegende Überzeugungen und Werte sich voneinander unterscheiden. Häufig versuchen sie, einander zu überzeugen, einen Standpunkt aufzugeben und einen anderen zu übernehmen. Aber dieses Ansinnen kann nach hinten losgehen und zu unfruchtbaren Konflikten führen. Die gute Nachricht ist, dass Menschen, die in politischen und sozialen Fragen leidenschaftlich streiten, relativ leicht lernen können, sich produktiv auszutauschen.
Wenn Menschen im Gespräch zugänglich erscheinen, wirken ihre Argumente überzeugender
Unsere Forschung konzentriert sich darauf, die Gesprächsbereitschaft zu verbessern – das Ausmaß, in dem zwei Parteien ihre Bereitschaft signalisieren, sich mit den Ansichten der Gegenseite auseinanderzusetzen. Dazu gehört es, eine Sprache zu verwenden, die signalisiert, dass man wirklich an der Perspektive der anderen Seite interessiert ist. Wenn Menschen im Gespräch zugänglich erscheinen, wirken ihre Argumente überzeugender, wie unsere Arbeit zeigt. Außerdem ist eine solche Sprache ansteckend: Sie macht die Vertreter der anderen Seite im Gegenzug ebenfalls empfänglicher für Argumente. Menschen mögen ihr Gegenüber mehr, wenn es gesprächsbereit wirkt, und sind dann auch eher an einer Zusammenarbeit interessiert. Meinungsverschiedenheiten, die andernfalls zu hitzigen Konflikten eskalieren können, lassen sich so auflösen.
Um die Eigenschaften eines offenen Sprachstils zu ermitteln, haben wir Tausende von Menschen auf politische Äußerungen antworten lassen, mit denen sie nicht einverstanden waren. Dann ließen wir tausende weitere Personen jede Antwort daraufhin beurteilen, wie engagiert, zugänglich und aufgeschlossen der jeweilige Verfasser zu sein schien.
Menschen schätzen demnach Gesprächsbereitschaft sehr ähnlich ein. Unsere Gutachter waren sich im Allgemeinen darüber einig, welche Schreiber offen wirkten und welche nicht. Sie waren jedoch nicht in der Lage zu erkennen, welche Formulierungen einen Text mehr oder weniger offen erscheinen lassen. Deshalb entwickelten wir einen Algorithmus, der jene Wörter und Sätze identifizieren konnte, die Gesprächsbereitschaft vermitteln. Der Algorithmus ermöglichte es also, die entscheidenden Signale aus den Texten herauszulesen.
Ansichten würdigen – auch wenn man sie nicht teilt
Wir stellten fest, dass bestätigende Worte Offenheit vermitteln. Wer Ansichten würdigt, die er nicht teilt, indem er sagt: »Ich verstehe, dass …« oder »Ich glaube, was Sie sagen, ist …«, der zeigt damit, dass er sich innerlich am Gespräch beteiligt. Sich abzusichern, signalisiert ebenfalls Gesprächsbereitschaft; es drückt eine gewisse Unsicherheit in der eigenen Position aus. Beispiel: »Diese Entscheidung könnte unseren Marktanteil erhöhen« klingt weniger dogmatisch und wird daher besser aufgenommen als »Diese Entscheidung wird unseren Marktanteil zweifelsohne erhöhen«.
Ein weiteres Merkmal von Zugänglichkeit ist die Verwendung von positiven statt negativen Begriffen. »Es hilft, die Vorteile davon zu bedenken, weniger Ressourcen zu investieren« wirkt offener als »Wir sollten keine weiteren Ressourcen investieren«. Worte wie »weil« und »deshalb« können argumentativ oder herablassend klingen. Wer sie meidet, erscheint zugänglicher.
Wer in offener Sprache geschult ist, wird als Gesprächspartner bevorzugt
Nachdem wir identifiziert hatten, welche Merkmale von Sprache Gesprächsbereitschaft anzeigen, setzten wir sie in Experimenten ein. Zunächst schulten wir einen Teil der Versuchspersonen fünf Minuten in offener Sprache. Dann ließen wir sie auf einen Aufsatz von einer Person antworten, deren Ansichten sie nicht teilten, etwa zum Umgang der Polizei mit Minderheiten oder zu sexuellen Übergriffen an Universitäten. Eine Kontrollgruppe formulierte Antworten in ihrem gewohnten Sprachstil.
Nun baten wir wieder andere Teilnehmer, auf einen dieser Aufsätze zu antworten, wiederum unter der Bedingung, dass sie mit dem Verfasser nicht übereinstimmten. Die Ergebnisse zeigten: Diejenigen, die in offener Sprache geschult worden waren, konnten ihre Leser eher überzeugen, ihre Meinung zu ändern. Sie wurden auch als künftige Gesprächspartner bevorzugt, und ihnen wurde ein besseres Urteilsvermögen zugesprochen.
Offene Kommunikation veranlasst andere dazu, sich im Gegenzug selbst offener zu verhalten
In einer weiteren Studie nutzten wir Daten von einer Onlineplattform, auf der es oft zu Streit kommt: Wikipedia. Wir verglichen Diskussionen ähnlicher Länge und ähnlichen Datums zu denselben Artikeln, die mal mit, mal ohne persönliche Angriffe abliefen. So konnten wir die Wirkung von Sprache im redaktionellen Prozess analysieren. Wir stellten fest, dass Redakteure, die sich verbal zugänglicher zeigten, in Diskussionen seltener persönlich angegriffen wurden. Eine offene Kommunikation veranlasste andere offenbar dazu, sich im Gegenzug selbst offener zu verhalten.
Die Befunde aus unserer Studienreihe dokumentieren wie schon zuvor die Lehren aus den »Angel«-Workshops: Sich gesprächsbereit zu zeigen, baut eine Brücke über Gräben, sei es in der Politik, in der Familie oder im Berufsleben.
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