Anthropologie: Komplett
Seit seiner Entdeckung vor 150 Jahren wird um ihn gestritten. Dabei weiß niemand so genau, wie er eigentlich ausgesehen hat, tauchten doch immer nur spärliche Überreste von ihm auf. Doch jetzt versuchten zwei Anthropologen, die Lücken zu ergänzen und präsentieren ihn erstmalig komplett: den Neandertaler.
"Als wir angefangen haben, haben wir uns gefragt, warum es noch keiner vor uns versucht hat", wundert sich Blaine Maley. Dabei war die Idee eigentlich nahe liegend: Seit im Jahr 1856 in einem kleinen Tal in der Nähe von Düsseldorf zum ersten Mal die Knochen eines rätselhaften menschlichen Wesens geborgen wurden, tauchten aus aller Herren Länder hunderte Skelettteile der Art auf, welche die Wissenschaft inzwischen unter den Namen Homo neanderthalensis kennt. Doch das vollständige Exemplar eines Neandertalers wurde nie gefunden, und niemand hat bisher versucht, ein Skelett komplett zu rekonstruieren.
Blaine Maley, Doktorand an der Washington-Universität in St. Louis, wollte sich allerdings mit solchen Spekulationen nicht zufrieden geben. Er reiste nach New York, um dem Amerikanischen Museum für Naturgeschichte einen Besuch abzustatten und dort mit dem technischen Leiter des Labors für physische Anthropologie, Gary Sawyer, zu sprechen. Schnell kamen die beiden überein, es zu versuchen: die vollständige Rekonstruktion eines Neandertaler-Skeletts.
Andere Forscher mahnen jedoch zur Vorsicht. "Auch wenn die Gestalt wirklich korrekt ist", meint Fred Smith von der Loyola-Universität in Chicago, "so handelt es sich doch nur um ein einziges Individuum, das nicht unser Bild vom Neandertaler verändern sollte." Die beiden Rekonstrukteure geben sich ebenfalls vorsichtig: "Eine Rekonstruktion ist definitionsgemäß künstlerisch und beinhaltet ein subjektives Element."
Dabei wäre das dringend nötig, weiß doch niemand, wie unser Vetter aus dem Neandertal, der vor schätzungsweise 30 000 Jahren endgültig von der Bildfläche verschwand, wirklich ausgesehen hat. Die Ansichten über seine Erscheinungsweise haben sich zumindest je nach Mode ständig verändert. Ließen die ausgeprägten Augenwülste auf den Schädel des Erstlingsfundes zunächst auf ein eher äffisches Äußeres schließen – auch die Deutung als verkrüppelter Kosak war im 19. Jahrhundert im Gespräch –, wandelte sich das Bild immer mehr von der tumben, keulenschwingenden Kreatur zur feinsinnigen und künstlerisch begabten Persönlichkeit, die sich äußerlich kaum von heutigen Zeitgenossen unterscheidet: Hineingezwängt in einen dunklen Anzug und mit Zeitung unter dem Arm würde er in der U-Bahn nach Auffassung heutiger Anthropologen wohl kein Aufsehen erregen.
Blaine Maley, Doktorand an der Washington-Universität in St. Louis, wollte sich allerdings mit solchen Spekulationen nicht zufrieden geben. Er reiste nach New York, um dem Amerikanischen Museum für Naturgeschichte einen Besuch abzustatten und dort mit dem technischen Leiter des Labors für physische Anthropologie, Gary Sawyer, zu sprechen. Schnell kamen die beiden überein, es zu versuchen: die vollständige Rekonstruktion eines Neandertaler-Skeletts.
Als Grundlage für ihre Bastelarbeiten wählten sie das 50 000 Jahre alte Exemplar "La Ferrassie 1". Dieses erstaunlich gut erhaltene und schon fast vollständige Skelett eines erwachsenen männlichen Neandertalers, das im Jahr 1909 in Frankreich entdeckt worden war, zählt zu den besten Funden, welche die Wissenschaft kennt. Allerdings fehlen auch hier wichtige Teile von Brustkorb, Wirbelsäule und Becken.
Die Forscher versuchten, das Stückwerk mit Knochen anderer männlicher Neandertaler zu ergänzen. Nur wo sich beim besten Willen kein fossiles Stück auftreiben ließ, griffen sie auf Knochenvorlagen moderner Menschen zurück. Heraus kam ein 164 Zentimeter großes Skelett, das fortan anatomische Vergleiche ermöglichen soll.
Erste Unterschiede zwischen Homo sapiens und H. neanderthalensis fielen schon auf: Der Brustkorb des Neandertalers erwies sich als konisches, glockenartiges Gebilde und nicht tonnenförmig, wie früher vermutet. "Die Rekonstruktion vermittelt einen Eindruck von der Robustheit des Neandertaler-Skeletts und erinnert uns daran, wie kraftvoll sie gewesen sein müssen", begeistert sich der Anthropologe Wesley Niewoehner von der California State University. Und auch Saywers Chef, Ian Tattersall, zeigt sich beeindruckt: "Ich hatte wirklich das Gefühl, einem leibhaftigen Neandertaler gegenüberzutreten."
Andere Forscher mahnen jedoch zur Vorsicht. "Auch wenn die Gestalt wirklich korrekt ist", meint Fred Smith von der Loyola-Universität in Chicago, "so handelt es sich doch nur um ein einziges Individuum, das nicht unser Bild vom Neandertaler verändern sollte." Die beiden Rekonstrukteure geben sich ebenfalls vorsichtig: "Eine Rekonstruktion ist definitionsgemäß künstlerisch und beinhaltet ein subjektives Element."
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.