Allergien: Kontaktallergien belasten lebenslang - noch
Die Vorfreude ist groß. Endlich darf sich der jüngste Spross der Familie Ohrlöcher stechen lassen, und die Kleine trägt die nagelneuen Herzstecker ein paar Tage stolz durch die Gegend. Dann aber fangen die Ohrläppchen plötzlich an zu jucken, sind rot geschwollen und wollen nur noch eines: die Ohrringe wieder loswerden. Ein typischer Fall von Kontaktallergie. Das Immunsystem des Kindes hat, wie sich später beim Hautarzt herausstellt, auf das Metall Nickel reagiert, das im Schmuck enthalten war.
Mit seinem Problem steht das kleine Mädchen nicht allein da. "Jeder Sechste wird irgendwann im Lauf seines Lebens einmal eine Kontaktallergie bekommen", sagt Thilo Jakob, Leiter der klinischen Forschergruppe "Allergologie" an der Universitäts-Hautklinik in Freiburg. Aktuell sind mehr als 4000 Substanzen bekannt, die eine solche Überreaktion der Immunabwehr nach dem Hautkontakt auslösen können. Meist handelt es sich dabei um kleine Moleküle und Metallionen. Nickel nimmt auf der Hitliste der Kontaktallergene die Spitzenposition ein.
Kontaktallergien können das Leben, vor allem auch das Berufsleben der Betroffenen sehr belasten. Und reagiert man erst einmal überempfindlich auf einen oder auch mehrere Stoffe, kann das nicht wieder rückgängig gemacht werden. Eine echte Therapie oder gar Heilung der Kontaktallergie gibt es bisher nicht. Meist werden die Entzündungssymptome lediglich mit Substanzen, die das Immunsystem hemmen, abgemildert [1]. Aktuell sehe das Konzept so aus, sagt Jakob: "Man 'wartet' quasi bis jemand eine Allergie hat, macht die Diagnostik und rät dem Patienten dann, dieses oder jenes zu meiden."
Hoffnung keimt auf
Doch es gibt Hoffnung, dass sich daran in Zukunft etwas ändern könnte. Denn immer mehr wird über die genauen immunologischen Vorgänge bekannt, die zu einer Kontaktallergie führen. Und dadurch treten mögliche neue therapeutische oder präventive Ansatzpunkte ans Licht. Thilo Jakob etwa untersucht zusammen mit Forschern seiner Arbeitgruppe und Kollegen von der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, warum nur einige Menschen eine Kontaktallergie bekommen, obwohl die Allergene, zum Beispiel Nickel, überall – vom Hosenknopf bis zum Spielzeugauto – vorkommen.
Eine Möglichkeit wäre, dass die Körperabwehr der Menschen, die nicht reagieren, das Nickel schlichtweg ignoriert. "Oder aber, der Körper schützt sich aktiv davor, übermäßig stark auf eine harmlose Substanz zu reagieren", sagt Jakob. Im Experiment an Mäusen hat Jakobs Team Hinweise für einen solchen aktiven Schutzmechanismus gefunden [2]. Im Zentrum dieses Schutzes steht eine gewisse Gruppe von Immunzellen, die so genannten "regulatorischen T-Zellen", kurz Treg. Diese Treg wachen in der Haut und anderswo im Körper permanent darüber, dass die Abwehrreaktion gegen Infektionserreger nicht aus dem Ruder läuft und dass eine solche gegen harmlose Umweltmoleküle erst gar nicht in Gang kommt.
Brachten die Freiburger Forscher die Haut von Mäusen mit einem Allergen in Kontakt, jedoch in einer 1000-fach niedrigeren Konzentration als sie sonst für die Auslösung einer Allergie benötigt wird, konnten sie bei den Tieren eine Toleranz auslösen. Wurden die Treg-Zellen während des Experimentes kurzzeitig entfernt, kam keine Toleranz zu Stande. Wie sich herausstellte, wirken die Treg-Zellen mit Hilfe von Botenstoffen wie dem Interleukin-10 Entzündungsreaktionen entgegen und sorgen für ein tolerantes Umfeld.
Ob ähnliche Vorgänge auch in der Haut von Menschen ablaufen – und beim einen möglicherweise besser als beim anderen –, können die Experimente der Freiburger bislang noch nicht abschließend klären. Eine Idee zur Prävention von Kontaktallergien leitet Thilo Jakob aber dennoch daraus ab: "Eine Zukunftsidee wäre, Menschen in Risikoberufen präventiv mit extrem niedrigen Dosen an mögliche Kontaktallergene zu gewöhnen, um die Treg zu aktivieren und die Entwicklung eines Hautekzems zu verhindern."
Die "Stealth"-Taktik der Allergene
Was Jakobs Team jetzt herausgefunden hat, funktioniert aber nur, bevor die Betroffenen mit Symptomen auf ein Allergen reagiert haben. Die Immunologen unterscheiden bei einer Kontaktallergie nämlich zwei Phasen: Bei der "Sensibilisierung", die völlig unauffällig verläuft, wird das Immunsystem auf das Allergen aufmerksam. Erst beim nächsten Kontakt, der Monate oder Jahre später erfolgen kann, treten Immunzellen auf den Plan, die rasch eine Entzündungsantwort in der Haut anstoßen, was die Symptome verursacht. Eine Toleranzeinübung im Sinn von Jakobs Idee müsste also vor der Sensibilisierungs-, in jedem Fall aber vor der Symptomphase durchgeführt werden.
Die immunologischen Vorgänge bei einer Kontaktallergie (KA) unterscheiden sich von denjenigen bei Heuschnupfen oder anderen "klassischen" Allergien. Nicht im Spiel sind bei der KA IgE-Antikörper. Diese initiieren sonst bei einer allergischen Reaktion im Zusammenspiel mit den Mastzellen eine Histamin-Freisetzung, was die jedem Allergiker bekannten Symptome auslöst. Bei einer KA wird dagegen der zelluläre Arm der Immunabwehr aktiv. T-Zellen treten dann in der Haut gegen die Allergene an, schütten Entzündungsstoffe aus und locken weitere Immunzellen an, die die Entzündungsreaktion noch verstärken. Die Reaktion bei der KA tritt im Gegensatz zur allergischen Sofortreaktion stets verzögert auf.
Gelingt eine Tolerierung (aus welchen Gründen auch immer) nicht, kommt es bei jedem erneuten Kontakt mit dem Allergen zu den gleichen Beschwerden. Diese können sich über die Jahre verschlimmern und insgesamt von mild bis extrem reichen. Im extremen Fall ist die Haut so sehr geschädigt, dass eine Hauttransplantation im betroffenen Areal erfolgen muss. Damit es erst gar nicht so weit kommt, konzentriert man sich in der Forschung auch auf jene Faktoren, die die Ausbildung einer Kontaktallergie möglicherweise fördern. Dazu zählt all das, was die natürliche Barrierefunktion der Haut schwächt. Als Grenzfläche zur Umwelt schützt die mehrere Zelllagen dicke Hornschicht eigentlich zuverlässig vor dem Eindringen von Fremdstoffen. Doch UV-Strahlung und vor allem Sonnenbrand, die auf der Haut lebende Bakteriengesellschaft – das Mikrobiom – und gewisse Chemikalien können die Barrierefunktion beeinflussen und gegebenenfalls schwächen.
Manche Konservierungsmittel und andere Stoffe fungieren dabei als "Irritanzien". Diese selbst lösen keine Immunantwort wie die Allergene aus. "Sie initiieren aber eine Entzündungsreaktion, weil unter ihrem Einfluss Zellen der Haut zu Grunde gehen", sagt Andreas Luch, Leiter der Abteilung "Sicherheit von verbrauchernahen Produkten" am Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin. Diese Zerstörung könne auch eine Kontaktallergie fördern, weil Allergene dadurch leichter in die unteren Hautschichten vordringen könnten, so der Toxikologe.
Potenzielle Allergene treffen in der Haut dann auf eine Gruppe von Immunzellen, die "Dendritischen Zellen" (DC). In Luchs Abteilung hat man sich mit den DC, die überall im Körper besonders jedoch an seinen Grenzflächen vorkommen, bereits ausführlich beschäftigt. Als Wächterzellen nehmen sie (Fremd-)Moleküle auf und prüfen, ob diese toleriert oder aber eine Immunantwort gegen sie gestartet werden soll. Im letzteren Fall aktivieren sie mit Hilfe von ausgeschütteten Signalstoffen ein Gruppe von T-Zellen. Diese vermehren sich und gehen bei einem erneuten Kontakt gezielt gegen das störende "Fremde" vor.
Wann wird ein Stoff zum Allergen?
Das Miteinander aus DC und T-Zellen in der Haut versuchen Luchs Mitarbeiter im Labor nachzustellen [3]. Aus den gemessenen Botenstoffkonzentrationen und Aktivitätsmustern wollen die Forscher ableiten, ob ein zugegebener Fremdstoff das Potenzial zu einem Allergen hat oder nicht. Bisher wurden für solche Testungen Tierversuche durchgeführt, doch für den Kosmetikbereich sind solche Studien nicht mehr zulässig. "Viele Forscher weltweit sind daher auf der Suche nach zuverlässigen In-vitro-Assays, die das allergene Potenzial von Chemikalien erkennen und quantifizieren können", sagt Luch. Ihr eigener Test klappt schon ganz gut; in der Anwendung müssten aber zukünftig wohl mehrere Testsysteme gekoppelt werden, um verlässliche Ergebnisse zu bekommen, meint der Forscher.
Bei ihren Experimenten hat das Berliner Team eine wichtige zusätzliche Beobachtung gemacht. Ein Molekül auf der Oberfläche der DC, das "PD-L1" ist offenbar am "Finetuning" der Immunantwort beteiligt. "Das PD-L1 dämpft die Ausschüttung von Entzündungsbotenstoffen und trägt so dazu bei, dass die Immunantwort nicht überschießend verläuft", sagt Luch. Der Toxikologe könnte sich vorstellen, dass zukünftig therapeutisch Einfluss auf die Feinregulierung der Immunantwort in der Haut genommen werden könnte – zum Beispiel durch das Aufbringen von Substanzen auf die Haut, die das PD-L1 stimulieren und dadurch eine Allergieantwort gar nicht erst aufkommen lassen.
Wichtig wäre in diesem Zusammenhang, gefährdete Menschen frühzeitig zu identifizieren, um gezielt Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Leider gibt es bisher aber keine Kriterien, nach denen Menschen ihre Anfälligkeit für Kontaktallergien "angesehen" werden kann. Wichtig sei ohnehin, die Exposition gegenüber potenziellen Allergenen zu minimieren, zum Beispiel dadurch, dass sich bestimmte Chemikalien, Metalle oder Farbstoffe erst gar nicht aus den Verbrauchergegenständen herauslösen können, fordert Luch. Das BfR hält beispielsweise die erlaubten Mengen an Duftstoffen, die ebenfalls Kontaktallergien auslösen können, in Spielzeug für zu hoch und fordert außerdem, dass ein strenger Grenzwert für Nickel in Kinderspielzeug festgelegt werde. Denn schon jedes zehnte Kind in Deutschland ist gegenüber Nickel sensibilisiert – und reagiert allergisch auf Ohrring, Jeansknopf und Co.
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