Wahrnehmung: Kontinuierliches Erleben ist eine Illusion
Stellen Sie sich vor, Ihr Wahrnehmungsfeld würde viele Male pro Sekunde zwischen Weitwinkel und engem Fokus hin- und herspringen – so, als würde man permanent unter einem Stroboskop stehen. Mal sieht man gerade so die Hand vor Augen, dann wieder die gesamte Umgebung. Nur dass man dem Lichtgewitter nicht nur ein paar Lieder lang auf der Tanzfläche ausgesetzt ist, sondern ein Leben lang. Genau das spielt sich permanent in unserem Kopf ab, ohne dass wir es bemerken, und natürlich sind daran die kleinen grauen Zellen schuld.
Das Phänomen selbst und die neuronalen Mechanismen dahinter schildern Forscher in der Fachzeitschrift »Neuron«. Das Team der Princeton University und der University of California in Berkeley hatte bei Experimenten mit Affen und Menschen zunächst festgestellt, dass sich die Aufmerksamkeit viermal pro Sekunde sozusagen ein- und ausschaltet: Alle 250 Millisekunden wechselt unsere Wahrnehmung also zwischen einem maximalen Fokus und einem breiteren Situationsbewusstsein.
Den Takt geben so genannte Theta-Hirnwellen im frontoparietalen Netzwerk vor, wie die Autoren erklären. Thetawellen sind Schwingungen mit einer Frequenz von rund drei bis acht Hertz, die man bislang vor allem mit Schläfrigkeit und leichten Schlafphasen in Verbindung brachte. Doch sie modulieren auch unseren Aufmerksamkeitskegel, indem sie die rhythmisch wechselnde Aktivität zweier anderer Hirnwellenbänder koordinieren: der Betawellen in einem Teil des Stirnhirns und der Gammawellen in einem Teil des Scheitellappens. Deren Zusammenspiel sorgt, grob gefasst, für die Balance zwischen Unterdrücken und Verarbeiten von Umweltreizen.
»Unser Gehirn verschmilzt unsere Wahrnehmungen zu einem zusammenhängenden Film«Randolph Helfrich, University of California in Berkeley
Wie lassen sich diese Wechsel mit unserem kontinuierlichen Erleben der Welt vereinbaren? »Unser Gehirn verschmilzt unsere Wahrnehmungen zu einem zusammenhängenden Film«, erklärt Randolph Helfrich, Erstautor der Untersuchung an menschlichen Probanden. »Unsere subjektive Erfahrung der visuellen Welt ist eine Illusion«, sagt die Psychologin und Neurowissenschaftlerin Sabine Kastner, die an beiden Studien beteiligt war. Die Wahrnehmung selbst sei diskontinuierlich, »sie verläuft in kurzen Zeitfenstern, in denen wir mehr oder weniger wahrnehmen können«.
Die Autoren beschreiben die Aufmerksamkeit als eine Art Scheinwerfer, der sich alle 250 Millisekunden verdunkle und dann wieder erstrahle. So behalte das Gehirn ständig den Überblick über die Lage, »hat die Chance, Prioritäten zu überprüfen«, erläutert Ian Fiebelkorn, der die Studie an den Makaken leitete. Das könne ein evolutionärer Vorteil gewesen sein. Die rhythmischen Prozesse seien offenbar früh in der Evolution entstanden. »Wir finden sie bei nichtmenschlichen Primaten und bei unserer eigenen Spezies.«
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