Jubiläum: Konzil von Konstanz - verdammt zum Erfolg
Im 14. Jahrhundert ging ein tiefer Riss durch die Christenheit. Gut 1300 Jahre sind seit der Kreuzigung Christi vergangen – und die Welt jener Menschen, die an ihn glauben, steckt in einer tiefen Krise. Es ist die Zeit des abendländischen Schismas, der großen Spaltung der europäischen Christenheit, in der das Papsttum am Abgrund steht und die katholische Kirche zu zerfallen droht.
Um Himmel und Erde neu zu ordnen und dem beklagenswerten Zustand der Kirche ein Ende zu bereiten, ruft der römisch-deutsche König Sigismund (1368 – 1437) als ranghöchster katholischer Herrscher Europas die weltlichen und geistlichen Würdenträger der Christenheit nach Konstanz. Dort soll ein Konzil, eine Versammlung in kirchlichen Angelegenheiten, die "unitas ecclaesiae", die Einheit der Kirche wieder herstellen. Drei Jahre lang verhandeln die prominenten Herren in der freien Reichsstadt am Bodensee – bis die Spaltung der Kirche schließlich am 11. November 1417 ein Ende hat. An diesem Tag vor 600 Jahren atmete die Christenheit erleichtert auf, als über der Stadt am Bodensee ein auf deutschem Boden einmaliger Ruf ertönt: "Habemus papam".
Dass es letztlich glückte, den Gordischen Knoten des Schismas zu zerschlagen, ist vor allem König Sigismund zu verdanken, dem es nach zähem Ringen gelang, mit großer Beharrlichkeit und diplomatischem Geschick alle politisch bedeutenden Mächte Europas an den Verhandlungstisch zu bringen und die verfeindeten Parteien am Ende auf einen Papst festzulegen.
Was war überhaupt geschehen, dass die Mutter Kirche ihren Gotteskindern so viel Sorgen bereitete?
Lasterhafte Oberhirten
Anno 1309 kam es in der Geschichte des Papsttums zu einem folgenschweren Schritt: Der Heilige Vater in Rom hatte die Stadt am Tiber in Richtung Avignon verlassen, wohin die Kurie unter dem Einfluss des französischen Königs gezogen ist. Es ist der Beginn der so genannten "babylonischen Gefangenschaft", in der die Repräsentanten des Reiches Gottes im Diesseits fast 70 Jahre lang als "Knechte der französischen Herrscher" leben. Hier, fernab vom Grab des Apostelfürsten, residieren die Hüter des Glaubens fortan in einem protzigen Prunkbau, führen einen unmoralischen Lebenswandel und vermehren durch den Handel mit geistlichen Ämtern die Einkünfte der Kurie. Manche Kardinäle und Bischöfe, ja selbst einfache Mönche und Priester tun es dem Heiligen Vater gleich. Zahllos sind im Volk die Klagen über Unzucht und Geldgier der Geistlichen. Brauchte es da noch eines Beweises, dass die Kirche kein Garant des Seelenheils, sondern vorwiegend ein Pfründen- und Sündenpfuhl war?
Eine Sintflut sei nötig, um diese Lasterhöhle hinwegzuspülen, wettert der italienische Dichter Francesco Petrarca. Und aus dem fernen England kommt die Mahnung, dass Gott "seine Schäflein dem Papst, unserem Heiligen Vater, zum Nähren und nicht zum Scheren befohlen habe". Doch während die "Diener der Diener Gottes" im "Babylon an der Rhone" ein Leben in Saus und Braus führen, formiert sich an der Basis mit der Armutsbewegung eine mächtige religiöse Gegenströmung. Bettelmönche predigen seit dem 13. Jahrhundert ein Leben in gottgefälliger Armut. Christus habe arm gelebt, und demnach wären auch jene, die ihm nachfolgten, zu radikaler Armut verpflichtet. Himmelschreiend sei der Kontrast zwischen dem ärmlichen Stall von Bethlehem und der prächtigen Papstresidenz in Avignon.
Unangepasste Denker
Kritik an den Zuständen in der Kirche und am unmoralischen Lebenswandel ihrer Seelenhirten regt sich auch in den Gelehrtenstuben der Universität. Kritische Denker, wie der französische Theologe Pierre d’Ailly (um 1350 – 1420), welche die Vernunft höher schätzen als den Glauben, sorgen dafür, dass die Beziehungen zwischen Kirchenvolk und Amtskirche genauer analysiert werden. Den Prozess, den sie damit anstoßen, fürchten die Hüter der Orthodoxie wie der Teufel das Weihwasser. Denn nun begannen sich zunehmend auch die Laien für die Bibel zu interessieren.
Im Jahr 1383 veröffentlicht der Oxforder Reformtheologe John Wyclif (um 1330 – 1384) eine Bibelübersetzung in englischer Sprache. Das Revolutionäre daran: Jahrhundertelang war den Menschen gepredigt worden, sie brauchten die Vermittlung der Kirche und des Papstes, um der Erlösung teilhaftig werden zu können. Nun stellt der aufrührerische Prediger nicht nur die Deutungshoheit der Kirche in Glaubensfragen, sondern auch gleich das Papsttum in Frage. Wyclif proklamiert die Lehre von der "Macht allein durch Gnade", der zufolge Gott selbst jede Autorität direkt verleiht, und bestreitet den weltlichen Herrschaftsanspruch von Kirche und Papst.
"Wessen Herz ist so verhärtet, dass ihn nicht die schrecklichen, unsagbaren Leiden der Mutter Kirche bewegen?"Heinrich von Langenstein
Damit zieht sich der widerspenstige Engländer die Feindschaft der katholischen Kirche zu, die für sich das alleinige Recht reklamiert, das Wort Gottes zu verkünden – und auszulegen. Biblisches Wissen, so dekretiert 1376 Papst Gregor XI., solle den Laien vorwiegend über die Predigt vermittelt werden. Und weiter: Schriftliches über die Heilige Schrift dürfe nur von der Kirchenleitung selbst verfasst und verbreitet werden, verkündet der Fachmann für das Seelenheil.
Für strenggläubige Dogmatiker sind Wyclifs radikale Thesen Teufelszeug, stehen diese doch im Widerspruch zur Glaubenslehre der Kirche. Aber so sehr die Kirche gegen unangepasste Denker vorging – der britische Historiker Robert Ian Moore spricht von einer regelrechten "prosecuting society" gegenüber Andersdenkenden –, ganz aus der Welt schaffen ließen sich deren abweichlerische Gedanken jedenfalls nicht. 100 Jahre nach Wyclifs Tod fallen dessen Lehren am anderen Ende Europas, im Königreich Böhmen, auf fruchtbaren Boden.
Dort gießt ein weiterer radikaler Theologe, Jan Hus, Öl ins Feuer. Wie Wyclif ist der populäre Volksprediger der Überzeugung, dass der christliche Glaube in erster Linie in der Heiligen Schrift seine Grundlage habe. Auch führt er Klage über die Kirchenoberen, die alles daran setzten, "dass die gemeinen Leute zur Kenntnis der Schrift nicht kommen". Damit aber auch das gemeine Volk seine Auslegung der Bibel verstehen kann, predigt der streitbare Kirchenmann nicht auf Latein, sondern auf Tschechisch. Die Reaktion der Kirche auf die "ketzerische Pestilenz" in Böhmen lässt nicht lange auf sich warten: 1410 wird Jan Hus als Häretiker exkommuniziert.
Zwei Heilige Väter – der Beginn des Großen Abendländischen Schismas
Trotz aller Repression: Die Kritik am sittlichen Verfall der Kirche ebbt nicht ab, weil diejenigen, die in der Kritik stehen, nicht bereit sind, ihrem unchristlichen Lebenswandel abzuschwören. An Reformen ist angesichts dieser Haltung nicht zu denken.
Anlass zur Hoffnung gibt 1377 Papst Gregor XI., der den Amtssitz des Heiligen Vater von der Rhone wieder an den Tiber verlegt. Doch kaum ist der Nachfolger Petri auf seinen angestammten Felsen zurückgekehrt, kommt es zu neuen Verwerfungen innerhalb der katholischen Kirche. Ein Jahr nach der Rückführung des Papsttums nach Rom stirbt Gregor XI. (1378). Immerhin wurde dadurch das erste Konklave seit 75 Jahren wieder in der Heiligen Stadt abgehalten. Als jedoch der neu gewählte Papst, Urban VI., die "Feile der Reform" anlegen will und damit beginnt, Völlerei, Ämterkauf und Lotterleben scharf zu geißeln, erklären ihn die purpurnen Wahlmänner kurzerhand für verrückt und wählen keine fünf Monate später einen neuen Papst aus ihrer Mitte, Clemens VII., einen Verwandten des französischen Königs. Da aber der Erstgewählte von Abdikation nichts wissen will, gibt es nun in der Mutter Kirche zwei Heilige Väter, Urban VI. in Rom und Clemens VII., der bald nach Avignon zurückkehrt.
Das war der Beginn des Großen Abendländischen Schismas, die Spaltung der Kirche in zwei konkurrierende Papstfraktionen. Für fast 40 Jahre, von 1378 bis 1417, gibt es im christlichen Abendland keinen "papa indubitatus", keinen allgemein anerkannten Papst. Ein Zustand, der die Christenheit tief verunsichert, da dieser das auf dem Konzil von Konstantinopel (381) formulierte Glaubensbekenntnis an "die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche" außer Kraft setzt. "Wessen Herz ist so verhärtet, dass ihn nicht die schrecklichen, unsagbaren Leiden der Mutter Kirche bewegen", beschreibt stellvertretend für viele seiner Zeitgenossen der Vizekanzler der Pariser Universität, Heinrich von Langenstein (1325 – 1397), die Gewissensqualen der Gläubigen.
Spaltung der Christenheit
Es liegt in der Logik des Papsttums, dass es zur selben Zeit immer nur einen legitimen Nachfolger des Apostels Petrus geben kann. Jetzt, da es zwei Statthalter Gottes auf Erden gibt, streiten jedoch zwei Päpste um den Primat in der katholischen Kirche. Jeder von ihnen wird von jeweils verschiedenen Herrschern in Europa unterstützt: Zum römischen Papst stehen fast ganz Italien, das Heilige Römische Reich und alle östlichen und nördlichen Staaten, ebenso England. Frankreich, Spanien und Schottland halten zum Papst in Avignon.
Der Gehorsam gegenüber dem Papst ist unter diesen Umständen keine Frage des Glaubens mehr, sondern nur noch politisches Kalkül. Die Abhängigkeit von den Fürsten dieser Welt erschüttert die universelle Sendung des Papstes und untergräbt die Autorität des Heiligen Stuhls. Und noch schlimmer: Die Repräsentation des Papsttums durch zwei miteinander konkurrierende Amtsträger spaltet die abendländische Christenheit, da die Katholiken je nach Land, Territorium oder Diözese jeweils einem anderen Papst gehorchen.
Von nun an ist alles doppelt in der Kirche, von oben nach unten, vom Papst über die Bistümer bis in die kleinste Pfarrei. Doppelt sind die Kirchenstrafen und Verbote – und zum noch größeren Ärgernis die geistlichen Ämter und Stellen von Kardinälen, Bischöfen, Prälaten, die Geld- und Vermögensforderungen. Können die Geistlichen unter diesen Umständen ihren Heilsauftrag überhaupt noch erfüllen? Angesichts eines sinnentleert erscheinenden Papsttums wird der Ruf nach einer Reform der Kirche an Haupt und Gliedern immer lauter. Doch wie aus der schismatischen Sackgasse herauskommen?
Konziliare Mitbestimmung
Einen Weg aus der Krise hatte bereits 1399 der französische Theologe Jean Gerson (1363 – 1429) aufgezeigt. Er hatte die Einberufung eines Konzils gefordert, um dem "Weinen der Kirche" Einhalt zu gebieten. Nur eine Generalversammlung der Kardinäle und Bischöfe, der gescheitesten Theologen aus den berühmtesten Universitäten, der wichtigsten Prälaten, der Fürsten und Vertreter der großen Städte, so der Kanzler der Pariser Universität, könne den "Verirrungen des Papsttums" Einhalt gebieten.
Flankiert wird diese Forderung durch den italienischen Staatstheoretiker Marsilius von Padua. Er lehnt den Primat des Papstes als hierarchische Anmaßung ab und forderte stattdessen, Glaubensfragen der Gemeinschaft der Gläubigen anzuvertrauen. Diese sollen auf einer Kirchenversammlung nach demokratisch-repräsentativem Prinzip beraten werden – und zwar nicht nur von Klerikern, sondern auch von Laien. Damit gilt der Gelehrte als einer der Wegbereiter des Konziliarismus, jener im 13. Jahrhundert erstmals von Kirchenrechtlern propagierten Theorie, wonach ein ökumenisches Konzil die Oberhoheit über den Papst habe.
Diese Ideen aufgreifend versucht ein 1409 in Pisa einberufenes Konzil, die Einheit der Kirche wieder herzustellen. Es setzt kurzerhand sowohl den Avignoneser-Papst Benedikt XIII. als auch den Rom-Papst Gregor XII. als Schismatiker und Häretiker ab und wählt Alexander V. zum Nachfolger. Da aber die beiden geschassten Oberhirten keinerlei Anstalten machen, ihr "gottgegebenes Amt" aufzugeben, gibt es fortan in der Mutter Kirche drei Heilige Väter. "Aus der verruchten Zweiheit war eine verfluchte Dreiheit von Päpsten" geworden, schreibt der Konstanzer Kaufmann Ulrich von Richental in seiner zeitgenössischen Chronik des Konstanzer Konzils.
Promotor des Konzils
Der deutsche König Sigismund erkannte, welche Sprengkraft in religiösen Konflikten schlummerte. Solange es drei Päpste gab, war nicht nur die Kirche geschwächt, sondern auch das fragile christliche Reich. Deshalb erklärte Sigismund die Einheit der Kirche zur Chefsache und berief – nach intensiver diplomatischer Vorbereitung – das erste und bislang letzte Konzil nördlich der Alpen ein.
Dass dabei auch handfeste Machtinteressen im Spiel waren, steht außer Frage. Da Welt und Kirche im christlichen Abendland eins waren, brauchte der deutsche König eine starke Kirche hinter sich, um die Osmanen, die große Bedrohung aus dem Osten, zu bekämpfen. Zudem liebäugelte der Luxemburger mit der Kaiserkrone – und die konnte ihm nur ein Primas der Kirche aufs Haupt setzen, der von der gesamten Christenheit anerkannt wurde.
Am 5. November 1414 wird das Konzil in Konstanz mit einem Gottesdienst feierlich eröffnet, jene universale Kirchenversammlung, die nach den Worten des französischen Kardinals Wilhelm Fillastre "von allen bisherigen Synoden der Kirche am schwersten zusammenzubringen, im Ablauf eigenartig, merkwürdig und gefährlich und an Dauer am längsten war". Lang unter anderem auch deshalb, weil die Agenda für das Konzil gewaltig ist: Die Einheit der gespaltenen Kirche soll wiederhergestellt (causa unionis), die Reform der Kirche "an Haupt und Gliedern" vorangebracht (causa reformatoris) und die Frage abweichender Lehrmeinungen (causa fidei) beraten werden.
Die Causa Hus
Letztere geht das Konzil zuerst an, wohl weil in Glaubensfragen am wenigsten Dissens zwischen den unterschiedlichen Papstfraktionen besteht. Seit seiner Exkommunikation anno 1410 hat sich der Prager Theologe nicht den Mund verbieten lassen. Im Gegenteil! Dieser Dissident, der einer volksnahen, nur an der Bibel orientierten und dem urchristlichen Armutsideal verpflichteten Kirche das Wort redet, hatte im Jahr 1413 noch eins draufgesetzt. "Jedem Christenmenschen", schreibt er in seinem Traktat "De ecclesia", "steht ein Widerstandsrecht gegen unrechtmäßig handelnde Vertreter der Kirche zu". Damit rüttelt Hus an den Thronen der Kirchenfürsten und am Glaubensgebäude der Kirche. Bei Kurie und König läuten spätestens jetzt alle Alarmglocken. Wer die Kirche als "Synagoge des Satans" bezeichnet, den Papst als Räuber, Dieb und Antichrist schmäht und offen zur Missachtung jeder kirchlichen Autorität aufruft, ist eine reale Gefahr für die um Einheit ringende Kirche.
Dieser Aufwiegler erscheint am 3. November 1414 in Konstanz. Hus fühlt sich sicher, schließlich hat ihm Sigismund höchstselbst sicheres Geleit zugesagt. Noch ahnt der populäre Volksprediger nicht, dass konservative Theologen insgeheim bereits belastendes Material gegen ihn gesammelt haben und der König, sein vermeintlicher Protektor, ihn auf dem Altar der Einheit der Kirche opfern wird. Der gewiefte Taktiker Sigismund weiß nur zu gut, dass er die Konzilsfraktionen nicht verärgern darf, will er die "causa unionis" zum Erfolg führen.
Um nicht gleich zu Beginn des Konzils dessen Scheitern zu riskieren, stimmt der fürstliche Pragmatiker einem Häresieverfahren gegen den böhmischen Prediger zu. Eine Untersuchungskommission klagt Jan Hus in einem zweifelhaften Prozess der Verbreitung abweichlerischer Lehren an. Im Namen Gottes ergehen im Sommer des Jahres 1415 in Konstanz zwei Urteile: Das Konzil verurteilt die Lehren des englischen Reformtheologen John Wyclif als ketzerisch. Ebenfalls wurden 30 Thesen als "Errores Iohanni Hus" verdammt. Eine davon, Nr. XIII, zeigt die ganze Brisanz seiner Lehren: "Der sei nicht wahrer Papst, der nach Sitten lebe, die dem Petrus widersprachen; fröne er gar der Habsucht, sei er Stellvertreter des Judas Ischariot; und ebenso sei es mit den Kardinälen." Denn wenn die Heiligkeit des Amtes von der Lebensführung seines Trägers abhing, wäre die ganze Kirche wie ein Kartenhaus in sich zusammengebrochen.
"Aus der verruchten Zweiheit war eine verfluchte Dreiheit von Päpsten geworden"Chronist Ulrich von Richental
Wer derartige Behauptungen in die Welt setzte, sollte in der Hölle schmoren und mitsamt seinen Lehren ewiger Verdammnis anheimfallen. Jan Hus wird als Ketzer zum Tod verurteilt und vor den Toren von Konstanz auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Was an Asche zurückbleibt, wird auf einen Schubkarren geladen und in den Rhein gestreut – auf dass keine Reliquie übrig sei. Der Vergessenheit anheimfallen soll auch der englische Ketzer John Wyclif: Da man diesem im Diesseits nicht mehr habhaft werden kann, verfolgt man ihn bis ins Grab. Seine sterblichen Überreste werden aus geweihtem Grund entfernt, postum verbrannt und in einem Fluss verstreut.
Damit sind die Glaubensfragen auf dem Konzil abgearbeitet – die Probleme innerhalb der Kirche aber längst noch nicht aus der Welt geschafft. Den Menschen Jan Hus vermochte man zu vernichten, der Geist des Ketzertums aber war durch keine Flammen zu löschen.
Primat des Konzils
Nun, da der schärfste Kritiker der katholischen Kirche beseitigt ist, gilt es ein ungleich komplizierteres Problem zu lösen: die Wiederherstellung der Einheit der Kirche. Hinter verschlossenen Türen suchen die Vertreter der deutschen, französischen, italienischen, spanischen und englischen Nationen fieberhaft nach einem Ausweg aus der Krise. Dabei wird immer deutlicher, dass Johannes XXIII. zum Hindernis wird. Er, der als einiger der drei Oberhirten nach Konstanz gekommen ist, um auf dem Konzil seine beiden Konkurrenten absetzen zu lassen, ist bei den in unterschiedliche päpstliche Anhängerschaften (Oböedienzen) gespaltenen Konzilteilnehmern nicht mehrheitsfähig. Als der Pisanerpapst merkt, dass das Konzil aus dem Ruder läuft, flieht er aus Konstanz mit dem Kalkül, dadurch das ganze Konzil zu sprengen.
In dieser Situation verabschiedete die "papstlose" Synode am 6. April 1415 mit dem Dekret "Haec sancta" einen Beschluss, mit dem sie das Konzil zur obersten Autorität der Kirche noch über den Papst erhob. Dies war ein wahrhaft revolutionärer Schritt, der in krassem Widerspruch zum päpstlichen Absolutheitsanspruch stand, wie er im 11. Jahrhundert von Papst Gregor VII. im "Dictatus papae" kategorisch erhoben und von Bonifaz VIII. 125 Jahre später in der Bulle "Unam Sanctam" auf die Spitze getrieben wurde. Plötzlich hatte nicht mehr in jedem Fall der Papst das letzte Wort.
Unter Kirchenhistorikern und Theologen wird diese "konziliare Idee" kontrovers diskutiert. Walter Brandmüller, inoffizieller Chefhistoriker des Vatikans, sieht in ihr eine aus der Not heraus geborene "theologische Lehre für den einmaligen Gebrauch". Generelle Gültigkeit hingegen misst ihr der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf bei. Er sieht im Konziliarismus des Spätmittelalters eine oppositionelle Bewegung gegen eine hochmittelalterliche Primatposition des Papstes. Das Konzil sollte demnach künftig "als eine Art parlamentarische Kontrollinstanz des Papstes eingesetzt werden" mit dem Ziel, eine Balance zwischen der Monarchie des Papstes und dem Konzil als Repräsentanz der gläubigen Christenheit herzustellen.
"Von allen bisherigen Synoden der Kirche am schwersten zusammenzubringen, im Ablauf eigenartig, merkwürdig und gefährlich und an Dauer am längsten"Kardinal Wilhelm Fillastre
Sicher hingegen ist, dass die Entscheidungsträger ein erneutes Scheitern des Konzils in der Schismafrage um jeden Preis verhindern wollen. Und die Chancen dafür stehen gar nicht so schlecht: Der kurz nach seiner Flucht gefangen genommene Johannes XXIII. war am 29. Mai 1415 abgesetzt worden; fünf Wochen später, am 4. Juli, hatte Gregor XII. abgedankt; am 6. Juli 1417 folgte dann die Deposition des Avignon-Papstes, Benedikts XIII. Nun, nach drei Jahren zähen diplomatischen Ringens, war der Weg frei für einen Neuanfang.
Erstaunlich schnell, nach nur dreitägigem Konklave, wählte die Versammlung am 11. November 1417 mit Martin V. einen neuen Papst. Neu war auch, dass nicht nur das Kardinalskolleg, sondern auch die weltlichen Vertreter der fünf beteiligten Konzilsnationen an der Wahl teilnahmen. Ganz im Sinn des klassischen römischen Rechtsprinzips, "was alle angeht, muss von allen gebilligt werden". Damit hatte die Christenheit zum ersten Mal seit rund 40 Jahren wieder ein einziges rechtmäßiges, von allen anerkanntes Oberhaupt. Das Abendländische Schisma war überwunden, die grundsätzliche Frage aber, wer in Zukunft auf Konzilien das Sagen hatte, wird die Christenheit noch Jahrhunderte beschäftigen.
In Konstanz jedenfalls geben die Konzilsteilnehmer den Ton an. Noch vor der Wahl Martins V. wird in dem Dekret "Frequens" (9. Oktober 1417) die turnusmäßige Abhaltung von Konzilien beschlossen: Fünf Jahre nach Konstanz, so heißt es dort, soll ein weiteres Konzil und dann nach sieben Jahren und schließlich regelmäßig alle zehn Jahre eines einberufen werden. Auch wird der künftige Papst zu Reformen verpflichtet, die er fortan im Verbund mit den Konzilsteilnehmern angehen soll.
Die konziliare Idee, die aus der besonderen historischen Situation des Abendländischen Schismas heraus erwachsen war und die in Konstanz erstmals zur realen Anwendung kam, blieb auf den beiden Reformkonzilien von Pavia/Siena (1418/1424 – 1425) und Basel (1431 – 1449) tonangebend. Noch am 14. Mai 1439 dekretiert die Baseler Synode drei Glaubenswahrheiten ("Tres veritates fidei") zu unwiderruflicher Lehrmeinung: Die Hoheit des Konzils über den Papst sowie über jeden Gläubigen und das Verbot einer Konzilsauflösung durch den Papst.
Die Kurie schlägt zurück
Bald zeigte sich jedoch, dass die geistlichen Oberhirten nicht gewillt waren, die Einschränkung ihrer päpstlichen Allgewalt ("potestatis plenitudo") widerstandslos hinzunehmen. Hatte sich schon unter Martin V. (1417 – 1431) eine gegenläufige Bewegung formiert, setzte die römische Amtskirche unter dessen Nachfolger alles daran, den konziliaren Geist, der in Konstanz aus der Flasche gelassen wurde, wieder einzufangen. Immer energischer traten die Päpste den konziliaren Ansprüchen entgegen, bis schließlich Papst Pius II. (1458 – 1468) die Theorie von der konziliaren Suprematie im Jahr 1459 offiziell für ketzerisch erklärte.
Nicht einmal vierzig Jahre nach Konstanz war der Status quo ante wiederhergestellt: Das papalistische Prinzip hatte obsiegt, die römischen Bischöfe den Primat des Handelns zurückgewonnen. Fortan bestimmen nun wieder die Päpste, wann ein Konzil einberufen wird – und verhindern so die Durchführung dringend notwendiger Reformen. Und das ist auch der Grund dafür, warum hundert Jahre nach Konstanz ein Augustinermönch namens Martin Luther in Wittenberg die Reformation auslösen und die Kirche in zwei Konfessionen spalten wird. Der Papst hat die Reform verhindert und dafür die Reformation bekommen.
Die Perestroika in der Kirche blieb nach Konstanz aus. Bis zum II. Vatikanum (1962 – 1965) sollten noch knapp 550 Jahre ins Land gehen, ehe die unfehlbaren Monarchen Gottes, die Demokratie und Aufklärung wie den Leibhaftigen fürchteten, zu der Einsicht gelangten, ihr Amt im kollegialen Verbund mit den anderen Bischöfen auszuüben.
Und dennoch: Vor 600 Jahren wurde in Konstanz Geschichte geschrieben. In der Reichsstadt am Bodensee stießen progressive Kirchenreformer etwas an, das bis heute die Gläubigen beschäftigt: Die "Demokratisierung" einer Institution, die Jahrhunderte von einem einzigen Mann bestimmt wurde, der in allem seinem Tun als unfehlbar galt. Darin liegt die welthistorische Bedeutung des vom 5. November 1414 bis 22. April 1418 tagenden Konstanzer Konzils.
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