Kosmologie: Ein Test für das anthropische Prinzip
»Ein Physiker, der über das anthropische Prinzip spricht, läuft das gleiche Risiko wie ein Geistlicher, der über Pornografie spricht: Egal, wie sehr man sich dagegen ausspricht, einige Leute werden denken, dass man sich ein wenig zu sehr dafür interessiert …« Das soll der Physiker Stephen Weinberg gesagt haben – und es beschreibt gut, was Naturwissenschaftler vom so genannten anthropischen Prinzip halten. Dieses besagt, dass das Universum nur deshalb die Eigenschaften hat, die Leben ermöglichen, weil wir es bezeugen können. Wäre es nicht für die Entwicklung von Leben geeignet, wäre niemand da, der es beschreiben könnte. Aus philosophischer Sicht mag das vielleicht schlüssig erscheinen, doch für Physiker, die alle Phänomene um sich herum verstehen möchten, ist das alles andere als zufrieden stellend.
»Es wird oft als der letzte Ausweg gesehen«, schreiben die Physiker Nemanja Kaloper von der University of California und Alexander Westphal vom DESY in Hamburg in einer im Jahr 2024 erschienenen Veröffentlichung. Demnach führen Fachleute das Prinzip immer dann an, wenn sie feststecken und zum Beispiel nicht erklären können, warum die Stärke der starken Kernkraft genau diesen Wert hat und somit ermöglicht, dass Atomkerne zusammenhalten. Oder weshalb die Schwerkraft eine so große Reichweite hat, dass Planeten, Sterne und Galaxien entstehen konnten. Ein solches Totschlagargument wie das anthropische Prinzip lässt sich eigentlich nicht aushebeln. Doch Westphal und Kaloper stellen in ihrer Arbeit, die nun im »Journal of Cosmology and Astroparticle Physics« erschienen ist, eine Möglichkeit vor, um das anthropische Prinzip zu widerlegen.
Die Grundidee der Forscher ist dabei folgende: Sie zeigen, dass die herkömmlichen Theorien zusammen mit dem anthropischen Prinzip eine bestimmte Vielfalt an Universen vorhersagen, in denen wir leben könnten. Dann argumentieren sie jedoch, dass wir durch den Nachweis bestimmter Dunkle-Materie-Teilchen die Möglichkeiten an Universen, in denen wir uns befinden, viel stärker einschränken. Damit wäre es aus mathematischer Sicht sehr unwahrscheinlich, dass nur das anthropische Prinzip eine Rolle gespielt hat – und es nicht einen triftigen physikalischen Grund gibt, der das Universum gewissermaßen dazu zwingt, so zu sein, wie es ist.
Westphal und Kaloper setzen bei ihren Überlegungen voraus, dass unser Universum aus dem Urknall hervorging, es kurz darauf eine »Inflation« gab, bei der sich die Raumzeit schlagartig ausdehnte, und bestimmte Teilchen namens Axionen existieren.
Wie unser Universum entstanden ist
Vor rund 13,8 Milliarden Jahren gab es einen Urknall. Demnach entstand zu diesem Zeitpunkt unser (damals punktförmiges) Universum und dehnte sich fortan aus. Quantenfluktuationen im jungen Universum haben wahrscheinlich dazu geführt, dass die Materie nicht völlig gleichmäßig verteilt war und sich durch die darauf folgende beschleunigte Ausdehnung des Raums (Inflation) komplexe Strukturen formen konnten, die später zu Galaxien und Sonnensystemen wurden. Dieser Ablauf entspricht den Auffassungen der modernen Kosmologie.
Davon ausgehend spielen Westphal und Kaloper zwei verschiedene Szenarien durch: eines, das für das anthropische Prinzip spricht; und eines, das dagegen spricht.
Im ersten Szenario besteht die mysteriöse Dunkle Materie, der Kosmologinnen und Teilchenphysiker seit Jahrzehnten nachjagen, aus extrem leichten Axionen. Dabei handelt es sich um hypothetische Teilchen, die schon kurz nach dem Urknall existiert haben könnten. Das Axion ähnelt in vielerlei Eigenschaften dem Higgs-Teilchen und wurde ursprünglich in den 1970er Jahren eingeführt, um kernphysikalische Probleme zu erklären. Da Axionen eine Ruhemasse aufweisen, könnten sie in großer Zahl zur Masse des Universums beitragen. Sie werden daher auch als aussichtsreiche Kandidaten für Dunkle Materie gehandelt.
»Im minimalen Rahmen der Physik gibt es keine andere Möglichkeit, das zu erklären, als das anthropische Prinzip anzuwenden«Nemanja Kaloper, Alexander Westphal, Physiker
Damit Axionen als Dunkle-Materie-Teilchen zu den kosmologischen Beobachtungen und den einfachsten theoretischen Modellen zu passen, müssten sie extrem leicht sein. Außerdem lässt sich ihre potenzielle Anzahl stark einschränken, denn weniger oder mehr dieser Teilchen würde die Entstehung von Leben unmöglich machen. Die Menge an ultraleichten Axionen ist daher durch eine gewisse Bandbreite eingegrenzt. »Im minimalen Rahmen der Physik gibt es keine andere Möglichkeit, das zu erklären, als das anthropische Prinzip anzuwenden«, schreiben die beiden Physiker. Das bedeutet: Die Anzahl an Axionen liegt in der passenden Bandbreite, weil wir existieren – in einem anderen Fall wäre Leben überhaupt nicht entstanden.
Im zweiten Szenario gibt es laut Westphal und Kaloper auch Axionen, aber diese sind in dem Fall nicht allein für Dunkle Materie verantwortlich. Die Forscher beschreiben, was passieren würde, wenn man ein anderes Dunkle-Materie-Teilchen messen würde. Demnach müsste es deutlich weniger Axionen geben als im ersten Szenario. Die Menge an erforderlichen Axionen beträgt keine Bandbreite mehr, sondern müsste genau passen. Damit wäre unser Universums etwas sehr Besonderes. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich zufällig zu einem solchen entwickelt hat, ist deutlich geringer als im ersten Szenario. Damit müsste es einen physikalischen Grund dafür geben, dass unser Universum genau so ist, wie es ist.
»Es handelt sich um eine mögliche experimentelle Falsifikation der anthropischen Vorhersagen, obwohl oft behauptet wurde, dass die Anthropik nicht falsifizierbar sei«Nemanja Kaloper, Alexander Westphal, Physiker
Falls Fachleute also auf Dunkle Materie stoßen sollten, die kein ultraleichtes Axion ist (und diese Teilchen trotzdem existieren), wäre gemäß der Argumentation der beiden Forscher das anthropische Prinzip so gut wie ausgehebelt. »Das Interessanteste hier ist, dass es sich um eine mögliche experimentelle Falsifikation der anthropischen Vorhersagen handelt, obwohl in der Vergangenheit oft behauptet wurde, dass die Anthropik nicht falsifizierbar sei«, schreiben Westphal und Kaloper in ihrer Arbeit. Sie geben außerdem an, dass einige der Größen, die dafür gemessen werden müssen, in den nächsten Jahren bestimmt werden könnten.
Vollkommen sicher ließe sich das anthropische Prinzip jedoch nicht falsifizieren, da sich möglicherweise auch die Annahmen der Forscher als falsch erweisen. »Es könnte sein, dass unsere Voraussetzungen in der echten Welt nicht zutreffen, weil zum Beispiel entweder die Inflationstheorie, die Quantenfeldtheorie, die angenommene Form unseres Universums, die allgemeine Relativitätstheorie oder etwas anderes falsch ist«, schreiben die Forscher.
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