Astrophysik: Hinweise aus dem Nichts
Die Astrophysikerin Alice Pisani denkt fasziniert daran zurück, wie sie einmal ein Virtual-Reality-Headset aufsetzte und ins Nichts starrte – genau genommen in einen der vielen gigantischen Leerräume, die den Kosmos durchziehen und Voids genannt werden. »Es war ein erstaunlicher Anblick«, erinnert sich Pisani, die an der Princeton University die Strukturen des Universums auf großen Skalen erforscht. Zunächst schwebte vor ihr ein Durcheinander aus leuchtenden Punkten, jeder von ihnen eine Galaxie. Als Pisani einen virtuellen Schritt hineintat, fand sie sich in einem großen Hohlraum wieder, umgeben von einer Hülle aus Galaxien. Die Darstellung war keine Spekulation dazu, wie eine kosmische Leere aussehen könnte; vielmehr manifestierten sich hier Pisanis eigene Daten.
Die Visualisierung aus dem Jahr 2022 war ein Projekt der Informatikstudentin Bonny Yue Wang von der Cooper Union for the Advancement of Science and Art in New York. Dort hielt Pisani Vorlesungen zur Kosmologie. Voids können sich über Dutzende bis Hunderte von Millionen Lichtjahren erstrecken. Wang hatte Pisanis Daten zu den dunklen Blasen genutzt und eine Augmented-Reality-Ansicht davon erstellt.
So ein Projekt wäre noch ein Jahrzehnt zuvor, als Pisani mit ihrer Forschung zu Voids begonnen hat, unvorstellbar gewesen. Die Existenz solcher ausgedehnten, extrem materiearmen Bereiche ist seit den 1980er Jahren bekannt. Wegen mangelnder Beobachtungsdaten und unzureichender Computerleistung standen die Voids lange nicht im Mittelpunkt der astronomischen Forschung. In jüngerer Zeit zieht das Gebiet angesichts enormer Fortschritte zunehmend Aufmerksamkeit auf sich.
Pisani sowie eine wachsende Zahl von Fachleuten sind davon überzeugt, dass Voids Hinweise zur Lösung wichtiger physikalischer Rätsel geben könnten, etwa zur Natur der Dunklen Materie oder zur Ursache der Dunklen Energie. Mit Hilfe der Voids ließ sich bereits die Vermutung erhärten, dass Einsteins allgemeine Relativitätstheorie auf sehr großen Skalen auf die gleiche Weise funktioniert wie auf kleineren. »Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um Voids für Fragen der Kosmologie zu nutzen«, urteilt Astrophysiker David Spergel, Präsident der Simons Foundation, die grundlagenwissenschaftliche Forschung fördert. Benjamin Wandelt vom Lagrange-Institut in Paris, der Pisanis Doktorarbeit betreut hat, ist ebenfalls der Meinung: »Voids werden gerade zu einem heißen Thema.«
»Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um Voids für Fragen der Kosmologie zu nutzen«Astrophysiker David Spergel, Präsident der Simons Foundation
Ursprünglich haben die ersten Entdeckungen kosmischer Leerräume Ende der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre die Astronomen und Astronominnen kalt erwischt. Offenbar sah das Universum nicht so aus wie lange gedacht. Bis dahin war bekannt: Sterne versammeln sich in Galaxien, und diese wiederum gruppieren sich oft zu Dutzenden oder sogar Hunderten. Aber würde man nur weit genug herauszoomen, so lautete die Lehrmeinung, gliche sich die lokale Klumpenbildung irgendwann wieder aus. Auf größeren Skalen sollte der Kosmos homogen aussehen. Das war eine gut begründete Vermutung, denn Messungen der kosmischen Mikrowellenhintergrundstrahlung legten das nahe. Dieses Licht, das etwa 380 000 Jahre nach dem Urknall ausgesandt wurde, ist hochgradig gleichförmig über den Himmel verteilt. Das spiegelt die einheitliche Anordnung der Materie kurz nach ihrer Entstehung wider. Zwar ist das inzwischen rund 14 Milliarden Jahren her, aber dennoch sollte das heutige Universum grundsätzlich recht homogen geblieben sein.
Von der Erde in die Tiefen des Alls
Bloß lässt sich durch einen einfachen Blick nach oben nicht feststellen, ob das wirklich der Fall ist. Schließlich erscheint der Nachthimmel erst einmal zweidimensional – wir sehen lediglich, wie die Galaxien entlang des Firmaments verteilt sind. Um die Annahme der Homogenität zu bestätigen, war darum nicht nur dieses Wissen entscheidend, sondern darüber hinaus, wie das All in der dritten Dimension aussieht. Es galt also, die Tiefen des Weltraums zu ergründen und die Distanz vieler naher und ferner Galaxien zur Erde zu messen.
Eine solche Beobachtungskampagne unternahmen im Jahr 1978 Laird Thompson von der University of Illinois Urbana-Champaign und Stephen Gregory von der University of New Mexico. Dabei entdeckten sie die ersten Hinweise auf gigantische Leerräume, was die Annahme einer halbwegs einheitlichen Materieverteilung erschütterte. 1981 fand ein Team um Robert Kirshner von der Harvard University einen besonders stattlichen Void mit einem Durchmesser von etwa 400 Millionen Lichtjahren in Richtung des Sternbilds Bärenhüter (Bootes). Dessen unfassbares Ausmaß verdeutlichte Gregory Scott Aldering vom Lawrence Berkeley National Laboratory mit folgendem Vergleich: Würde sich die Milchstraße im Zentrum des Bootes-Voids befinden, hätten wir bis in die 1960er Jahre nicht gemerkt, dass es überhaupt noch weitere Galaxien im Universum gibt.
Die ersten entdeckten Voids waren nicht einfach nur seltene Glücksfunde. Das wiesen Margaret Geller, John Huchra und Valérie de Lapparent, die damals in Harvard tätig waren, im Jahr 1986 nach. Die Forschungsgruppe hatte in mühevoller Kleinarbeit die Entfernungen zu Hunderten von Galaxien untersucht, die sich über einen großen Teil des Himmels erstreckten, und festgestellt, dass es überall Leerräume zu geben schien. »Es war sehr aufregend«, erinnert sich de Lapparent, inzwischen Forschungsdirektorin am Institut d'Astrophysique de Paris (IAP). Damals versuchte sie als Studentin zusammen mit Geller, die großräumige Struktur des Universums zu verstehen. Ein zuvor erstellter Querschnitt des benachbarten Weltalls hatte Hinweise auf eine fadenförmige Struktur mit Regionen stärker konzentrierter Galaxien gezeigt. »Margaret ging davon aus, es würde sich lediglich um einen Beobachtungsfehler handeln«, resümiert de Lapparent, »aber wir mussten das überprüfen.« Sie wollten weiter hinausschauen und benutzten dafür ein relativ kleines Teleskop auf dem Mount Hopkins in Arizona. »Nach einer Nacht Training an diesem Teleskop war ich auf mich allein gestellt«, sagt de Lapparent. Als sie fertig war, verortete sie die aufgezeichneten Galaxien gemeinsam mit Geller und Huchra auf einer Karte. »Dort lagen nun diese riesigen, kreisförmigen Hohlräume, und um sie herum waren lauter Galaxien wie entlang scharfer Wände gezogen.«
Wie die drei in ihrer Veröffentlichung schrieben, stellte das seinerzeit »die Modelle für die Entstehung großräumiger Strukturen vor enorme Herausforderungen«. Spätere, eingehendere Untersuchungen zeigten ein gigantisches Netz von Galaxien und Galaxienhaufen, bei dem materiereiche Regionen durch dünnere Filamente miteinander verbunden sind. Dazwischen liegt Leere. Während der Kosmos, als er die Strahlung des Mikrowellenhintergrunds ausgesendet hat, noch glatt gestrichen war wie ein Frischkäse, ähnelt er heute offenbar eher einem Emmentaler.
Dunkler Antrieb der Strukturbildung
Welche Kräfte ließen das Universum derart heranreifen? Ein Faktor war mit ziemlicher Sicherheit die Dunkle Materie. Die Existenz dieser unsichtbaren Substanz wurde auf Basis indirekter Hinweise in den 1980er Jahren allmählich in der Astrophysik akzeptiert. Dunkle Materie macht insgesamt grob sechsmal so viel Masse aus wie die gewöhnliche, sichtbare Materie. Damit wäre die Anziehungskraft in etwas dichteren Regionen im frühen Universum stärker gewesen als zuvor gedacht. Sterne und Galaxien hätten sich bevorzugt in solchen Gebieten gebildet, während Regionen mit geringer Dichte weitgehend leer geblieben wären.
Die meisten Beobachtungen und Theorien konzentrierten sich daraufhin eher auf die materiereichen Filamente im kosmischen Netz als auf die Leerräume. Das lag nicht an mangelndem Interesse; es gab dort schlicht nicht viel zu sehen. Voids sind allerdings nicht weniger wichtig, nur weil sie kaum etwas enthalten. Ihre bloße Existenz, ihre Form und Größe sowie ihre Abstände zueinander müssen das Ergebnis derselben Wechselwirkungen sein, die dem Universum insgesamt seine Struktur verleihen.
Um mit Hilfe der Voids zu verstehen, wie diese Kräfte wirken, waren statistische Analysen nötig. Zunächst gab es für hilfreiche Schlussfolgerungen aber schlicht zu wenige Beispiele. Ähnlich verhielt es sich anfangs mit der Exoplanetenforschung: Die frühesten in den 1990er Jahren identifizierten Exemplare waren zwar der Beleg dafür, dass es jenseits des Sonnensystems tatsächlich Planeten gibt, die andere Sterne umkreisen. Aber erst das darauf spezialisierte, 2009 gestartete Kepler-Weltraumteleskop erlaubte mit seinen Tausenden von Entdeckungen belastbare Aussagen darüber, wie viele und welche Arten von Planeten die Milchstraße bevölkern.
Auf ein weiteres Problem bei der Untersuchung von Voids wiesen 1995 Barbara Ryden von der Ohio State University und Adrian Melott von der University of Kansas hin. Himmelsdurchmusterungen von Galaxien werden im »Rotverschiebungsraum« durchgeführt statt im aus unserem Alltag gewohnten Koordinatensystem. Was ist damit gemeint? Lichtwellen werden während der fortlaufenden Ausdehnung des Universums gestreckt – von ihren ursprünglichen Farben hin zu längeren, also röteren Wellenlängen. Je weiter ein Objekt von uns entfernt ist, desto stärker wird sein Licht verzerrt. Beispielsweise wurde das James Webb Space Telescope so konstruiert, dass es das Leuchten der allerersten Galaxien im Universum aufzeichnen kann, das aus dem sichtbaren Spektrum heraus ins Infrarote verschoben wurde. Die Strahlung des kosmischen Mikrowellenhintergrunds – das älteste Licht, das sich überhaupt noch registrieren lässt – ist sogar noch langwelliger.
Wie Ryden und Melott schrieben, ist es »viel einfacher, die Rotverschiebung zu messen als die physikalische Entfernung von Galaxien«. Doch das Phänomen kann bei Galaxien rund um einen Void zu Verzerrungen führen und so eine irreführende Vorstellung von der Größe und Form der Leerräume vermitteln. Nico Hamaus von der Ludwig-Maximilians-Universität München erklärt die Ursache: Während der Expansion eines Voids bewegt sich die nahe Hälfte auf uns zu und die andere von uns weg. Der Unterschied reduziert die Rotverschiebung auf der nahen Seite und verstärkt sie auf der fernen. Dadurch erscheint der Void übermäßig lang gestreckt.
Omnipräsente Leeren
Trotz solcher Schwierigkeiten gab es in den späten 2000er Jahren immer besseres Rüstzeug zum Untersuchen der Leerräume. Himmelsdurchmusterungen wie der Sloan Digital Sky Survey hatten den Kosmos viel eingehender kartiert und bestätigten die Allgegenwart von Voids. Unabhängige Beobachtungen zweier Teams hatten in der Zwischenzeit die Existenz von Dunkler Energie aufgedeckt. Sie wirkt wie eine Art negative Schwerkraft auf das Universum insgesamt und bringt es dazu, sich immer schneller auszudehnen, statt seine Expansion allmählich zu verlangsamen, wie man wegen der gegenseitigen gravitativen Anziehungskraft zahlloser Galaxien erwarten sollte. Voids schienen einen viel versprechenden Ansatz zur Untersuchung dessen zu bieten, was hinter dieser Energie des leeren Raums stecken könnte.
Benjamin Wandelt erkannte den Wert von Voids für seine Studien zur Strukturbildung des Universums. »Diese Regionen mit geringerer Dichte sind in mancher Hinsicht viel ruhiger und lassen sich besser modellieren.« Wie Wandelt erläutert, herrscht im Vergleich dazu in den dazwischenliegenden Filamenten »Chaos« – die Galaxien und Gasvorräte prallen unter komplizierten Wechselwirkungen ständig aufeinander, was die Informationen über ihre eigentliche Entstehungsgeschichte verwischt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Anziehungskraft zwischen den Galaxien auf kleineren Skalen stark genug ist, um der Expansion des Universums und der Dunklen Energie entgegenzuwirken. Unsere große Nachbargalaxie Andromeda zum Beispiel nähert sich der Milchstraße immer mehr an; in einigen Milliarden Jahren werden beide miteinander verschmelzen. In Voids hingegen dominiert laut Wandelt die Dunkle Energie: »Die größten dehnen sich tatsächlich schneller aus als der Rest des Universums«. Das macht sie zu idealen Studienobjekten für die noch immer rätselhafte Kraft.
Voids könnten nicht nur bei der Dunklen Energie erhellend sein, sondern ebenso bei der Dunklen Materie. Zwar enthalten sie viel weniger davon als die Galaxienhaufen und Filamente im kosmischen Netz, aber ein wenig Dunkle Materie sollte selbst in den Voids vorhanden sein. Und im Gegensatz zum Chaos der wirbelnden Gase und kollidierenden Galaxien sind die Leerräume ruhig genug, um möglicherweise die Teilchen nachzuweisen, aus denen die Dunkle Materie vielleicht besteht. Dunkle-Materie-Partikel würden sich nicht direkt zeigen, da sie weder Licht absorbieren noch aussenden. Aber sie könnten gelegentlich miteinander kollidieren und dabei Blitze von Gammastrahlen hervorrufen. Außerdem würden sie aufleuchten, falls sie zerfallen. Ein hinreichend empfindliches Weltraumteleskop könnte solche Signale registrieren.
Im Gegensatz zu wirbelnden Gasen und kollidierenden Galaxien sind die Leerräume ruhig
Zudem helfen Voids vielleicht dabei, einige Rätsel rund um Neutrinos zu lösen. Die Elementarteilchen flitzen durch das Universum, nahezu ohne mit gewöhnlicher Materie in Wechselwirkung zu treten, und sie galten früher als masselos. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass die drei bekannten Arten von Neutrinos Massen besitzen. Allerdings ist unklar, warum das so ist oder wie groß die Werte genau sind.
Geisterteilchen im Nichts
Da Neutrinos beinahe ungehindert und fast mit Lichtgeschwindigkeit durch den Kosmos sausen, klumpen sie weder mittels ihrer eigenen Schwerkraft zusammen noch unter der Wirkung der Dunklen Materie im Gerüst des kosmischen Netzes. Voids enthalten stets eine gleichmäßig verteilte, konstante Menge Neutrinos – denn die Teilchen, die heraussausen, werden ständig durch andere ersetzt, die hineinströmen. Und deren kombinierte Schwerkraft kann dazu führen, dass sich die Hohlräume mit der Zeit langsamer ausdehnen, als sie es ohne Neutrinos tun würden. Die Wachstumsrate lässt sich bestimmen, indem man die durchschnittliche Größe von Voids im frühen mit denen im heutigen Universum vergleicht. Das gibt vielleicht Aufschluss über die genauen Massen der Neutrinos.
Seit Pisani 2011 mit ihrer Forschung an Voids begonnen hat, hat sich das Feld stark verändert. Pisani erzählt davon, wie Wandelt ihr Vorschläge für mögliche Dissertationsthemen unterbreitete. Einer davon waren kosmische Voids. »Ich hatte das Gefühl, dass es die riskanteste Wahl war«, erinnert sie sich, »weil es damals nur sehr wenige Daten gab.« Doch gerade diese Herausforderung reizte Pisani. Damals fehlten noch die nötigen Informationen, um die Eigenschaften der Voids anhand von Computermodellen zu testen und die Einflüsse von Dunkler Materie, Dunkler Energie, Neutrinos und der Strukturbildung im Universum insgesamt zu berücksichtigen. »Als ich mit meiner Doktorarbeit anfing, waren weniger als ungefähr 300 Voids bekannt. Heute wissen wir von mehr als 6000.«
Erste erfolgreiche Auswertungen
Dennoch reichen die Daten immer noch nicht für umfassende statistische Auswertungen, wie sie für die Beantwortung kosmologischer Fragen nötig wären – mit einer Ausnahme. Eine unter anderem von Hamaus, Pisani und Wandelt im Jahr 2020 veröffentlichte Analyse zeigt, dass sich die allgemeine Relativitätstheorie auf sehr großen Skalen weitgehend so verhält wie im lokalen Universum. Voids lassen sich zu solchen Untersuchungen heranziehen, weil ihre Entstehung vermutlich mit der Art und Weise zusammenhängt, wie Dunkle Materie die gewöhnliche Materie an sich zieht. Dadurch formt sich das kosmische Netz und Voids bleiben zurück. Was aber wäre, wenn die allgemeine Relativitätstheorie als unsere beste Theorie der Schwerkraft bei sehr großen Entfernungen irgendwie anders funktioniert? Diese Annahme diente früher als Grundlage alternativer Erklärungsansätze für die Dunkle Materie.
Bei ihrer Untersuchung der Dicke der Materieschichten rund um die Voids stellten Hamaus, Pisani und Wandelt jedoch fest, dass man sich hier auf Einsteins Theorie verlassen kann. Zur Erläuterung, warum solche Schlussfolgerungen möglich sind, soll man sich laut Wandelt einen Void »wie einen Kreis vorstellen, dessen Radius mit der Expansion des Universums zunimmt«. Dabei stößt er an die Grenzen der Galaxien und Galaxienhaufen an seinem Rand. Mit der Zeit verdichten sich diese Strukturen nach den Gesetzen der Schwerkraft – gewissermaßen wird die Wand der Voids kompakter. Dunkle Energie und Neutrinos wirken sich bei den Vorgängen zwar ebenfalls aus, aber da sie sowohl innerhalb als auch außerhalb der Leerräume gleichmäßig verteilt sind, ist ihr Einfluss insgesamt viel geringer als derjenige der Gravitation.
Pisani hofft, dass sich die Zahl der bekannten Voids im Lauf des Jahrzehnts in die Hunderttausende steigern wird: »Das ist eines der Forschungsfelder, bei denen die Menge wirklich einen Unterschied macht.« David Spergel erwartet außerdem von den Fortschritten im Bereich des maschinellen Lernens erheblich verbesserte Analysemethoden.
Viele Wege führen ins Nichts
All die neuen Daten werden aber wohl eher nicht aus Projekten stammen, die explizit auf die Suche nach Voids ausgerichtet sind, sondern vielmehr als Nebenprodukt allgemeinerer Durchmusterungskampagnen entstehen, wie schon beim Sloan Digital Sky Survey. Die im Juli 2023 gestartete europäische Euclid-Mission wird beispielsweise eine umfangreiche und hochpräzise 3-D-Karte des kosmischen Netzes erstellen. Das Nancy-Grace-Roman-Weltraumteleskop der NASA soll von 2027 an eine Vermessung im Infrarotbereich beginnen. Auch vom Erdboden aus gibt es Unterstützung: Ab 2025 wird das Vera C. Rubin Observatory kosmische Strukturen kartieren. Das sind nur einige Beispiele für Projekte, die zusammengenommen bald den Bestand an bekannten Voids um zwei Größenordnungen erhöhen dürften.
»Ich erinnere mich an einen der ersten Vorträge, die ich auf einer Konferenz in Italien über Void-Kosmologie gehalten habe«, sagt Pisani. »Am Ende kam aus dem Publikum keine einzige Frage.« Damals war sie sich nicht sicher, ob der Grund dafür Skepsis war oder lediglich der Umstand, dass zu dem ungewohnten Thema niemandem etwas einfiel. Im Nachhinein denkt sie, es war wohl ein bisschen von beidem. »Die Schwierigkeit bestand zunächst darin, alle davon zu überzeugen, dass es sich um vernünftige Wissenschaft handelt, mit der man sich beschäftigen sollte.«
»Die Schwierigkeit bestand zunächst darin, alle davon zu überzeugen, dass es sich um vernünftige Wissenschaft handelt«Kosmologin Alice Pisani
Das ist jetzt viel weniger ein Problem. Laut Pisani umfasst allein die Gruppe, die sich bei der Euclid-Mission mit Voids beschäftigt, etwa 100 Personen. »Alice war eine unerschrockene Pionierin«, urteilt Wandelt über seine ehemalige Doktorandin. Als sie an ihren ersten gemeinsamen Veröffentlichungen zu Voids arbeiteten, so erinnert er sich, sahen sie sich in Fachkreisen noch »ernsthaften Zweifeln gegenüber, dass man mit Voids irgendetwas anstellen könnte, das aus kosmologischer Sicht interessant wäre«. Für Wandelt ist die größte Bestätigung für seine Arbeit die Tatsache, dass einige der ehemaligen Kritiker inzwischen enthusiastische Befürworter sind.
Trotz aller Zuversicht betont Pisani, dass sich allein mit Voids nicht sämtliche großen astrophysikalischen Fragen beantworten lassen werden. Aber die Untersuchung der Leerräume bietet eine von anderen Herangehensweisen unabhängige Strategie, mit der sich Hypothesen zur Dunklen Materie, zur Dunklen Energie, zu Neutrinos und zur kosmischen Strukturbildung überprüfen lassen werden. »Ich finde den Gedanken reizvoll und sogar ein wenig poetisch«, sagt Wandelt, »dass sich in Bereichen, in denen es eigentlich nichts gibt, wertvolle Hinweise zu einigen der wichtigsten Rätsel des Universums verbergen.«
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