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Krankenhausreform: Revolution für die Notfallversorgung?

Mit der geplanten Reform soll die Krankenhauslandschaft stabiler aufgestellt werden. Für die Notfallversorgung bietet das große Chancen – aber vorerst herrscht Verunsicherung.
Einlieferung eines Notfalls im Krankenhaus. Notärzte und Krankenhauspersonal transportieren Verletzten auf einer mobilen Liege
Ein Notfall wird eingeliefert. Oft suchen auch Menschen selbst die Ambulanz im Krankenhaus auf. Diese Notfallversorgung soll nun reformiert werden.

»Die notfallmedizinische und intensivmedizinische Versorgung wird sich zukünftig deutlich verbessern.« So optimistisch sieht Felix Walcher, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), das Eckpunktepapier zur Krankenhausversorgung. Das Dokument, auf das sich Bund und Länder Anfang Juli geeinigt hatten, legt auf 15 Seiten die wichtigsten Vorhaben für eine strukturelle Veränderung der deutschen Krankenhäuser dar. Die positive Einstellung von Felix Walcher ist vor allem darin begründet, dass die Notfallmedizin erstmals als eigener Leistungsbereich eingeführt und entsprechend finanziert wird. Bisher waren sowohl Notfall- als auch Intensivmedizin finanziell nicht sinnvoll mitgedacht – denn die geltenden Fallpauschalen gibt es etwa für Operationen und diagnostische Tests, nicht aber für die Rund-um-die-Uhr-Bereitstellung von Intensivbetten und Personal. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach selbst sprach bereits im Januar 2023 von einer Revolution.

Bevor irgendetwas umgesetzt werden kann, müssen allerdings noch viele offene Fragen geklärt werden. So ist unklar, woher welches Geld kommt und wie viel es geben soll. Den Ländern ist zudem besonders wichtig, dass der Bund nicht zu viel bestimmt, erklärt Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek: »Die Planungs- und Gestaltungshoheit der Länder muss trotz bundesweiter Vorgaben auch künftig erhalten bleiben, um regionale Gegebenheiten berücksichtigen zu können.« In diesem Punkt seien die Aussagen des Bundes noch zu vage. Vorgesehen sind allerdings Ausnahmeregeln, die es den Ländern erlauben sollen, lokale Voraussetzungen und Bedürfnisse zu bedenken.

Ursprünglich hatte Lauterbach zusätzlich vor, die Krankenhäuser in Level einzuteilen, je nach Umfang ihrer Leistungen. Nach großem Widerstand der Bundesländer wurde dieser Teil aus dem Eckpunktepapier gestrichen. Die Befürchtung: So könnte die Bundesregierung letztendlich bestimmen, welche Krankenhäuser von der Bevölkerung als besonders gut wahrgenommen werden.

»Den Ländern muss klar sein, dass sie damit das Ende der wohnortnahen und flächendeckenden Krankenhausversorgung einläuten«Deutsche Krankenhausgesellschaft

Genau diese Level-Einteilung könnte nun aber über eine Hintertür doch noch kommen: Mitte August brachte Karl Lauterbach das Krankenhaustransparenzgesetz auf den Weg, in dem plötzlich die Level wieder auftauchen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) fürchtet, dass die Menschen dann große Krankenhäuser mit Level-3-Klassifikation bevorzugen, weil ihnen die Zahl suggeriert, diese Einrichtungen seien besser. Das wiederum schade den kleineren Basisversorgern. »Den Ländern muss klar sein, dass sie damit das Ende der wohnortnahen und flächendeckenden Krankenhausversorgung einläuten«, schreibt die DKG in einer Pressemeldung. Andreas Schwab, Geschäftsführer des Gesundheitszentrum Odenwaldkreis (GZO), sieht das Transparenzgesetz ebenfalls kritisch, da es die verfassungsrechtlich zugestandene Planungshoheit der Länder für die Krankenhausplanung massiv einschränken kann, und hält eine Verfassungsbeschwerde der Länder für sinnvoll.

Anders bewertet DIVI-Präsident Walcher die Zuteilung der Versorgungslevel. »Die Zuordnung zu einem Level bedeutet keinesfalls eine Bewertung der Qualität«, sagt er mit Blick auf das Traumanetzwerk, in dem er als Unfallchirurg arbeitet und in dem die teilnehmenden Kliniken in drei Level eingeteilt sind, unter dem Motto: »Der richtige Patient zum richtigen Zeitpunkt in die richtige Klinik.«

Müssen kleinere Krankenhäuser schließen?

Selbst unabhängig von der Klassifizierung gab es bereits Bedenken, dass vor allem kleinere Krankenhäuser im Zuge der Umstrukturierung geschlossen werden müssen. Davon geht auch der Intensivmediziner Reimer Riessen vom Universitätsklinikum Tübingen aus. Für die betroffenen Standorte sei das natürlich hart, die Versorgung der Notfallpatientinnen und -patienten leide darunter aber nicht notwendigerweise. Denn letztendlich helfe es niemandem, etwa mit einem Schlaganfall in ein Krankenhaus eingeliefert zu werden, das keine ausreichend gute Behandlung bietet. »Man muss natürlich schauen, dass ein Notfallkrankenhaus in maximal 30 Minuten erreichbar ist«, so Riessen.

Mit einer strategischen Platzierung von großen Akutzentren sei das aber eher gegeben als heutzutage – denn schon jetzt können sich viele kleinere Einrichtungen finanziell nicht mehr halten. Die DKG warnt vor einem unkontrollierten Krankenhaussterben noch vor Umsetzung der Reform. Sie fordert faire Anpassungen der Krankenhauserlöse an die gestiegenen Kosten, damit nicht »wertvolle Strukturen verloren gehen, die man nicht ohne Weiteres wieder aufbauen kann«. Somit ist klar: Auf dem derzeitigen Weg kann es jedenfalls nicht weitergehen.

»Wenn man über die Schließung von Krankenhäusern spricht, sollte man nicht im ländlichen Raum anfangen«Andreas Schwab

Zentren, die für die Notfallversorgung der Bevölkerung wichtig sind, müssen gezielt gestärkt werden. »Wenn man über die Schließung von Krankenhäusern spricht, sollte man nicht im ländlichen Raum anfangen«, sagt Andreas Schwab. Das Gesundheitszentrum Odenwaldkreis ist das einzige Akutkrankenhaus im Odenwald, versorgt etwa 100 000 Menschen und gehört damit zu den unverzichtbaren Einrichtungen. Immerhin: Im GZO würde sich – sollte die Krankenhausreform wie im Eckpunktepapier vorgesehen umgesetzt werden – wenig ändern. »Wir könnten nahezu dieselben Leistungsgruppen weiter abbilden wie heute, das haben wir bereits mit dem Sozialministerium besprochen.«

Kooperationen und Spezialisierung

Ein funktionierendes System könnte demnach so aussehen: In regelmäßigen Abständen gibt es große Zentren für die Notfallversorgung, die mit ausreichend Budget, Personal, medizinischen Geräten und Expertise ausgestattet sind, um Betroffene schnell und effizient zu behandeln. Diese Häuser kooperieren mit kleineren Einrichtungen, in welche die Patienten und Patientinnen zur Pflege verlegt werden, so dass in den Akutkrankenhäusern genug Platz für die nächsten Notfälle bleibt. Dazu kommen spezialisierte Zentren, in denen nur bestimmte geplante Operationen und Therapien durchgeführt werden. So jedenfalls stellen es sich Reimer Riessen und weitere Fachleute vor und wünschen sich eine deutlich stärkere Planung der Standorte.

»Selbst neu gebaute Einrichtungen haben Schwierigkeiten, die offenen Stellen zu besetzen«Reimer Riessen

Tatsächlich gibt es in Deutschland im internationalen Vergleich besonders viele Krankenhäuser mit mehr Intensivbetten als in jedem anderen Land mit hohen Einkommensstandards. Das klingt zunächst gut, sorgt aber einerseits für hohe Kosten und verstärkt andererseits den Fachkräftemangel. Selbst neu gebaute Einrichtungen hätten Schwierigkeiten, die offenen Stellen zu besetzen, warnt Reimer Riessen. Und Andreas Schwab weiß: »Wenn wir darüber sprechen, wie viele Betten wir zur Verfügung haben, müssen wir vor allem auf das Personal schauen. Ohne genügend Fachkräfte müssen Intensivbetten unbelegt bleiben.«

Neben der Bettenbelegung sollen möglichst viele Notfälle ambulant behandelt werden, um die Krankenhäuser weiter zu entlasten. Das setzt eine gute Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzten voraus – die jedoch von den Plänen nicht unbedingt begeistert sind. Jan-Erik Bruun führt eine Arztpraxis in Erbach im Odenwald. Er sagt, der ambulante Sektor müsse immer häufiger für die Finanzlücken der Kliniken einspringen, und fürchtet eine Destabilisierung der niederschwelligen, wohnortnahen Versorgung in den Praxen. »Das sieht man am Beispiel der integrierten Notfallzentren, die in Kliniken eingerichtet und über Pflichtdienste durch niedergelassene Ärzte besetzt werden sollen.« Es sei realitätsfremd, dass Hausärzte zu den normalen Sprechzeiten auch noch Pflichtdienste in einer Klinik übernehmen könnten.

Bayerns Gesundheitsminister Holetschek ist nicht überzeugt, dass die Reform die gewünschten Effekte haben wird. Er fordert deshalb eine Folgenabschätzung, bevor sein Land zustimmen könne – Bayern hatte als einziges Bundesland gegen den Vorschlag gestimmt, Schleswig-Holstein enthielt sich.

Der Blick ins Ausland

Möglicherweise kann ein Blick in andere Länder helfen. Dänemark beispielsweise zeigt, was eine starke Zentralisierung, also eine strenge Planung seitens der Regierung, bewirkt. »Dänemark ist etwa bei der Digitalisierung sehr fortschrittlich«, sagt Riessen. Andererseits wurden dort viele Krankenhäuser geschlossen. So könne es sein, dass Patienten nur schwer einen Zugang zum Gesundheitssystem haben, so Riessen.

Strukturell vergleichbar mit Deutschland ist außerdem die Schweiz. Dort wurde die Krankenhausplanung bereits 2012 reformiert und in den letzten Jahren weiter verändert. Die Schweizer arbeiten mit einem Planungsmodell, bei dem Krankenhäuser bestimmte Leistungen anbieten dürfen und entsprechend klassifiziert werden, wie es bei uns im Gespräch ist. So sollten die Kosten gesenkt und die Effizienz gesteigert werden. Dieses in Zürich entwickelte Modell führte einer Analyse zufolge zu einer hohen Transparenz mit einer bedürfnis-, qualitäts- und effizienzorientierten Krankenhausplanung, die gut auf andere Länder übertragbar sei. Nordrhein-Westfalen nahm sich das Züricher System für seine eigene Umstrukturierung zum Vorbild, und die deutsche Reform basiert zu großen Teilen auf den in NRW geplanten Änderungen.

Wie gut die Reform wird, liegt aber letztendlich daran, was genau beschlossen wird. Karl Lauterbach rechnet damit, dass das Gesetz bereits am 1. Januar 2024 in Kraft treten kann, doch der Weg vom Eckpunktepapier zur Umsetzung ist noch weit. Reimer Riessen warnt vor zu großer Eile: »Ich fürchte, wenn man jetzt so viel zeitlichen Druck macht, kommt am Ende nichts Gutes dabei heraus. Im schlimmsten Fall steckt man viel Energie in die Umstellung der Abrechnung, nur um am Ende alles so zu lassen, wie es ist.«

Andererseits kann ein zu langes Zögern ebenfalls schaden, wenn in der Zwischenzeit wichtige Standorte für die Notfallversorgung nicht überleben. Zudem herrscht in den Krankenhäusern eine gewisse Unsicherheit darüber, was sie in den kommenden Monaten und Jahren erwartet, sagt Andreas Schwab: »Obwohl wir gut vernetzt und informiert sind, müssen wir auf Sicht fahren und uns auf alle möglichen Eventualitäten vorbereiten.« Darunter leiden nicht nur die Krankenhäuser, es beunruhigt auch die Bevölkerung. Ein wichtiger Punkt, von dem die Umsetzung der Reform ebenfalls abhängt, findet Riessen: »Man muss den Menschen die Angst nehmen, dass man ihnen die Notfallversorgung wegnehmen möchte.« Im Gegenteil: Man müsse sie überzeugen, dass sie mit dem neuen System bei richtigen Notfällen tatsächlich adäquat versorgt werden.

Was beinhaltet die Krankenhausreform?

Die Fallpauschale

Bisher erhalten Krankenhäuser eine pauschale Finanzierung für bestimmte Leistungen wie Operationen. In der Summe sollen Kostenpunkte wie das benötigte Personal und medizinische Geräte und Materialien beinhaltet sein.

Was ist dabei das Problem?

Eine Hüftoperation bringt den Krankenhäusern die gleiche Summe, unabhängig davon, ob es eine Notoperation mit zusätzlichen Komplikationen und einer langen stationären Pflege ist oder die geplante Operation einer sonst gesunden Person mit relativ wenig Aufwand. Das setzt falsche Anreize, Patienten mit möglichst wenig Aufwand zu behandeln und gleichzeitig viele Tests und Eingriffe durchzuführen, die sich abrechnen lassen. Notfall-Einrichtungen, die viel Personal und ein breites Spektrum an medizinischen Möglichkeiten rund um die Uhr bereithalten müssen, sind dabei besonders im Nachteil und geraten schneller in finanzielle Schwierigkeiten.

Lösungsansatz: Die Vorhaltefinanzierung

Die Reform sieht nun vor, für bestimmte Leistungen eine Vorhaltevergütung einzuführen. Die Krankenhäuser werden also für Leistungen bezahlt, die sie durchführen können, und der Betrag richtet sich nach Erfahrungswerten vergangener Jahre. Mit dem Geld sollen Personal- und verschiedene medizinische Kosten gedeckt sein, mit Fallpauschalen bekommen die Krankenhäuser weiterhin eine Finanzierung für die tatsächlich erbrachten Leistungen. Welche Leistungen an welchen Standorten angeboten werden dürfen, bestimmen die Bundesländer. So soll die Verteilung besser geplant werden, und etwa überflüssige Dopplungen von bestimmten Bereichen in räumlicher Nähe würden vermieden. Kurz: Die vorhandenen Ressourcen könnten besser genutzt und den Krankenhäusern finanzieller Druck genommen werden.

Was ist das Ziel der Reform?

Sie soll die Versorgungssicherheit (Daseinsvorsorge) gewährleisten, die Behandlungsqualität sichern und steigern sowie zu einer Entbürokratisierung führen.

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