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News: Kratzen und Ritzen

Bei eigentlich allen alltäglichen mechanischen Vorgängen entstehen Kratzer und Abrieb - häufig zwar nur auf mikroskopischer Ebene, aber nichtsdestotrotz vorhanden. Mit einem speziellen Rasterkraftmikroskop warfen Physiker nun einen genauen Blick auf den Prozess. Dabei fanden sie nicht nur heraus, wohin die Energie beim Kratzen verschwindet, sie bemerkten auch, dass die Ionen meist in Paaren aus der Kristalloberfläche gerissen werden und sich neben dem Kratzer zu erstaunlich regelmäßigen Strukturen türmen.
Mechanische Abnutzung und Abrieb betreffen gleichermaßen herkömmliche Motoren wie klitzekleine Nanomaschinen. Schon früher haben Wissenschaftler deshalb Oberflächen mit der Spitze eines Rasterkraftmikroskops angekratzt und abgebildet, um den Prozess besser zu verstehen. Doch gelang es ihnen in der Regel nicht, all die winzigen Kräfte zu messen, die dabei wirken.

Enrico Gnecco, Roland Bennewitz und Ernst Meyer von der Universität Basel haben nun eine Art Rasterkraftmikroskop gebaut, das sowohl die vertikalen als auch die horizontalen Kräfte auf die Sondenspitze misst, während sich diese über eine Probenoberfläche bewegt und dabei Bindungen streckt und aufbricht. Der gesamte Vorgang findet im Vakuum statt, damit keine Partikel aus der Luft die Probe verunreinigen und das Ergebnis verfälschen. Wenngleich einigen wenigen Labors ähnliche Instrumente zur Verfügung stehen, so gelang doch den Schweizer Forschern mit ihrem Gerät ein bisher unvergleichlicher Blick auf den Prozess von Kratzerbildung, Abnutzung und Abrieb.

Die Physiker um Meyer kratzten zunächst mit der Sondenspitze mit so viel Kraft vor und zurück über eine Kaliumbromid-Oberfläche, dass einige Ionen des Kristalls herausgerissen und versetzt wurden – wie bei einer Art Miniaturrechen, der Ionen anstelle von Laub bewegt. Dann verwendeten sie die gleiche Spitze in einem sanfteren Modus und fuhren noch einmal sowohl im angekratzten wie auch im unberührten Bereich über die Oberfläche, um diese abzubilden.

Die Wissenschaftler waren überrascht, dass sich das herausgerissene Material erstaunlich ordentlich auf der Oberfläche sammelte: Zu beiden Seiten der Furche türmten sich die atomaren Überreste in einem periodischen Muster, das wieder weitgehend der Kristallstruktur der ursprünglichen Oberfläche entsprach. Diese Beobachtung lässt vermuten, dass die Ionen in Paaren aus dem Kristallverbund gerissen werden – den auch im Kristall sind die Ionen immer paarweise gestapelt.

Meyer und seine Kollegen wollten es nun genau wissen und untersuchten, welcher Teil der "Kratz"-Energie für das Entfernen von Atomen – also den Abrieb – verantwortlich ist und welcher Teil Schwingungen des Kristallgitters anregte, also als Reibungsenergie verloren ging. Dazu maßen sie die horizontale Kraft, während die Spitze entlang einer Linie über die Oberfläche gezogen wurde. Diese Kraft multiplizierten die Forscher mit der Länge des Weges, um so die umgesetzte Energie festzustellen. Anschließend nahmen die Wissenschaftler Bilder der Oberfläche auf und zählten, wie viele Ionen es aus dem Kristall gerissen hatte. Da die Physiker die Bindungsenergie der Ionen im Kristall kannten, konnten sie die beiden Beiträge zur "Kratz"-Energie ermitteln. Laut ihren Daten wird rund ein Drittel der Energie für den Abrieb aufgebracht. Weiterhin weisen die Energiewerte darauf hin, dass die Ionen die Oberfläche tatsächlich in Paaren verlassen.

Von diesem Ergebnis zeigen sich auch Kollegen beeindruckt: Von einem "überzeugenden Resultat" spricht Robert Carpick von der University of Wisconsin in Madison, der hinzufügt, dass ein derartig detaillierter Blick auf die Vorgänge beim Abrieb nur wenigen gelingt. John Pethica von der University of Oxford stimmt dem zu. Die Technik der Basler ließe sich seiner Meinung nach dazu nutzen, neuartige Nanomaschinen zu entwickeln und zu konstruieren.

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