Direkt zum Inhalt

Sonnensystem: Krawall im Kuiper-Gürtel

Auf den ersten, flüchtigen, völlig uninformierten Blick haben uralte Kollisionen eisiger Brocken am Rande des Sonnensystems und umfallende Reissäcke in China eines gemeinsam: sie sind nicht wirklich spannend. Dabei enthüllen zweite und dritte Blicke durchaus einiges über unsere Ursprünge.
Suburbia des Sonnensystems: Der Kuiper-Gürtel
Nicht jeder darf behaupten, Namenspatron wichtiger Neuentdeckungen zu sein – Gerard Peter Kuiper ist es gleich mehrfach. Nach dem in Fachkreisen verehrten und 1973 verstorbenen Astronomen sind immerhin drei Krater und ein Komet benannt, am häufigsten aber fällt sein Name, wenn über die ferne Suburbia unseres Sonnensystems gesprochen wird: Den Kuiper-Gürtel.

Weit draußen, jenseits der Bahn des Neptun, zirkulieren Tausende, zusammen als Kuiper-Gürtel-Objekte (KBO) firmierende eisigen Brocken unterschiedlichster Größe um unser von dort draußen gesehen fernes Zentralgestirn. Das Besondere an ihnen ist, dass sie zu den ursprünglichsten Objekten überhaupt zählen: Sie sind wahrscheinlich die letzten Überreste der primordialen Staubscheibe, aus der sich bei der Geburt des Sonnensystems Sonne, Planeten, Zwergplaneten und alles andere gebildet haben. Und irgendwann, so steht zu vermuten, wird einer dieser Brocken einmal post mortem nach dem berühmten Kuiper-Objekt-Forscher Mike Brown benannt sein.

Das wird allerdings hoffentlich noch etwas dauern. Der Forscher vom California Institute for Technology erfreut sich schließlich bester Gesundheit und liefert einen steten Strom produktiver Forschungsbeiträge von den Objekten am Rande des Sonnensystems. Bekannt und auch irgendwie berüchtigt wurden Brown und seine Forschungsgruppe, als sich das von ihnen entdeckte KBO "2003 UB313" – mittlerweile nach der mythologischen Göttin der Zwietracht Eris getauft – als über-Pluto-groß herausstellte – und damit schließlich die offizielle Rückstufung des sonnenfernen Pluto vom Planet zum Zwergplanet einleitete.

Nun beklagt sich Brown, dass andere KBOs dabei ein wenig aus dem Schlaglicht des öffentlichen Interesses gerückt sind. Zum Beispiel der von seinem Team nun genauestens analysierte "2003 EL61": Der gewichtige Brocken habe ebenfalls einiges zu bieten. Unter anderem sei er das erste Objekt des Kuiper-Gürtels, das nachweislich mit einem anderen kollidierte, zerbrach und nun von mehreren mondgroßen Bruchstücken und weiterem kleinteiligerem Kollisionsschutt begleitet wird.

Solche Schwärme von einst dramatisch verunfallten Planetisimalen ließen sich bislang nur bei den der Erde deutlich näheren Asteroiden zwischen Mars und Jupiter nachweisen. Auch dies verlangt schon enormem Aufwand, denn schließlich müssen die Bewegungen der Brocken zueinander nachweislich in Beziehung stehen, was auch auf die vergleichsweise geringe Entfernung zum Asteroidengürtel nicht ganz einfach nachzuvollziehen ist. Die Beschreibung des viel weiter entfernten 2003 EL61 war daher eine noch deutlich größere Herausforderung.

Die Arbeit lohnte sich, meint nicht nur Browns Team. 2003 EL61 lässt sich demnach als sehr dichter, hektisch rotierender, länglich-eiförmiger Körper von rund 1500 Kilometern Durchmesser beschreiben, der von gleich zwei bis zu 400 Kilometer großen Monden und drei Brocken von immerhin auch über 10 Kilometern Durchmesser wild umschwirrt wird. Zusätzlich zu seinem wilden Drall – wahrscheinlich führte genau dieser im Laufe der Zeit zu der typischen spindelförmigen Abplattung – zeigt 2003 EL61 auch noch eine exzentrische Kreisbahn sowie ein Ausbrechen aus der üblichen Bahnebene aller sonnenumkreisenden Körper um rund 30 Grad – stets treulich begleitet von seinem Begleiter-Schwarm.

Alle Objekte zeigen auch Absorptionsbandspuren von gefrorenem Oberflächenwasser, zudem haben sie jene graue Einheitsfärbung, die Kuiper-Gürtel-Experten eigentlich eher jungen Bruchstücken zugeschrieben hatten. Ältere Objekte, so die bislang gängige Farbtheorie der Kuiper-Gürtel-Forschung, seien eher rötlich, wahrscheinlich in Folge der Weltraumwetter-Erosion durch harte Strahlung.

Zumindest dies stimmt schon einmal nicht, denn der gräuliche 2003-EL61-Schwarm ist wohl bereits sehr lange Zeit dem Strahlungsbombardement ausgesetzt. Dies schließen die Forscher aus einer Wahrscheinlichkeitsrechnung, die nahe legt, dass die einstige Kollision zu einer Zeit erfolgte, in der der Kuiper-Gürtel noch sehr viel dichter besiedelt war. Heutzutage finden sich schließlich nur etwa zehn Objekte von der Größe, die der Vorläufer des auseinanderbombardierten Ur-2003 EL61 gehabt haben muss, dazu kommen nur rund fünfzig Objekte, die so groß wie sein einstiger Kollisionspartner sind.

Sehr unwahrscheinlich, dass sich zwei passende Vorläufer im derart dünn besiedelten Mittelalter oder der Neuzeit des Kuiper-Gürtels trafen – und somit sehr unwahrscheinlich, dass die grauen Bruchkanten des Objektes tatsächlich jung sind. Demnach beweist rote Farbe auch nichts über das Alter von Oberflächen von KBOs – und eine andere Ursache als kosmische Strahlung muss gefunden werden, so Brown und Co. Die ersten Vorschläge sind zunächst einmal viel weniger exotisch als Browns jüngstes Untersuchungsobjekt. Vielleicht, so kommentiert Alessandro Morbidelli vom Observatorium der Côte d'Azur, deuten unterschiedliche Farben ja einfach auf eine unterschiedliche Zusammensetzung der Objekte? Es bleibt noch Raum für Spekulationen über den fernen Kuiper-Gürtel – und damit auch über den Ursprung des ganzen Sonnensystems.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.