Biokinetik: Krebse machen die Flatter - durch die Luft
Ruderfußkrebse führen normalerweise ein eher gemächliches Leben im Ozean: An der Grenzschicht zwischen Wasser und Atmosphäre lassen sie sich von den Strömungen treiben, während sie sich an der reichlich vorhandenen Nahrung wie Algen und anderem Plankton delektieren. Wenn sich allerdings eigene Fressfeinde nähern, können die kleinen Krustentiere plötzlich sehr agil werden, wie Brad Gemmell von der University of Texas in Austin und seine Kollegen entdeckt haben: Die Krebschen schnellen aus dem Wasser und fliehen durch die Luft vor herannahenden Fischen.
Das klingt im ersten Moment einfacher, als es tatsächlich ist. Denn die nur zwei bis drei Millimeter langen Ruderfußkrebse müssen dazu die für sie sehr starke Oberflächenspannung des Wassers durchbrechen, was mit einem enormen Energieaufwand verbunden ist, wie die Wissenschaftler ermittelten. Sie hatten beobachtet und gefilmt, wie Ruderfußkrebse der Art Anomalocera ornata in einer Bucht des Golfs von Mexiko springend hungrigen Meeräschen (Mugil cephalus) zu entkommen versuchten – mit großem Erfolg: Von den beobachteten 89 bedrohten Individuen entkamen 88 tatsächlich.
Anschließend zeichneten die Forscher noch das ähnlich geartete Fluchtverhalten der etwas kleineren Ruderfußkrebsart Labidora aestiva im Laboraquarium mit einer Hochgeschwindigkeitskamera auf. Die Auswertung der Bilder brachte erstaunliche Leistungen ans Licht: So können sich die winzigen Krebse auf Geschwindigkeiten von durchschnittlich 890 Millimeter pro Sekunde (etwas mehr als drei Kilometer pro Stunde) beschleunigen, was ausreicht, um sie aus dem Wasser zu katapultieren. Bei der Überwindung der Oberflächenspannung gehen zwar bis zu 88 Prozent der aufgebrachten kinetischen Energie verloren, doch haben die Tiere danach immer noch genügend Schwung für eine ausreichend lange Flugstrecke: Sie legen dabei Distanzen zurück, die teilweise dem 40-Fachen ihrer eigenen Körperlänge entspricht.
Dieser Sprung bringt sie meist außer Reichweite der Angreifer; zudem fallen sie am Ende ihrer ballistischen Flugkurve an Stellen ins Wasser, die für die Fische nicht vorhersehbar sind: Die Wahrscheinlichkeit zu überleben erhöht sich daher beträchtlich. Und auf Dauer spart diese Technik sogar Energie, obwohl sie anfänglich mehr Kraft kostet. Denn um die gleiche Distanz im Meer schwimmend zurückzulegen, müssten die Krebschen wegen des erhöhten Reibungswiderstands des Salzwassers etwa 20-mal öfter mit den Beinen strampeln, was entsprechend anstrengend ist.
Im Gegensatz zu anderen Planktonarten aus tieferen Wasserschichten besitzen Ruderfußkrebse, die nahe der Oberfläche leben, eine starke Pigmentierung: Sie schützt die Tiere vor der starken UV-Strahlung in diesem Bereich, macht sie aber auch auffälliger für Fressfeinde – ein Nachteil, den sie mit dem Luftsprung kompensieren. Dieses Verhalten wurde bereits anekdotisch aus dem frühen 19. Jahrhundert berichtet, doch vermuteten die damaligen Beobachter, dass die Krebschen dadurch ihre alten Panzer während des Häutens loswerden wollten. Möglicherweise verfügen manche der Ruderfußkrebsarten über Wasser abweisende Eigenschaften, die es ihnen ermöglicht, die herrschende Oberflächenspannung leichter zu durchbrechen. Das müsse aber erst noch untersucht werden, so Gemmell.
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