Evolution: Krieg und Frieden
"Auge um Auge", so lautet ein bekannter Vers des Alten Testaments und oft das Motto in archaischen Gesellschaften. Dumm ist es nur, wenn der Gegner technisch überlegen ist: Dann müssen andere Strategien der Konfliktlösung her.
In Europa herrscht – von zeitweiligen "kleineren" Konflikten einmal abgesehen – Frieden, und das schon seit sechzig Jahren. Zu verdanken hatten wir das wohl lange Zeit dem viel zitierten Gleichgewicht des Schreckens: Denn zu den Hochzeiten des Kalten Krieges, als sich Ost und West waffenstarrend gegenüber standen und jeder kleinste Zündfunke – etwa Mauerbau, Kuba-Krise oder der Frosteinbruch im Prager Frühling – eine atomare Apokalypse hätte auslösen können, verhinderte wohl nur die Aussicht auf eben diese totale Vernichtung einen heißen Konflikt.
Davor jedoch ließen über die Jahrhunderte die Deutschen und Österreicher, Franzosen und Briten, Engländer und Schotten, Polen und Russen, Serben und Türken, ja selbst die Schweden und Dänen kaum eine Gelegenheit aus, um übereinander herzufallen. Mal ging es um gekränkte Ehre, dann um Land oder Rohstoffe, Einflusssphären oder Religionen. Bündnisse wurden geschmiedet und zerbrachen, Könige und Diktatoren unterzeichneten Verträge und missachteten sie: Alles in allem war der alte Kontinent in der Frage "Krieg oder Frieden" lange nicht so fortschrittlich, wie er sich gerne sah, und seine Regenten bevorzugten im Zweifelsfall den Waffengang.
Diese archaisch-gewalttätige Ader liegt allerdings durchaus in der Natur des Menschen und lässt sich ebenso bei den uns nahe verwandten Schimpansen (Pan troglodytes) zur Genüge studieren: Kommen sich zwei Sippen territorial ins Gehege, gibt es Zoff, der nicht selten tödlich endet – zumal wenn sich die Eroberung von Neuland durch bessere Lebensbedingungen lohnen könnte. Im Vorteil ist dabei natürlich jene Familienbande, die mehr gesunde wie kräftige Artgenossen in die Scharmützel schicken kann.
Das erklärt etwa, warum die im stets üppig grünen und mit reichlichen Nahrungsquellen gesegneten Regenwald hausenden Bonobos (Pan paniscus) weitaus friedlicher sind als ihre Schimpansenvettern in den unsteteren Savannen. Und es beantwortet vielleicht in Ansätzen, warum die Ureinwohner der isoliert im Indischen Ozean liegenden Andamanen zum Teil bis heute weitaus aggressiver auf Eindringlinge reagieren als etwa die Pygmäenvölker im afrikanischen Regenwald.
Der in Ostafrika aufkommende Frühmensch musste folglich über hunderttausende Jahre nicht nur beständig gegen die Unbilden der Wildnis kämpfen, sondern auch stets auf der Hut vor feindlichen Verwandten sein. Doch die Gattung Homo zeichnet sich nicht nur durch ihre potent letal-cholerische Ader aus, sondern ebenso durch ihren Erfindungsreichtum, dem sie im Zeitraum von einer Million bis 400 000 Jahre vor heute die erste richtige Abstandswaffe verdankt: den Speer, wie er etwa im deutschen Schöningen ausgegraben wurde. In dieser Zeit veränderten sich zudem die Jagdtaktiken der Menschen, die zunehmend aus dem Hinterhalt reüssierten, statt die offene Feldschlacht zu suchen.
Damit begann jedoch nach Kelly eine völlig neue Phase der Konfliktfindung und -vermeidung. Nun gewann nicht mehr unbedingt die zahlenmäßig größere Sippschaft, sondern jene, die über bessere Waffen und intelligentere Strategien verfügte. Dazu kamen noch die entsprechenden Geländekenntnisse: Das Volk mit Heimspiel war selbst als Minderheit im Vorteil, wenn sie den Gegner eher erspähte und ihn mit den entsprechenden Kampfmitteln auf Distanz halten konnte.
Als Folge dieser Innovation mussten sich daher die sozialen Beziehungen der Gruppen ändern. Nicht mehr Aggression und Totschlag versprachen den größten Zuwachs an Land oder Rohstoffen, vielmehr bildeten sich Kooperationen heraus, in deren Folge die Frühmenschen gemeinsam mehr Land nutzen konnten, als zuvor jeder für sich alleine. Statt aus Furcht vor den Nachbarn die jeweiligen Grenzgebiete der Reviere ungenutzt zu lassen, bildeten die Sippen darin Jagdgemeinschaften. Die erlegte Beute wurde anschließend geteilt und der Erfolg mit Freudenfesten gefeiert. Als positiven Nebeneffekt dienten diese Feiern ebenso der Brautschau, was durch wechselseitiges Heiraten wiederum die Gemeinschaften stärkte.
Der Wissenschaftler billigt dieser Zusammenarbeit sogar eine Schlüsselrolle beim Auszug des Homo erectus aus Afrika zu, denn Konfliktmeidung und Territorien übergreifende gemeinsame Beutezüge machten es in Notzeiten unerlässlich, in neue Jagdgründe auszuweichen, um nicht doch Krieg führen zu müssen. Das lotste die Steinzeitwaidmänner letztendlich bis nach Europa, Asien und in den Rest der Welt, was durch die niedrigen Bevölkerungsdichten der damaligen Zeit noch erleichtert wurde.
Mit dem Aufkommen fest siedelnder, komplexer Gesellschaften vor etwa 14 000 Jahren ging die Phase des Friedens jedoch zu Ende. Ein erhöhter Organisationsgrad erleichterte die militärische Mobilisierung von Männern und nachfolgend bewaffnete Attacken auf Nachbarvölker – erstmals belegt durch archäologische Funde auf einem nubischen Friedhof. Innerhalb von zehntausend Jahren entwickelte sich diese neue Konfliktform dann unabhängig in allen Teilen der Welt: Das Zeitalter der modernen Kriege hatte begonnen.
Davor jedoch ließen über die Jahrhunderte die Deutschen und Österreicher, Franzosen und Briten, Engländer und Schotten, Polen und Russen, Serben und Türken, ja selbst die Schweden und Dänen kaum eine Gelegenheit aus, um übereinander herzufallen. Mal ging es um gekränkte Ehre, dann um Land oder Rohstoffe, Einflusssphären oder Religionen. Bündnisse wurden geschmiedet und zerbrachen, Könige und Diktatoren unterzeichneten Verträge und missachteten sie: Alles in allem war der alte Kontinent in der Frage "Krieg oder Frieden" lange nicht so fortschrittlich, wie er sich gerne sah, und seine Regenten bevorzugten im Zweifelsfall den Waffengang.
Diese archaisch-gewalttätige Ader liegt allerdings durchaus in der Natur des Menschen und lässt sich ebenso bei den uns nahe verwandten Schimpansen (Pan troglodytes) zur Genüge studieren: Kommen sich zwei Sippen territorial ins Gehege, gibt es Zoff, der nicht selten tödlich endet – zumal wenn sich die Eroberung von Neuland durch bessere Lebensbedingungen lohnen könnte. Im Vorteil ist dabei natürlich jene Familienbande, die mehr gesunde wie kräftige Artgenossen in die Scharmützel schicken kann.
So in etwa sah nach Ansicht von Raymond Kelly von der Universität von Michigan in Ann Arbor auch das Kampfverhalten früher Hominiden aus: Drang eine Gemeinschaft auf der Suche nach Nahrung oder Wasser neidvoll in das Revier einer anderen ein, gab es Krieg, den die an Kopfstärke überlegene Truppe meist für sich entschied. Wobei diese Konflikte seiner These nach jedoch bei allen Primaten eher in Gebieten auftreten, in denen die Ressourcen knapper sind und das Überleben damit immer einem Balanceakt gleicht.
Das erklärt etwa, warum die im stets üppig grünen und mit reichlichen Nahrungsquellen gesegneten Regenwald hausenden Bonobos (Pan paniscus) weitaus friedlicher sind als ihre Schimpansenvettern in den unsteteren Savannen. Und es beantwortet vielleicht in Ansätzen, warum die Ureinwohner der isoliert im Indischen Ozean liegenden Andamanen zum Teil bis heute weitaus aggressiver auf Eindringlinge reagieren als etwa die Pygmäenvölker im afrikanischen Regenwald.
Der in Ostafrika aufkommende Frühmensch musste folglich über hunderttausende Jahre nicht nur beständig gegen die Unbilden der Wildnis kämpfen, sondern auch stets auf der Hut vor feindlichen Verwandten sein. Doch die Gattung Homo zeichnet sich nicht nur durch ihre potent letal-cholerische Ader aus, sondern ebenso durch ihren Erfindungsreichtum, dem sie im Zeitraum von einer Million bis 400 000 Jahre vor heute die erste richtige Abstandswaffe verdankt: den Speer, wie er etwa im deutschen Schöningen ausgegraben wurde. In dieser Zeit veränderten sich zudem die Jagdtaktiken der Menschen, die zunehmend aus dem Hinterhalt reüssierten, statt die offene Feldschlacht zu suchen.
Damit begann jedoch nach Kelly eine völlig neue Phase der Konfliktfindung und -vermeidung. Nun gewann nicht mehr unbedingt die zahlenmäßig größere Sippschaft, sondern jene, die über bessere Waffen und intelligentere Strategien verfügte. Dazu kamen noch die entsprechenden Geländekenntnisse: Das Volk mit Heimspiel war selbst als Minderheit im Vorteil, wenn sie den Gegner eher erspähte und ihn mit den entsprechenden Kampfmitteln auf Distanz halten konnte.
Als Folge dieser Innovation mussten sich daher die sozialen Beziehungen der Gruppen ändern. Nicht mehr Aggression und Totschlag versprachen den größten Zuwachs an Land oder Rohstoffen, vielmehr bildeten sich Kooperationen heraus, in deren Folge die Frühmenschen gemeinsam mehr Land nutzen konnten, als zuvor jeder für sich alleine. Statt aus Furcht vor den Nachbarn die jeweiligen Grenzgebiete der Reviere ungenutzt zu lassen, bildeten die Sippen darin Jagdgemeinschaften. Die erlegte Beute wurde anschließend geteilt und der Erfolg mit Freudenfesten gefeiert. Als positiven Nebeneffekt dienten diese Feiern ebenso der Brautschau, was durch wechselseitiges Heiraten wiederum die Gemeinschaften stärkte.
Der Wissenschaftler billigt dieser Zusammenarbeit sogar eine Schlüsselrolle beim Auszug des Homo erectus aus Afrika zu, denn Konfliktmeidung und Territorien übergreifende gemeinsame Beutezüge machten es in Notzeiten unerlässlich, in neue Jagdgründe auszuweichen, um nicht doch Krieg führen zu müssen. Das lotste die Steinzeitwaidmänner letztendlich bis nach Europa, Asien und in den Rest der Welt, was durch die niedrigen Bevölkerungsdichten der damaligen Zeit noch erleichtert wurde.
Mit dem Aufkommen fest siedelnder, komplexer Gesellschaften vor etwa 14 000 Jahren ging die Phase des Friedens jedoch zu Ende. Ein erhöhter Organisationsgrad erleichterte die militärische Mobilisierung von Männern und nachfolgend bewaffnete Attacken auf Nachbarvölker – erstmals belegt durch archäologische Funde auf einem nubischen Friedhof. Innerhalb von zehntausend Jahren entwickelte sich diese neue Konfliktform dann unabhängig in allen Teilen der Welt: Das Zeitalter der modernen Kriege hatte begonnen.
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