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Romantische Kriegsüberbleibsel: Konfiszierte Liebesbriefe nach 265 Jahren gelesen

104 Briefe schrieben Ehefrauen, Verlobte, Eltern und Geschwister im Jahr 1758 an ihre Angehörigen auf dem französischen Kriegsschiff »Galatée«. Doch die Schreiben kamen nie an, weil die Crew in Gefangenschaft geriet.
Alte, ungeöffnete Briefe auf einem Tisch ausgebreitet
Die Briefe an die Crew der »Galatée« aus dem Jahr 1758 mussten 265 Jahre lang darauf warten, gelesen zu werden. Die ursprünglichen Adressaten bekamen sie nie zu Gesicht.

»Ich könnte die ganze Nacht damit verbringen, dir zu schreiben. Ich bin deine auf ewig treue Frau«, schrieb Marie Dubosc ihrem Ehemann Louis Chambrelan im Jahr 1758. Doch ihr Liebster sollte diese Zeilen nie zu Gesicht bekommen: Chambrelan war Oberleutnant auf dem französischen Kriegsschiff »Galatée« und zu dieser Zeit bereits in britische Gefangenschaft geraten. Der Brief seiner Ehefrau, die noch vor Chambrelans Freilassung starb, wurde von den Briten konfisziert – ähnlich wie 103 weitere Briefe, die von der Liebe zwischen Eheleuten, Verlobten, Eltern und ihren Kindern oder der zwischen Geschwistern künden. 265 Jahre lang blieben die Schriftstücke ungelesen, bis sie dem Historiker Renaud Morieux von der University of Cambridge in die Hände fielen. Er öffnete die versiegelten Nachrichten, analysierte ihren Inhalt und veröffentlichte seine Erkenntnisse schließlich im Fachmagazin »Annales. Histoire, Sciences Sociales«.

Im 18. Jahrhundert war es bereits in Friedenszeiten eine Herausforderung, Briefe an Seeleute zu versenden, da man nie wissen konnte, wo sich deren Schiff gerade aufhielt. Manchmal schickten Menschen deshalb Kopien an mehrere Häfen gleichzeitig oder baten die Angehörigen von Crewmitgliedern, Botschaften an ihre Liebsten in ihre eigenen Briefe mit einzuschließen. Auch die Angehörigen der »Galatée«-Crew hätten sich so beholfen, berichtet Morieux. Darauf deutet der Inhalt der Schreiben hin.

Die französische Postverwaltung versuchte zwar, die Briefe zuzustellen, und schickte sie darum an verschiedene Häfen – doch sie war stets zu spät. Dann fiel die »Galatée« auf dem Weg von Bordeaux nach Quebec den Briten in die Hände, die die Besatzung einsperrten und das Schiff verkauften.

Das Schicksal der »Galatée«-Crew war damals kein ungewöhnliches: Im Siebenjährigen Krieg, der von 1756 bis 1763 zwischen den Großmächten Europas herrschte, nahm Großbritannien insgesamt mehr als 60 000 französische Seeleute fest. Einige von ihnen starben an Krankheiten oder Unterernährung, viele andere erlangten jedoch irgendwann die Freiheit zurück.

Liebesbrief von Anne Le Cerf an ihren Mann Jean Topsent | In seinem Inhalt heißt es unter anderem: »Ich kann es kaum erwarten, dich zu besitzen.«

Morieux geht davon aus, dass zwei der Briefe geöffnet wurden, nachdem sie schließlich der Admiralität in London übergeben worden waren. Nachdem man jedoch festgestellt hatte, dass die Schriftstücke keine militärischen Geheimnisse enthielten, sondern bloß private Korrespondenz waren, lagerte man sie ein. So gelangten sie ins Britische Nationalarchiv und von dort aus schließlich zu Morieux.

Die Nachrichten richteten sich ungefähr an ein Viertel der 181 Mann starken Crew der »Galatée«. In knapp 60 Prozent der Fälle verfassten sie Frauen. Die Briefe würden die altmodische Vorstellung erschüttern, es ginge in Kriegen bloß um Männer, erklärt Morieux in einer Pressemitteilung der Universität. »Während ihre Männer weg waren, kümmerten sich die Frauen um die Haushaltsfinanzen und trafen wichtige wirtschaftliche und politische Entscheidungen.«

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