News: Kristallstruktur des neuronalen Fusionskomplexes aufgeklärt
Unser Nervensystem besteht aus vielen Milliarden Nervenzellen, die in komplexen Netzwerken miteinander verbunden sind. Ob man im Lehnstuhl sitzt und nachdenkt, ob man Sport treibt oder schläft, immer sind Bereiche unseres Nervensystems aktiv, um diese Lebensvorgänge zu steuern und zu überwachen.
Während Signale innerhalb einer Nervenzelle durch elektrische Ströme weitergeleitet werden, werden sie zwischen Zellen durch chemische Botenstoffe, die Neurotransmitter, übermittelt. In den Nervenenden der "Sender"zelle sind die Neurotransmitter in kleinen Membranbläschen (synaptische Vesikel) verpackt. Beim Eintreffen eines elektrischen Signals im Nervenende öffnen sich Kanäle in der äußeren Membran, durch die Calcium-Ionen in das Innere des Nervenendes einströmen. Diese Calcium-Ionen aktivieren einen molekularen Schalter, der dafür sorgt, daß mit einer Verzögerung von nur 200-300 millionstel Sekunden (Mikrosekunden) die Vesikelmembran mit der Außenmembran des Nervenendes verschmilzt. Durch diesen Vorgang, der auch als Exocytose bezeichnet wird, wird der gespeicherte Neurotransmitter freigesetzt.
Seit einigen Jahren ist bekannt, daß die Exocytose von einer kleinen Gruppe von Proteinen gesteuert wird. Die Bedeutung dieser Proteine wurde unter anderem dadurch entdeckt, daß sie als Angriffsort gefürchteter bakterieller Giftstoffe erkannt wurden, die die Freisetzung von Neurotransmittern hemmen. Dazu gehören die Toxine, die für Wundstarrkrampf (Tetanus) und Botulismus verantwortlich sind. Wie aber bewerkstelligen diese Proteine die Verschmelzung von der Vesikel- mit der Außenmembran?
Vor etwa einem Jahr haben Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie unter Leitung von Prof. Dr. Reinhard Jahn hierzu eine Arbeitshypothese aufgestellt. Danach besteht die Aufgabe dieser Proteine darin, die beiden zu verschmelzenden Membranen fest zusammenzurren und so die Membranfusion einzuleiten. Dabei werden die lose aus der Aussen- und Vesikelmembran herausragenden Proteine aufgerollt und verdrillt, ähnlich wie man lose Taue durch Verdrehen zu einem Bündel zusammenziehen, verkürzen kann. Da alle Proteine mit einem Ende in ihrer jeweiligen Membran verankert sind, werden die Membranen durch diesen Vorgang fest miteinander verbunden.
In einer engen Zusammenarbeit zwischen Prof. Axel Brünger und Dr. Bryan Sutton von der amerikanischen Yale University sowie Dr. Fasshauer und Prof. Jahn vom Göttinger Max-Planck-Institut ist es nun gelungen, die dreidimensionale Struktur dieses Protein-Bündels durch Röntgenstrukturanalyse aufzuklären. Die Struktur bestätigt in eindrucksvoller Weise die oben ausgeführte Modellvorstellung zur Membranfusion. Es handelt sich bei dem Proteinkomplex in der Tat um ein langgestrecktes Helix-Bündel, ganz so, wie man es beim Verdrehen von Tauen erwarten würde.
Biologische Membranen fusionieren jedoch nicht nur in Nervenenden. Im Gegenteil: Solche Fusionsvorgänge, die für das Überleben absolut notwendig sind, gehören zu den grundlegenden Lebenserscheinungen jeder höher entwickelten Zelle. Sei es Wachstum und Teilung einer Zelle, sei es die Freisetzung von Hormonen und Verdauungsenzymen, sei es die Aufnahme von Nährstoffen – immer sind solche Fusionsvorgänge beteiligt. In den letzten Jahren hat sich herausgestellt, daß Proteine, die die letztgenannten Vorgänge steuern, mit jenen eng verwandt sind, die in Nervenzellen operieren. Ganz offensichtlich müssen auch hier die beteiligten Membranen durch ähnliche Proteinkomplexe vertäut werden, bevor es zur Fusion kommen kann. Die jetzt aufgeklärte 3D-Struktur hat also nicht nur Bedeutung für das Verständnis der neuronalen Informationsübertragung, sondern darüber hinaus für die Aufklärung eines grundlegenden biologischen Vorgangs.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.