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Covid-19: Kubas Impfstoffe halten offenbar, was sie versprechen

Vorab veröffentlichte Daten zeigen: Das kubanische Vakzin Soberana weist in klinischen Studien eine hohe Wirksamkeit von 92,4 Prozent auf. Auch ein weiterer Impfstoff sei ähnlich gut.
Eine Krankenpflegerin in Havanna hält eine Dosis Soberana 02 in die Kamera.

Als die Corona-Pandemie sich auf der Welt ausbreitete, entschloss sich Kuba dazu, mit der Entwicklung eines Impfstoffs nicht auf andere Länder zu warten. Weil die Vereinigten Staaten seit 60 Jahren ein Wirtschaftsembargo über das Land verhängt haben, das den Import von US-Waren untersagt, war den kubanischen Forschern und Behörden rasch klar: Es würde für ihr Land kaum möglich sein, Impfstoffe und Medikamente von außen einzukaufen. »Es war also das Beste zum Schutz unserer Bevölkerung, unabhängig zu sein«, sagt Vicente Vérez Bencomo, Generaldirektor des Instituto Finlay de Vacunas in Havanna.

Deshalb entwickelten das Finlay-Institut sowie weitere staatliche Zentren für Biotechnologie eigene Covid-19-Impfstoffe – in der Hoffnung, dass zumindest einer davon wirksam sein würde. Und wie es scheint, war die Zuversicht berechtigt: In einer Studie, die Vérez Bencomo und sein Team am 6. November 2021 auf dem Preprintserver »medRxiv« vorab publizierten, berichten die Forscher, dass ihr Impfstoff Soberana 02 zu mehr als 90 Prozent vor einer symptomatischen Covid-19-Infektion schützen würde, wenn er zusammen mit einem ähnlichen Impfstoff verabreicht wird. Die Kombination soll auch gegen die hochansteckende Delta-Variante von Sars-CoV-2 wirken, die weltweit zu einem sprunghaften Anstieg von Hospitalisierungen und Todesfällen geführt hat. In Kuba ist Delta inzwischen für fast alle Covid-19-Infektionen verantwortlich.

Bis zum 18. November haben 89 Prozent der kubanischen Bevölkerung – darunter auch Kinder im Alter von zwei Jahren – mindestens eine Dosis Soberana 02 oder einen weiteren kubanischen Impfstoff namens Abdala erhalten. Abdala wurde vom Centro de Ingeniería Genética y Biotecnología (CIGB) in Havanna entwickelt. Im Juli ließ das Forschungsinstitut verkünden, dass sein in drei Dosen verabreichter Impfstoff in einer klinischen Phase-III-Studie mit mehr als 48 000 Teilnehmern eine Wirksamkeit von mehr als 92 Prozent aufwies. Die vollständigen Ergebnisse sind jedoch noch nicht veröffentlicht.

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Die kubanische Arzneimittel-Agentur genehmigte die beiden Impfstoffe Abdala und Soberana 02 für Erwachsene im Juli und im August 2021. Wenige Monate später wurden die ersten Kinder mit den Vakzinen immunisiert. Kuba exportiert seine Präparate auch nach Venezuela, Vietnam, Iran und Nicaragua. Das Land hat zudem die Weltgesundheitsorganisation gebeten, seine Impfstoffe zuzulassen. Stimmt die WHO dem Antrag zu, wäre ein wichtiger Schritt getan, damit die Impfstoffe auch in anderen Entwicklungsländern zur Verfügung stünden.

Die kubanischen Forscher nutzten das Wissen um Konjugatimpfstoffe

Bei der Entwicklung von Soberana 02 stützte sich Vérez Bencomos Arbeitsgruppe auf die bereits bekannte Technologie der Konjugatimpfstoffe. Die Finlay-Forscher nutzten für ihr Vakzin ein Protein oder einen Zucker aus einem Bakterium beziehungsweise einem Virus. Diese Bestandteile verknüpften sie chemisch mit dem harmlosen Fragment eines neurotoxischen Proteins, das aus dem Tetanusbakterium stammt. Die Kombination löste offenbar eine stärkere Immunreaktion aus, als jede Komponente für sich allein genommen in der Lage wäre. Konjugatimpfstoffe sind bereits gegen Meningitis und Typhus weltweit im Einsatz. Und seit Jahren immunisieren kubanische Mediziner Kinder mit Impfstoffen dieser Art.

Das Team um Vérez Bencomo passte nun seinen Konjugatimpfstoff so an, dass er gegen Covid-19 wirkt: Die Forscher verknüpften das Protein namens Tetanustoxin mit einem Bereich des Spike-Proteins von Sars-CoV-2, der als Rezeptorbindungsdomäne (RBD) bekannt ist (mit Hilfe des Spike-Proteins dringt das Virus in die Zellen ein). Nachdem mehr als 14 000 Menschen in einer Phase-III-Studie zwei Dosen des Impfstoffs erhalten hatten, sank deren Risiko, an symptomatischem Covid-19 zu erkranken um 71 Prozent im Vergleich zu einer gleich großen Placebo-Kontrollgruppe. Das entspricht einer ähnlichen Wirksamkeit wie bei den Vakzinen von Johnson&Johnson und AstraZeneca.

Um den Immunschutz weiter zu steigern, verabreichte das Finlay-Team den Versuchsteilnehmern noch eine dritte Dosis. Die Forscher hatten bereits zuvor eine Impfung namens Soberana Plus an Menschen getestet, als diese schon an Covid-19 erkrankt waren. Das Fazit hier: Die Immunreaktion war besser. Daher verabreichten sie Soberana Plus, das ausschließlich auf dem RBD-Protein beruht, einer weiteren Gruppe von 14 000 Studienteilnehmern, die schon zwei Dosen Soberana 02 erhalten hatten. Das Ergebnis: Die dritte Dosis erhöhte die Gesamtwirksamkeit auf 92,4 Prozent.

Die kubanischen Vakzine werden weiterhin geprüft

Laut Vérez Bencomo ist das Finlay-Institut in der Lage, pro Monat zehn Millionen Dosen von Soberana 02 herzustellen. Um weitere Tests durchzuführen, arbeitet die Forschergruppe zudem mit dem Institut Pasteur in Teheran zusammen. Im Iran ist eine ähnliche Studie mit 24 000 Personen im Gange, deren Ergebnisse bald veröffentlicht werden sollen.

Auch der Abdala-Impfstoff vom CIGB macht große Fortschritte. Wie bei Soberana 02 beruht die Technologie auf einem bestehenden Vakzin – in diesem Fall eines gegen Hepatitis B, das Kuba ebenfalls selbst entwickelt hat und seit vielen Jahren einsetzt. Die Forscher haben dafür Hefezellen so verändert, dass sie einen Teil der RBD produzieren – diese unterscheidet sich aber von der RBD in Soberana 02. Zuletzt haben sie das Protein gereinigt, um es für Abdala verwenden zu können. Wie der CIGB-Forscher Merardo Pujol Ferrer berichtet, wurden inzwischen 24 Millionen Dosen an acht Millionen Menschen in Kuba verabreicht. Damit liegt den Entwicklern eine Fülle von Daten vor, aus denen sie die Sicherheit und Wirksamkeit des Impfstoffs ablesen können. Laut Pujol Ferrer plane sein Team, die Daten noch im November 2021 zu veröffentlichen.

Proteinbasierte Impfstoffe wie Soberana 02 und Abdala könnten einige Vorteile gegenüber anderen Impfstofftypen haben, sagt Craig Laferrière, Leiter der Impfstoffentwicklung beim Pharmaunternehmen Novateur Ventures in Toronto. Laferrière hat Sicherheit und Wirksamkeit der diversen Covid-19-Impfstoffe untersucht. Im Gegensatz zu den mRNA-Präparaten, die von Biontech/Pfizer und Moderna hergestellt werden, müssen Proteinimpfstoffe nicht bei extrem niedrigen Temperaturen aufbewahrt werden. Sie könnten also leichter in entlegene Gebiete geliefert werden.

Außerdem könnten sie weniger Nebenwirkungen entfalten als die Impfstoffe von AstraZeneca und Johnson&Johnson. Diese Vakzine funktionieren mit Hilfe von Adenoviren, in denen das Gen für einen anderen Bereich der RBD in die Zellen eingeschleust wird. Diese Stoffen werden jedoch mit Blutgerinnseln in Verbindung gebracht.

Wie sicher ist Soberana 02?

Obwohl die Studie des Finlay-Institut noch ungeprüft ist, also noch nicht von externen Fachleuten durchgesehen wurde und auch keine umfassenden klinischen Daten enthält, geht Laferrière davon aus, dass die Nebenwirkungen von Soberana 02 minimal ausfallen dürften: Weniger als ein Prozent der Teilnehmer an der Phase-III-Studie habe Fieber bekommen. Auch hierzu lässt Vérez Bencomo verlauten, dass weitere Daten bald veröffentlicht werden sollen.

Laferrière betont jedoch, dass diese Methode auch Nachteile mit sich bringt. Impfstoffe auf Proteinbasis werden mit Hilfe verschiedener Zelltypen hergestellt, die haufenweise Proteine synthetisieren. Soberana 02 wird in Eierstockzellen von Hamstern produziert. Diese Vorgehensweise erfordert mehr Zeit als andere Herstellungsmethoden. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass auf Tetanustoxin basierende Konjugatimpfstoffe bei Personen weniger wirksam sind, die bereits einen anderen Impfstoff dieses Typs erhalten haben, etwa gegen Meningitis im Kindesalter.

Vérez Bencomo ist überzeugt davon, dass der Impfstoff sicher ist. Vor allem weil die Technologie der Konjugatimpfstoffe seit Jahrzehnten ohne größere Probleme zum Einsatz komme. Die Arbeitsgruppe vom Finlay-Institut hat bereits Konjugatvakzine für Kinder entwickelt und wisse daher über Dosierung und Nebenwirkungen Bescheid. Auch deshalb begannen pädiatrische Studien mit Soberana 02 schon im Juni. Bisher wurden fast zwei Millionen Kinder in Kuba damit geimpft. Laut Vérez Bencomo deuten unveröffentlichte Daten darauf hin, dass der Impfstoff sicher und wirksam sei.

»Ich denke, dass das Vakzin eine nützliche Ergänzung für die ganze Welt werden wird«, sagt John Grabenstein, Präsident des Beratungsunternehmens Vaccine Dynamics in Easton, Maryland. »Jeder verwendet ein anderes Gerät aus dem Werkzeugkasten – funktionieren tun sie aber so ziemlich alle.« Seiner Meinung nach scheinen die Daten von Soberana 02 solide zu sein, es wird aber noch einige Zeit dauern, bis klar ist, wie lange die Immunität erhalten bleibt.

In der Zwischenzeit bringt Kuba seine Entwicklung von Covid-Impfstoffen weiter voran. Das Finlay-Institut forscht an Soberana 01, bei dem das Spike-Protein nicht an das Tetanustoxinprotein gekoppelt ist, sondern an einen Zucker aus dem Bakterium, das Meningitis hervorruft. Und das CIGB arbeitet an Mambisa, einem nasal verabreichten Impfstoff, der das gleiche RBD-Fragment enthält wie Abdala. Beide Vakzine befinden sich aber noch in der klinischen Erprobung.

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