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Suprafluidität: Kühler Blick

Suprafluide Flüssigkeiten befinden sich in einem eigenartigen Zustand, der sie ohne Reibung oder Widerstand fließen lässt. Bisher konnte dieses Phänomen nur für flüssiges Helium nachgewiesen werden. Jetzt gibt es erste Einblicke auch bei Wasserstoff-Molekülen.
Wasserstoff-Cluster
Wasserstoff ist das häufigste Element im Universum. So entsteht die Energie unserer Sonne und die der vielen anderen Sonnen und Sterne im Weltall durch die Verschmelzung von Wasserstoff-Kernen zu Helium-Kernen. Die Wasserstoff-Moleküle spielen eine entscheidende Rolle bei der Entstehung neuer Galaxien und bestimmen das chemische Verhalten des interstellaren Raums. Auf der Erde wurde in den letzten Jahren Wasserstoff als Energieträger der Zukunft propagiert. Er hat die höchste Energiedichte pro Masse, und bei seiner Verbrennung mit Sauerstoff entsteht ausschließlich sauberes Wasser. Als einfachstes aller Atome hat das Wasserstoffatom auch ganz wesentlich zur Entwicklung der Quantenphysik beigetragen.

Als das einfachste aller Moleküle mit nur zwei Elektronen hat es in der theoretischen Chemie lange Zeit als Testsystem für die Entwicklung wirksamer Algorithmen zur Berechnung chemischer Bindungen und Reaktionen gedient. Diese Vorzüge, die auf die nur zwei Elektronen im Molekül und seine geringe Masse zurückzuführen sind, stellen sich aber andererseits als schwer wiegendes Hindernis bei der Untersuchung des Wasserstoffs in seinen verschiedenen Aggregatzuständen heraus. Die Empfindlichkeit vieler Messmethoden, wie die Beugung von energetischen Elektronen oder Röntgenstrahlen, steigt mit der Anzahl der Elektronen im Element an, sodass sie auf Wasserstoff recht unempfindlich reagieren. Auch bei der theoretischen Beschreibung der Aggregatzustände bereitet die kleine Masse einige Probleme. Die meisten anderen Atome und Moleküle sind hinreichend schwer, weshalb ihre quantenmechanische Unschärfe nach dem Heisenberg'schen Unbestimmtheitsprinzip nur eine ganz untergeordnete Rolle spielt. Dagegen führt bei den leichten Wasserstoff-Molekülen, besonders bei tiefen Temperaturen, die quantenmechanische Unschärfe dazu, dass die Teilchen keine wohldefinierten klassischen Positionen einnehmen, sondern quantenmechanisch verschwommen sind.

Wasserstoff-Cluster | H2-Cluster mit fünf Wasserstoffmolekülen: Die kleinen Hanteln einer Farbe zeigen jeweils eine von drei Momentaufnahmen der vielen möglichen Konfigurationen der fünf Moleküle eines kleinen Wasserstoff-Clusters. Die graue Kugel mit einem Durchmesser von 8,42 Ångstrom umfasst den Bereich, in dem die fünf Moleküle des Clusters mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit anzutreffen sind.
Das etwas schwerere Helium wird deshalb bis hin zu tiefsten Temperaturen nicht fest, sondern geht unterhalb von 2,2 Kelvin in einen anderen einmaligen, kollektiven Quantenzustand über, den man auf Grund des ungewöhnlichen Verhaltens "suprafluid" nennt. In diesem Zustand zeigt Helium viele Eigenschaften, die sonst in der Natur bei keiner anderen Flüssigkeit vorkommen. Vielleicht die markanteste davon ist die Fähigkeit, ohne Widerstand fließen zu können, ähnlich wie in einem Supraleiter, bei dem Strom ohne Widerstand fließt. Wasserstoff dagegen wird unterhalb von 13,8 Kelvin fest und zeigt ein scheinbar normales Verhalten. Bei noch tieferen Temperaturen führen die Quanteneffekte allerdings auch im festen Zustand zu ungewöhnlichen Effekten. So können die Wasserstoff-Moleküle, anders als bei allen anderen Stoffen, im Festkörper frei rotieren.

1972 haben Vitali Ginzburg, der im Jahr 2003 den Nobelpreis für Physik erhielt, und sein Mitarbeiter Alexander Sobyanin vorgeschlagen, dass auch Wasserstoff in einen suprafluiden Zustand umgewandelt werden könnte, falls es gelänge, den Übergang in den festen Zustand bis zu Temperaturen von etwa 6 Kelvin aufzuhalten. Man nennt einen solchen metastabilen Zustand eine unterkühlte Flüssigkeit. Ähnliche Zustände spielen in der heutigen Physik eine sehr große Rolle. So sind die Bose-Einstein-Kondensate, für die es 2001 den Nobelpreis für Physik gab, in Wirklichkeit stark unterkühlte metastabile Systeme, die nach einiger Zeit spontan in den festen Aggregatzustand übergehen.

Versuche, den suprafluiden Zustand im Wasserstoff durch eine Unterkühlung der flüssigen Phase zu erreichen, sind jedoch bis heute gescheitert. 1991 konnten David Ceperley und seine Mitarbeiter jedoch mit Hilfe einer aufwändigen theoretischen Simulation zeigen, dass kleine Cluster aus bis zu etwa 18  Molekülen in einen suprafluiden Zustand übergehen können. Bei so wenigen Molekülen ist die kollektive Bindung so schwach, dass der Cluster auch bei tiefen Temperaturen flüssig bleibt und nicht fest wird. Dagegen ist der suprafluide Zustand bei größeren Clustern mit etwa 33 Molekülen vernachlässigbar klein.

Schema des Experiments | Schematischer Aufbau des Experiments zum Nachweis kleiner Wasserstofftröpfchen:
Bei der Expansion des Gases aus einer Düse mit 0,050 Millimeter Durchmesser ins Vakuum entstehen kleine Cluster. Durch einen intensiven Laserlichtstrahl werden die Cluster zum Aussenden eines Raman-Spektrums angeregt.
Das Spektrum im oberen Teil des Bildes besteht aus einem intensiven Maximum, gefolgt von einer Reihe kleinerer Nebenmaxima. Jeder dieser Maxima wird einem Cluster mit einer definierten Anzahl von Molekülen zugeordnet.
Bereits vor vier Jahren hatten Jan Peter Toennies und seine Mitarbeiter vom Max-Planck-Institut für Strömungsforschung über das Auftreten des suprafluiden Zustands bei kleinen Clustern aus 14 bis 17 Wasserstoffmolekülen berichtet, die allerdings an einem OCS-Molekül (Carbonylsulfid) angebunden waren. Bei diesen Experimenten diente das OCS-Molekül als spektroskopische Sonde. Durch Einbetten dieser Cluster in Tröpfchen aus 4He oder eines 4He/3He-Gemisches war es den Forschern möglich, die Cluster auf eine sehr niedrige Temperatur von 0,37 beziehungsweise 0,15 Kelvin abzukühlen und damit den Übergang in den suprafluiden Zustand auszulösen. Doch in diesem Experiment beeinflussten das OCS-Sonden-Molekül und die Umgebung der Helium-Tröpfchen die Beobachtungen. Deshalb versucht man, Experimente an reinen Wasserstoff-Clustern ohne den Einbau eines Fremdmoleküls durchzuführen.

Seit den 1960er Jahren ist bekannt, wie man kleine Cluster durch die Expansion eines Gases unter hohem Druck in eine Vakuumkammer experimentell erzeugen kann. Dabei entsteht ein gerichteter Strahl aus kleinen Clustern, die anschließend mit den verschiedenen physikalischen und chemischen Methoden auf ihre Eigenschaften untersucht werden können. Wegen der bereits erwähnten experimentellen Schwierigkeiten, die von den nur zwei Elektronen im Wasserstoff-Molekül herrühren, konnte man diese Methoden aber dafür bisher nicht anwenden. Doch jetzt ist es einem Forscherteam um Guzmán Tejeda vom Institut für Materiestruktur in Madrid in Zusammenarbeit mit den Göttinger Wissenschaftlern gelungen, solche molekularen Wasserstoff-Cluster nicht nur zu erzeugen, sondern auch nachzuweisen und zu charakterisieren.

In dem neuen Experiment konnten die Wissenschaftler die Empfindlichkeit einer weit verbreiteten Untersuchungsmethode, der Raman-Spektroskopie, soweit verbessern, dass erstmals der Nachweis kleiner Wasserstoff-Cluster möglich wurde. Die verbesserte Methode ist so empfindlich, dass sogar die örtliche Konzentration der einzelnen Wasserstoff-Cluster mit einer räumlichen Auflösung von nur zwei Mikron – ein Tausendstel Millimeter – bestimmt werden konnte. Damit war es auch möglich, die Entstehung und Wachstum der Cluster entlang der Expansion zu verfolgen. Zur Deutung der Spektren wurde das quantenmechanische Verhalten der Moleküle in den einzelnen Clustern mit einer der von Ceperley angewandten ähnlichen Methode simuliert. Diese Rechnungen bestätigten, dass die Cluster aufgrund der erwarteten Quanteneffekte stark delokalisiert (verschwommen) sind und nicht, wie man sonst erwartet hätte, in den festen Zustand übergegangen waren.

Durch diese Experimente wurde erstmals der Weg zum Nachweis der Suprafluidität in reinen Wasserstoff-Clustern geebnet. Andere Untersuchungen zeigen, dass die Cluster kälter als ein Grad Kelvin sein sollten. Die Cluster müssten also hinreichend kalt sein, um suprafluid zu werden. Eine solche Temperatur kann durch die Beimischung eines Überschusses an Helium erreicht werden. Dazu wollen die Forscher auch die Empfindlichkeit und Auflösung der Spektren weiter verbessern. Erst dann können die theoretischen Vorhersagen von Ginzburg und Sobyanin sowie Ceperley und Mitarbeitern endgültig überprüft werden.

"Obwohl es sicher viel zu früh ist, um über Anwendungen der Suprafluidität von Wasserstoff nachzudenken, könnte man darüber spekulieren, ob ein stabiler suprafluider Zustand in kaltem Wasserstoff durch eine geeignete Beimischung von schwach wechselwirkenden 3He-Atomen erreicht werden könnte", erläutert Toennies die Bedeutung der Suprafluidität von Wasserstoff. "Vielleicht werden dann die Tankstellen der Zukunft durch den reibungslos in kalten unterirdischen Röhren fließenden suprafluiden Wasserstoff versorgt."

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