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Gewebezucht: Künstliche Blutader wächst im Körper

Kindern mit angeborenen Herzfehlern werden oft Gefäßimplantate eingesetzt, aus denen sie mit der Zeit herauswachsen. Im Labor gezüchtetes Ersatzgewebe soll das ändern.
Gefäßprothese

Jährlich rund 6000 Babys in Deutschland brauchen künstliche Herzklappen oder Blutadern wegen angeborener Herzfehler – der beim Menschen häufigsten Organfehlbildung. Vielfach hilft dann nur der Ersatz: Die fehlerhaften Verbindungen zwischen Herz und Blutkreislauf müssen mit Kunststoffröhrchen oder durch tierische Transplantate überbrückt werden. Doch wachsen Kinder aus diesen Prothesen schnell heraus, so dass sie mehrfach nachoperiert werden müssen – manchmal bis zu siebenmal.

Denn das Ersatzgewebe hat im Körper kein Wachstumspotenzial. Tierische Transplantate stammen hauptsächlich von Rindern. Eine chemische Behandlung verhindert, dass sie das Immunsystem abstößt, neues Gewebe siedelt sich auf ihnen nicht an. Ganz ähnlich verhält es sich bei Kunststoffen.

Besser eignen sich schon Transplantate von menschlichen Spendern. In solchen Fällen entfernen Mediziner die Zellen mit einer milden Zellwäsche, so dass nur noch ein Proteingerüst zurückbleibt, das der Körper der Patienten als eigenes Gewebe annimmt. Leider fehlen aber an allen Ecken und Enden menschliche Transplantate. Forscher arbeiten darum an Methoden des Tissue Engineering, mit denen menschliches Gewebe im Labor gezüchtet wird.

Doch das ist aufwändig und teuer: Sie entnehmen Patienten dazu Zellen aus Blutgefäßen, dem Knochenmark oder der Nabelschnur und züchten diese im Labor auf geeigneten Trägermaterialien. Implantate aus solchen patienteneigenen Zellen haben den Vorteil, dass der Körper sie gut annimmt, allerdings müssen sie für jeden Patienten individuell hergestellt werden.

Das zu ändern, haben sich Forscher um Robert Tranquillo von der University of Minnesota vorgenommen. Für ihre alternative Methode, wachstumsfähiges Gewebe im Labor heranzuzüchten, brauchen sie keine patienteneigenen Zellen. Gefäßprothesen könnten dadurch auf Vorrat produziert werden – das Ziel der Forscher ist eine Art Standardprothese, die für jeden sofort verfügbar ist. Getestet haben sie das Verfahren jetzt erfolgreich an heranwachsenden Lämmern.

Ihr Implantat besteht aus zwei Proteinkomponenten: langen Kollagenfasern und einem Fibrinnetz. Kollagen ist das am häufigsten vorkommende menschliche Protein und verleiht unserem Bindegewebe Festigkeit. Um es im Labor zu produzieren, kultivieren die Forscher Bindegewebszellen, die zwar von einem Menschen, nicht aber vom Patienten selbst stammen, und füllen sie in einen Bioreaktor in Gestalt einer Lungenschlagader.

Zellgerüst entsteht in der Gussform

In dieser wärmenden und nährstoffreichen Gussform sondern die Zellen in großen Mengen Kollagen ab, dessen feste Fasern die Basis des künstlichen Gefäßes formen. Für den Zusammenhalt der Fasern sorgt der Proteinklebstoff Fibrin. Dieser entsteht üblicherweise, wenn man sich verletzt. Dann wandelt das Enzym Thrombin zusammen mit Kalzium den Gerinnungsfaktor Fibrinogen in den Klebstoff um, der die Wunde verschließt. Im Labor geben die Forscher das Fibrinogen, Thrombin und Kalzium in den Bioreaktor, woraufhin sich das gebildete Fibrin wie ein Netz um die Kollagenfasern legt und sie zusammenklebt. Innerhalb von sieben Wochen formt sich so ein fester, elastischer Schlauch – die künstliche Blutader.

Anschließend spülen die Forscher die Zellen mit Hilfe von Reinigungsmitteln aus der Struktur heraus, so dass die späteren Implantate von der Immunabwehr nicht attackiert werden, und lagern sie dann bis zu ihrem Einsatz im Kühlschrank.

Um zu testen, ob ihre Gefäßprothesen wachsen können, implantierten die Forscher sie in drei Lämmer im Alter von acht Wochen, denen sie zuvor ein Stück der Lungenschlagader entfernt hatten. Und tatsächlich: Die Implantate wuchsen mit den Lämmern heran. Ihr Wachstum konnte sogar mit dem natürlicher Arterien mithalten, so dass sie nach 50 Wochen einen Durchmesser hatten, wie man ihn bei ausgewachsenen Lämmern erwarten würde. Der nahtlose Übergang zwischen natürlicher und künstlicher Blutader sorgte für einen gleichmäßigen Blutstrom und eine gesunde Herzfunktion.

Wie war es möglich, dass die künstlichen Blutadern wuchsen? Im Lauf der Zeit waren körpereigene Zellen der Tiere aus der angrenzenden natürlichen Arterie in die Implantate hineingewachsen. So hatten sich über die gesamte Oberfläche der künstlichen Arterie Blutgefäßzellen, so genannte Endothelzellen, sowie glatte Muskelzellen angesiedelt und vermehrt. Die einwachsenden Zellen ermöglichten es, dass sich die neue Blutader natürlich vergrößerte, und sie trugen maßgeblich zur Stabilität des Implantats bei, denn sie produzierten das Strukturprotein Elastin, was für hohe Dehnbarkeit sorgte.

Mit Hilfe von Ultraschall konnten die Forscher beobachten, dass sich die Implantate, die zuvor gerade Schläuche waren, bereits nach wenigen Wochen wie die ursprünglichen Arterien gebogen hatten. Künstliche Gefäße geraten über einen längeren Zeitraum oft aus der Form. Typisch sind zum Beispiel Kalkablagerungen, Verengungen und Erweiterungen. Doch die Forscher konnten auch nach 50 Wochen noch keinerlei Anzeichen von Verschleiß beobachten. Die Lämmer wirkten rundum gesund und nahmen kräftig an Gewicht zu. Auch die Immunabwehr der Tiere zeigte keine Reaktion auf das fremde Gewebe. Zwar spritzten die Forscher den Lämmern regelmäßig den Blutgerinnungshemmer Heparin, um möglichen Thrombosen vorzubeugen, jedoch zeigte ihre spätere Analyse des Gewebes, dass diese Vorsichtsmaßnahme vielleicht sogar unnötig war.

Die neue Studie baut auf vorherigen auf, in denen die Forscher verschiedene Versionen ihres Implantats bereits in die Hauptschlagader und in die Oberschenkelarterie ausgewachsener Schafe verpflanzt hatten. Jetzt zeigten sie zum ersten Mal, dass es im Körper heranwachsen kann. Zwar werden noch weitere Versuche nötig sein, bis das neue Implantat an Menschen getestet werden kann, aber nach Meinung der Forscher gibt es keinen Grund, warum es nicht auch aus menschlichen Bindegewebszellen herstellbar sein sollte. In Zukunft könnte es Babys, die neue Herz-Kreislauf-Verbindungen benötigen, als mitwachsende Prothese eingepflanzt werden und so vielleicht gefährliche Komplikationen und zukünftige Nachoperationen vermeiden.

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