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Covid-19: Kultur und Infektionsrate hängen zusammen

Warum breitet sich das neue Coronavirus in einigen Ländern schneller aus und in anderen langsamer? Laut einer internationalen Studie hängt das mit einem Merkmal der Kultur zusammen: der sozialen Offenheit.
Menschen sitzen an einer Bar und unterhalten sich

In Deutschland verbreitet sich Sars-Cov-2 derzeit nicht so schnell wie etwa im Nachbarland Frankreich. Kulturelle Unterschiede könnten dazu beitragen, zeigt jetzt eine Studie in »Psychological Science«. Demnach neigen Menschen in Ländern mit hoher Infektionsrate stärker zu »Beziehungsmobilität«. Gemeint ist damit, wie leicht sie alte Kontakte aufgeben und neue knüpfen – und somit Gelegenheit haben, mit vielen verschiedenen Leuten zusammenzutreffen.

Die Gruppe um Cristina Salvador von der University of Michigan trug die Infektionsraten von 39 Ländern in den ersten 30 Tagen (gezählt ab dem 100. bestätigten Fall) zusammen und prüfte deren Zusammenhang mit einem Merkmal der Kultur, das einer der Koautoren zuvor mit einem anderen Team erhoben hatte: Empfanden Menschen andere in ihrem Umfeld als sozial offen, und wie sehr suchten sie selbst neue Freundschaften und gaben alte wieder auf? Daraus berechneten sie die mittlere Beziehungsmobilität eines Landes. Deutschland landete in der Mitte des Feldes, auf einer Höhe mit Portugal und Südkorea. An der Spitze stand Mexiko, dahinter unter anderem die Niederlande, Frankreich, die USA und einige südamerikanische Länder. Am unteren Ende: Japan, Malaysia und Ungarn.

»Aus der sozialen Offenheit eines Landes kann man vorhersagen, wie schnell dort die bestätigten Coronafälle in der Frühphase anstiegen«, schreiben Salvador und ihr Team. Das galt auch dann noch, wenn man den möglichen Einfluss von Alter und Geschlecht, Testkapazitäten sowie weiteren Kulturmerkmalen berücksichtigte. Rund acht Prozent der Unterschiede in den Wachstumsraten der Länder ließen sich mit der Beziehungsmobilität erklären, berechneten die Forschenden.

Aus methodischen Gründen kann man daraus zwar nicht auf einen kausalen Zusammenhang zwischen sozialer Offenheit und Infektionsrate schließen. Ein solcher liegt jedoch nahe, denn in sozial offenen Kulturen knüpfen Menschen leichter neue Bekanntschaften außerhalb ihrer primären Bezugsgruppen, was zur Ausbreitung des Virus beitragen könnte. Die Forschungsgruppe empfiehlt, die Abstandsregeln einzuhalten, gibt aber zu bedenken, dass dies eine Herausforderung sei, da soziale Offenheit ein Ausdruck von Freiheit und Unabhängigkeit sei.

Wie sehr sich Abstand dennoch lohnen könnte, zeigt eine Studie in der Zeitschrift »Clinical Infectious Diseases«. Zehnmal höher war das Risiko einer Infektion mit Sars-Cov-2 für Befragte, die nach eigenen Angaben außer Haus kein Social Distancing praktizierten, verglichen mit denen, die sich stets an die Regeln hielten. Waren die Befragten in den zwei Wochen zuvor mindestens dreimal in einem Gottesdienst gewesen, war das Risiko sogar 16-mal höher als bei denen, die sich von Gotteshäusern ferngehalten hatten.

Für die Studie waren im Juni 2020 mehr als 1000 zufällig ausgewählte Menschen im US-Bundesstaat Maryland befragt worden; rund fünf Prozent von ihnen hatten sich zu diesem Zeitpunkt schon mit dem Coronavirus infiziert. »Einfache Studien wie diese könnten ein nützliches Werkzeug sein, um Orte oder Populationen zu identifizieren, die besonders anfällig sind«, sagt der Epidemiologe Sunil Solomon von der Johns Hopkins School of Medicine in einer Pressemitteilung. Er und sein Team wollen nun in anderen Bundesstaaten ähnliche Umfragen durchführen, um zu prüfen, ob sich auf diese Weise Infektionscluster vorhersagen lassen.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

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