Linguistik: Kulturwandel zeigt sich im Sprachgebrauch
Bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts wurden Frauen deutlich seltener als intelligent beschrieben als Männer. Doch in den 1960er Jahren glich sich das Verhältnis zunehmend an. Anhand solcher Sprachtrends ziehen Forscher von der Stanford University jetzt in der Fachzeitschrift »PNAS« die Entwicklung von Stereotypen über ein ganzes Jahrhundert nach.
Sprachanalyse sei ein klassisches Werkzeug, um Stereotype zu untersuchen, erläutert das Team aus Kalifornien. Computerlinguisten nutzen dazu eine neue Methode namens »word embedding«. Sie stellt Wörter als Vektoren in einem mehrdimensionalen Raum dar und berechnet die Distanz zwischen ihnen, um sie miteinander zu vergleichen. »Die Geometrie der Vektoren erfasst die semantischen Beziehungen zwischen Wörtern«, erklären der Computerlinguist Dan Jurafsky und seine Kollegen in ihrer historischen Sprachanalyse. Beispielsweise verhielten sich die Vektoren von London und England ähnlich zueinander wie die von Paris und Frankreich.
Um Vektoren für Gruppen wie Männer, Frauen und verschiedene Ethnien auf der einen und Eigenschaftswörter wie intelligent auf der anderen Seite zu berechnen, griffen die Forscher auf gigantische Datensätze von »Google News«, »Google Books« und der »New York Times« zurück. Außerdem kalkulierten sie die Distanzen zwischen den genannten Gruppen sowie Berufsbezeichnungen und verglichen diese mit Daten aus traditionellen Volkszählungen, bei denen auch der Beruf erfragt wurde.
Frauenstereotype: einst »bezaubernd«, heute »mütterlich«
»Die Darstellungen haben sich im Verlauf der Zeit dramatisch verändert«, schildern die Wissenschaftler. Bis 1930 war demnach das frauentypischste Adjektiv »charming« (bezaubernd, charmant). Dann wandelte es sich über »delicate« (zart, empfindlich), »sweet« (süß, lieb) und »attractive« (anziehend, attraktiv) zu »maternal« (mütterlich). Hingegen steht das Adjektiv »honorable« (ehrenwert, ehrwürdig) seit 1910 fast durchgängig an der Spitze der typischsten männlichsten Eigenschaften.
Gesellschaftliche Veränderungen spiegelten sich aber auch in den gängigen Assoziationen mit Volksgruppen. Vor 1950 etwa verband man mit Asiaten »grausam«, »hassenswert« und »abscheulich«. Ab Mitte des Jahrhunderts und besonders um 1980 stieg der Anteil der Asiaten in der US-Bevölkerung an, und zugleich wichen die alten Stereotype neuen wie »empfindsam«, »passiv« und »selbstzufrieden« – eine ganz bemerkenswerte Veränderung in der Einstellung gegenüber asiatischstämmigen Amerikanern, wie die Autoren kommentieren.
Zwar gäben Texte die öffentliche Meinung einer Epoche nicht vollständig wieder, räumt das Team von der Stanford University ein. Doch die Wortvektoren bildeten die groben Entwicklungslinien ab, wie der Vergleich mit Daten aus der Volkszählung gezeigt habe. Die neue Methode erlaube es, so das Fazit, große kulturelle Umwälzungen wie die Frauenbewegung und Einwanderungswellen anhand des veränderten Sprachgebrauchs nachzuzeichnen.
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