Gedächtnismanipulation : Labile Erinnerungen lassen sich überschreiben
Üblicherweise zeichnet sich das Langzeitgedächtnis durch besondere Dauerhaftigkeit aus. Doch jedes Mal wenn wir Erinnerungen wieder hervorholen, treten sie in eine labile Phase ein, in der sie neu abgespeichert werden. In dieser Zeitspanne der Rekonsolidierung, die nur wenige Minuten währt, lässt sich unser Gedächtnis durch Fehlinformationen gezielt in die Irre führen.
Diesen Effekt hatten Forscher bereits bei Ratten und – im Fall von Menschen – etwa am Beispiel simpler Assoziationen demonstriert. Dass er sich auch auf bewusstes Faktenwissen erstreckt, zeigten jetzt die beiden Psychologen Jason Chan und Jessica LaPaglia von der Iowa State University in Ames. Sie spielten ihren Versuchspersonen eine 40-minütige Fernsehsendung vor und testeten anschließend, wie gut sich die Probanden an Details aus dem Film erinnerten. Dieses Quiz diente als Reaktivierung und ließ die abgespeicherten Informationen in die formbare Phase eintreten.
Wenn nun Chan und LaPaglia den Versuchspersonen unmittelbar darauf eine auf Band gesprochene Zusammenfassung präsentierten, in der einige Fakten verändert waren, neigten die Freiwilligen dazu, sich die neuen Informationen einzuprägen: So attackierte im Original – der Pilotfolge zur Serie "24" – ein Terrorist mit einer Nadel eine Flugbegleiterin, in der veränderten Zusammenfassung hieß es hingegen, er habe einen Elektroschocker verwendet. Ein anschließender Ja/Nein-Fragebogen belegte, dass Probanden veränderte Details übernommen hatten.
Durch Variation verschiedener Versuchsparameter versuchten die Wissenschaftler, alternative Erklärungen auszuschließen und die Rekonsolidierung eindeutig als Ursache für die falschen Erinnerungen der Probanden auszuweisen. So ließ sich das Gedächtnis von Teilnehmern nicht in die Irre führen, wenn diese im Anschluss an den Film lediglich Tetris spielten und nicht das Quiz lösten. Bei ihnen wurden offenbar die Erinnerungen an die Details nicht neu abgerufen und formbar gemacht. An die Fehlinformationen erinnerten sie sich ebenfalls dann nicht, wenn sich das kritische Zeitfenster bereits geschlossen hatte, weil die Versuchsleiter nach dem Wiederabruf absichtlich zu viel Zeit verstreichen ließen.
Ob der Effekt groß genug ist, um auch therapeutisch genutzt zu werden – etwa bei Traumapatienten, die den Umgang mit belastenden Erinnerungen erlernen sollen –, ist noch offen. Er trete wohl in vollem Umfang nur auf, so die Forscher, wenn erstens die Erinnerungen an das zu manipulierende Detail nicht allzu deutlich sind und zweitens der Proband nicht am Wahrheitsgehalt der manipulierten neuen Informationen zweifelt. Dafür müssen die Veränderungen hinreichend subtil sein, Patienten dürften sich also nicht dazu bringen lassen, das Ereignis als Ganzes zu vergessen. Die Berücksichtigung des Zeitfensters und das Wissen um die Formbarkeit von Erinnerungen könnten jedoch helfen, die Wirksamkeit solcher Therapien zu verbessern, bei denen der Patient seine Erlebnisse bewusst wieder hervorholen und verarbeiten soll.
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