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Ökologie: Ländliche Ruhe einmal anders

"Es war die Nachtigall und nicht die Lerche", so Shakespeares berühmtes Zitat. Heute hätte er damit zumindest in England Schwierigkeiten, denn die Lerche verschwindet dort gerade - und mit ihr viele andere Vögel. Die industrialisierte Landwirtschaft bereitet ihnen den Garaus.
Feldlerche
Ländliche Idylle: Für Ornithologen sind das Feldlerchen, die über Äckern und Wiesen tirilieren, Wachteln, die sich in anrainenden Hecken tummeln, und Kiebitze, deren Küken sicher im höheren Gras verborgen sind. Über der Szene kreisen Mäusebussarde oder Turmfalken und jagen Schwalben tanzenden Mückenschwärmen hinterher. In den Dörfern hausen Schleiereulen in Kirchtürmen oder alten Scheunen, Feldsperlinge versammeln sich um Misthaufen oder Getreidelager und in den angrenzenden Obstgärten flötet der Ortolan und lauern Steinkäuze auf Beute.

Grauammer | Auch die Grauammer musste dramatische Bestandseinbußen hinnehmen, weil die Landwirtschaft intensiver wurde.
Doch das ist ein romantisches Bild aus dem vorletzten Jahrhundert, das so allenfalls noch in eher archaisch geprägten Landwirtschaften abgelegener Regionen Polens, Rumäniens oder der Ukraine vorkommt. Die Realität sieht völlig anders aus: Statt artenreicher Mager- dominieren ertragreiche Fettwiesen, die bis zu dreimal pro Jahr gemäht werden können. Felder ertrinken in Gülle, Mais- und Raps-Monokulturen dominieren ausgeräumte Landschaften ohne Strauch und blühende Ackerränder. Alte Scheunen wurden durch Hochleistungsställe ersetzt und Kirchtürme saniert. Selbst die alten strukturreichen Streuobstwiesen mussten vielerorts intensiven Apfelplantagen weichen.

Uns brachte diese intensivierte Landwirtschaft stetig sinkende Preise für Brot, Butter oder Fleisch, für die Artenvielfalt der Kulturlandschaft war die Entwicklung allerdings verheerend. In Großbritannien halbierten sich seit 1970 die Bestandsgrößen der meisten dafür typischen Vogelspezies, und in Deutschland stehen zwei Drittel von ihnen auf der Roten Liste der bedrohten Arten: Mancherorts sind ehemalige Allerweltstiere wie Rebhuhn, Kiebitz oder Bekassine bereits völlig verschwunden, und selbst der früher als Plage geltende Feldsperling wird immer seltener.

Goldammer | Noch ist die Goldammer relativ häufig in der Kulturlandschaft, aber negative Tendenzen zeigen sich auch bei ihr.
Der Druck auf die Landwirtschaft und die davon abhängige Flora und Fauna wird auch zukünftig groß bleiben oder sogar noch zunehmen. Dafür sorgen der steigende Bedarf an Biokraftstoffen und bald womöglich genetisch modifizierte Hochleistungspflanzen, die stärker gedüngt oder gespritzt werden müssen. Auf der anderen Seite gibt es Bestrebungen, den so genannten ökologischen Landbau aus seinem bisherigen Nischendasein herauszuholen. Die Folgen für die Vogelwelt scheinen klar, aber was würde sich im Einzelnen verändern und wie könnte man weiteren Artenverlusten entgegensteuern?

Um das zu beantworten, bastelten Simon Butler von der Universität im britischen Reading und seine Kollegen ein Modell, in das sie sechs Parameter landwirtschaftlicher Veränderungen einfließen ließen [1]. Sie berücksichtigten unter anderem den erhöhten Einsatz von Pestiziden, die Entwässerung von Feuchtwiesen, häufigere Mahd und den Verlust von Brachen, um zu sehen, wie sich dies auf das Nahrungs- wie Nistplatzangebot der Vögel auswirkt. Anschließend testeten sie, wie sich die Bestände bei bestimmten Nutzungsszenarien veränderten.

Relativ eindeutig war das Ergebnis, sollten bald verstärkt gentechnisch veränderte, herbizidresistente Nutzpflanzen eingesetzt werden. Das Nahrungsangebot, schätzen die Forscher, geht auf dergestaltigen Zuckerrüben- oder Raps-Äckern nochmals deutlich zurück, da Insekten und Ackerunkräuter verschwinden. Rund vierzig Vogelspezies dürften davon betroffen sein: Ihr Bruterfolg schwindet, die Zahlen sinken weiter. Allerdings würde sich nur für den Wiesenpiper (Anthus pratensis) der Status überdurchschnittlich verschlechtern – für die Avifauna macht es also keinen großen Unterschied, ob es sich nun um die bisherige konventionelle oder eine zukünftige gentechnisch aufgepeppte Landwirtschaft handelt.

Neue Bergstation | Menschlicher Schaffensdrang in seiner ganzen Hässlichkeit: neue Bergstation für den Skibetrieb in den österreichischen Karawanken.
Wie sieht es aber mit dem ökologischen Feldbau aus, beziehungsweise mit einem herkömmlichen, der mehr Rücksicht auf natürliche Elemente in seinem Umfeld nimmt als heute? Relativ gut, meinen Butler und seine Kollegen, solange sie vor allem das Nahrungs- und Nistplatzangebot im Auge haben und gezielt verbessern. Eine erste Initiative in diese Richtung wurde in England 2005 gestartet, sie umfasst bislang 1,5 Millionen Hektar Land und stellte allein im ersten Jahr 47 Millionen Pfund für Maßnahmen zum Erhalt der Artenvielfalt im Agrarraum zur Verfügung. Erste Auswertungen deuten jedoch an, dass sie sich bislang vornehmlich auf Hecken und Ackerränder fokussieren, die eigentlich Nutzfläche jedoch nicht berücksichtigen – und damit die momentanen Nachteile für die Vögel nicht kompensieren. Ohne aufgewertete Kernlebensräume befinden sich die strikt darauf angewiesenen Arten wie Feldlerche (Alauda arvensis) oder Grauammer (Miliaria calandra) aber weiterhin im freien Fall, warnen die Forscher.

Neben der veränderten Landwirtschaft wird für die Tierwelt ebenso das Freizeitverhalten der Menschen problematisch, wie Ökologen um Antonio Rolando von der Universität Turin berichten [2]. Denn es benötigt zunehmend selbst ehemals schwer zugängliche Regionen wie das Hochgebirge: Wegen der häufigeren milden Winter weichen Skipisten- und Liftbetreiber in höhere Lagen aus, die noch als schneesicher gelten, aber auch größere Infrastrukturmaßnahmen erfordern – und gefährden damit die dort lebenden Kreaturen.

Das zeigt ein Vergleich der Forscher von alpinen Skigebieten mit fernab gelegenen natürlichen Wiesen, auf denen wesentlich mehr Tiere und mehr Spezies gesichtet wurden als im zum Freizeitpark umgestalteten Gelände. In einem Drittel aller Abfahrtsgebiete sichtete sie während des Untersuchungszeitraums sogar keinen einzigen Vogel, selbst in den angrenzenden, nicht genutzten Arealen waren die Populationen ausgedünnt. Empfindliche Arten wie Steinhühner (Alectoris graeca), Alpenkrähe (Pyrrhocorax pyrrhocorax) oder Steinschmätzer (Oenanthe oenanthe) leiden dabei nicht nur unter den direkten Störungen und Lebensraumveränderungen, wie sie durch das Planieren der Piste, den Massentourismus oder den Lärm künstlicher Beschneiung ausgelöst werden.

Neue Skipiste in den Karawanken | Neue Skipiste in den Karawanken: Die Artenvielfalt auf diesen Strecken und in ihrem Umfeld geht massiv zurück.
Gravierender könnte sie vielmehr der Nahrungsmangel treffen. Denn auf den Pisten schwinden offensichtlich Insekten und Spinnentiere ebenfalls, die selbst unter dem Rückgang der Pflanzenvielfalt leiden – vielfach werden die mit schwerem Gerät angelegten und abgeräumten Strecken anschließend mit wenigen Hochleistungs-Gräsern bepflanzt, um der Erosion vorzubeugen. Viele der typischen Alpenblumen leiden zudem unter der Berieselung mit Kunstschnee, da er kompakter ist als natürlicher, und entsprechend schlechter taut. Außerdem ist er nährstoffreicher, da sein Wasser oft aus extra angelegten Teichen stammt, in die selbst Nährstoffe eingetragen wurden.

Um zumindest die gröbsten Nachteile für die Vogelwelt zu verhindern, empfiehlt Rolando, nur die stärksten Unebenheiten und störende Felsen zu beseitigen, den Boden möglichst wenig aufzuwühlen oder wenigstens zur Renaturierung heimische Gräser und Kräuter zu säen. Mehr als Kosmetik dürfte das jedoch auch nicht sein.

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