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Lärmverschmutzung: Das Streben nach leiseren Meeren

Von Schiffsmotoren bis zu unterseeischen Explosionen, die Menschen erfüllen auch die Ozeane mit Lärm. Forscher versuchen herauszufinden, welchen Einfluss dieser Lärm auf das Leben in den Meeren hat – bevor er noch mehr Schaden anrichtet.
Ein kleines Motorboot umgeben von Möwen. Im Hintergrund eine Großstadt.

Im kolumbianischen Golf von Tribugá verläuft eine tiefe Rinne vom Pazifischen Ozean bis an die Küste. Es ist ein hervorragender Platz für einen Hafen. Doch derzeit durchpflügt dort nur gelegentlich ein Schiff das Wasser. Die Fischerei spielt in den kleinen Dörfern an der Golfküste keine große Rolle. Viele Einheimische verwenden noch Einbaumkanus. Die Küste dort ist auf eine Weise friedlich, über die die meisten Menschen gar nicht nachdenken: Das Meer ist nahezu unbeeinträchtigt von menschlichem Lärm.

Unter Wasser hört man nur das Pfeifen und Klicken der vom Aussterben bedrohten Buckelwale, das Grunzen der Fische und das Schnappen der Garnelen. »Es ist eine perfekte, einschläfernde Kakophonie tierischer Geräusche«, sagt Kerri Seger, die für das kalifornische Meerestechnikunternehmen Applied Ocean Science die unterseeische Akustik in der Region untersucht.

Doch das könnte sich schon bald ändern: Die Planungen für den Bau eines großen internationalen Hafens in dem Golf, der die Schifffahrtswege nach Asien verbessern soll, laufen bereits. Die Verwandlung der stillen Küste in eine belebte Schifffahrtsstraße könnte sich für die Buckelwale und andere lokale Spezies als fatal erweisen. Zwar hofft Seger, lokale Proteste könnten den Bau des Hafens noch verhindern. Doch gleichzeitig sieht sie die kolumbianische Küste als seltene experimentelle Gelegenheit, den Einfluss des anschwellenden, von Menschen gemachten Lärms auf das ozeanische Leben zu beobachten.

»Es ist eine perfekte, einschläfernde Kakophonie tierischer Geräusche«Kerri Seger

International wachsen die Sorgen angesichts immer neuer Hinweise auf schädliche Folgen von militärischen Sonargeräten, seismischen Untersuchungen, Ölbohrungen, Ausbaggerungen und Schiffsmotoren. Kurze, laute Knalltöne können physische Schäden verursachen. Dauerhafte Hintergrundgeräusche können von der Kommunikation bis zum Fressverhalten weite Bereiche ganzer Ökosysteme beeinflussen.

»Es gibt durchaus den politischen Willen, den unterseeischen Lärm zu regulieren«, sagt der Biowissenschaftler Jakob Tougaard von der Universität Aarhus in Dänemark. Im November 2018 verabschiedeten die Vereinten Nationen mehrere Resolutionen zur Erhaltung der Gesundheit der Ozeane, in denen von der »dringenden Notwendigkeit« die Rede ist, die Effekte des anthropogenen Unterwasserlärms in internationaler Zusammenarbeit zu erforschen.

Die Europäische Union hat Rechtsvorschriften erlassen, die bis zum Jahr 2020 für gesunde Ökosysteme in den Ozeanen sorgen sollen, darunter Maßnahmen, die sicherstellen sollen, dass sich unterseeischer Lärm nicht nachteilig auf Meereslebewesen auswirkt. Und auch die Verbände der Schifffahrt zeigen sich besorgt: Bereits 2014 gab die Internationale Seeschifffahrtsorganisation Leitlinien zur Reduktion des von Schiffen verursachten Lärms heraus.

Große Lücke in der Forschung

Doch in der wissenschaftlichen Erforschung der Thematik klafft noch eine große Lücke. Da Lärm so allgegenwärtig ist, ist es schwierig zu untersuchen, welchen Einfluss seine Zunahme hat. Bislang ist nicht klar, ob ozeanische Ökosysteme sich an den Lärm anpassen können – oder ob eine Zunahme des Lärms zum Zusammenbruch bereits gefährdeter Systeme führen kann. Die Forscher müssen daher zu »akustischen Prospektoren« werden, die auf der Suche nach ruhigen Zonen und lauten Lebensräumen sind, um aufzuzeichnen, was genau geschieht, wenn sich der Geräuschpegel ändert.

Die Bemühungen reichen von natürlichen Experimenten zum Einfluss von Plänen, Schifffahrtsrouten in der Ostsee zu verlegen, bis zu Untersuchungen der Folgen von kanadischen Versuchen, die Geschwindigkeit von Schiffen in der Küstenregion von Vancouver zu reduzieren. Im Ganzen betrachtet mag der Klimawandel eine größere Bedrohung für die ozeanischen Ökosysteme sein ebenso wie die Übersäuerung und die Verschmutzung der Meere. Doch die Forscher befürchten, dass der Hintergrundlärm der Tropfen sein könnte, der das Fass zum Überlaufen bringt. »Zwei Stressfaktoren zusammen sind mehr als nur A plus B«, sagt Lindy Weilgart, Biologin an der Dalhousie University im kanadischen Halifax. »Der negative Effekt ist größer als die Summe der Teile.«

»Zwei Stressfaktoren zusammen sind mehr als nur A plus B: Der negative Effekt ist größer als die Summe der Teile«Lindy Weilgart

Vor einigen Jahrzehnten wusste man kaum etwas über Lärm im Ozean. Als der französische Ozeanograf Jacques Cousteau im Jahr 1956 seine berühmten Dokumentationen über die Meere drehte, nannte er sie »die schweigende Welt«. Eine völlig falsche Bezeichnung, wie Forscher heute nicht müde werden zu betonen. Tatsächlich ist der Ozean eine Welt voller Geräusche: Wellen, Meereslebewesen und Regenfälle machen eine Menge Lärm. Ein Buckelwal kann so laut sein wie ein Außenbordmotor, so Seger.

Die Menschheit trägt inzwischen ihren Teil zur ozeanischen Geräuschkulisse bei. Es gibt zwar keine globale Karte des Lärms in den Meeren, aber die Wissenschaftler sind sich einig, dass der Schiffsverkehr sich zwischen 1950 und 2000 etwa verdoppelt und dadurch den Lärmpegel um geschätzte drei Dezibel pro Jahrzehnt erhöht hat. Das bedeutet eine Verdopplung der Schallintensität alle zehn Jahre, da Dezibel eine logarithmische Skala ist.

Alle zwei Jahre verdoppelt sich die Schallintensität

Schall breitet sich im Wasser anders aus als in der Luft, deshalb lassen sich die beiden Umgebungen nur schwer vergleichen. Doch der Knall einer seismischen Luftdruckkanone für die Suche nach Öl oder Gas unter dem Meeresboden kann so laut sein wie ein Raketenstart oder eine Unterwasserdynamitexplosion. Schiffsmotoren und Ölbohrungen erreichen ähnliche Lautstärken wie ein Rockkonzert. Manche dieser Geräusche sind über Hunderte von Kilometern hörbar.

Ein eindeutiges Alarmzeichen waren Massen toter Schnabelwale, die an Küsten angeschwemmt wurden. Laute Geräusche scheinen zu panischen Tauchaktionen der Tiere zu führen, die zu einer Art Dekompressionskrankheit und damit zu Blutungen in Gehirn und Herz führen. In den fünf Jahrzehnten vor 1950 registrierten Forscher lediglich sieben derartige Massenstrandungen. Aber von da an, nach der Einführung leistungsstarker Sonare in der Marine, bis zum Jahr 2004 gab es mehr als 120. Studien zeigen, dass laute Töne bei Walen das Gehör schädigen und zu Hörverlusten führen. Laute Töne können auch Wirbellose schädigen, indem sie beispielsweise die Entwicklung von Muschellarven hemmen. Im Jahr 2017 berichteten Forscher, dass Explosionen für seismische Untersuchungen noch in einer Entfernung von einem Kilometer das Zooplankton abtöten können. Der Knall solcher Explosionen »wirke wie ein Rasenmäher«, sagt Rob Williams, Mitbegründer der Ocean Initiative, einer Organisation zur Erhaltung der Wale in Seattle in den USA.

Aber auch Hintergrundlärm hat Folgen. Eine seltene Gelegenheit zur Beobachtung dieses Einflusses bot sich den Forschern 2001 nach dem Terrorangriff auf die Zwillingstürme des World Trade Center in New York. Der gesamte gewerbliche Verkehr kam zum Erliegen – und das verringerte die maritime Geräuschkulisse erheblich. Rosalind Rolland, für die Gesundheit der Meere zuständige Direktorin am Anderson Cabot Center for Ocean Life in Boston in den USA, führte gerade eine langfristige Untersuchung der Ausscheidungen von Glattwalen (Eubalaena glacialis) durch. Sie stieß auf eine Abnahme stressbedingter Stoffwechselprodukte. Das war ein erster biologischer Hinweis darauf, dass niederfrequente Schiffsgeräusche zu chronischem Stress bei Walen führen können.

Buckelwale hören auf zu singen

Eine Reihe weiterer Studien hat ergeben, dass der Lärm von Booten den Stresshormonspiegel in vielen Meereslebewesen, darunter Fischen und Krebsen, erhöhen kann. Das führt dazu, dass diese Tiere mehr Zeit dafür verwenden, nach Gefahren Ausschau zu halten, und weniger Zeit für die Aufzucht ihrer Nachkommen. Eine Untersuchung belegte, dass die Überlebensrate von Fischen der Gattung Ambon-Demoiselle (Pomacentrus amboinensis) auf weniger als die Hälfte absinkt, wenn sie Bootslärm ausgesetzt sind. Und Delfine ändern ihren Gesang: Sie pfeifen bei niedrigeren Frequenzen und mit geringerer Variation, wenn der Umgebungslärm zunimmt. Manche Buckelwale hören sogar ganz auf zu singen. All das verändere sehr wahrscheinlich die Beziehungen zwischen den Meeresbewohnern auf bislang unbekannte Art und Weise, so Williams: Ein höherer Lärmpegel verringert seiner Ansicht nach mit Sicherheit die Chancen, Futter zu entdecken, Partner zu finden und sich vor Raubfischen zu verstecken.

»Es geht hier nicht um Lebensqualität, sondern um sehr reale Beeinträchtigungen«Rob Williams

Die National Oceanic and Atmospheric Administration der USA stellte 2016 die Faustregel auf, dass Geräusche mit einer Lautstärke von über 160 Dezibel das Verhalten von Meeressäugern ändern. Für einen dauerhaften Schallpegel liegt danach diese Grenze bereits bei 120 Dezibel. Die schwierige Frage lautet: Können Ökosysteme und Populationen sich an den Lärm anpassen – oder sind die Folgen schwerwiegender?

Der stärkste Beleg dafür, dass Hintergrundlärm ein kritisches Problem darstellt, ergibt sich möglicherweise aus Daten über Schwertwale (Orcinus orca) vor der pazifischen Küste Kanadas. Wie Williams und weitere Forscher berichteten, verbrachten die dort lebenden Wale 18 bis 25 Prozent weniger Zeit mit der Nahrungsaufnahme, wenn sie Bootslärm ausgesetzt waren. Es gibt in dieser Region nur noch 75 südlich beheimatete Schwertwale, und diese haben durch eine abnehmende Lachspopulation bereits mit einer dramatischen Verringerung des Nahrungsangebots zu kämpfen, so Williams: »Es geht hier nicht um Lebensqualität, sondern um sehr reale Beeinträchtigungen.«

Lärmverschmutzung im Meer

Experimente im ruhigen Ozean

Angesichts derartiger Herausforderungen schlug Umweltforscher Jesse Ausubel von der Rockefeller University in New York schon vor einem Jahrzehnt ein »internationales Experiment im ruhigen Ozean« (International Quiet Ocean Experiment, kurz IQOE) vor. Ausubel hatte bereits ambitionierte Projekte wie die »Zählung der Meereslebewesen« (Census of Marine Life) mitbegründet, in deren Rahmen alle Meereslebewesen katalogisiert werden sollten. Er und andere gingen 2011 mit der Idee an die Öffentlichkeit, den Ozean zum Verstummen zu bringen, um zu sehen, was die Abwesenheit von Lärm für Folgen hat.

Da es unmöglich ist, einen ganzen Ozean zum Schweigen zu bringen, selbst für einen einzigen Tag, wurde die Idee zu einer kleineren, durchführbaren Aufgabe modifiziert. Das IQOE veröffentlichte 2015 seine wissenschaftliche Planung und agiert jetzt als eine die Erforschung des ozeanischen Lärms koordinierende, aber nicht finanzierende Dachorganisation. Eines ihrer Hauptziele ist dabei schlicht, mehr Daten zu sammeln: Im Jahr 2018 überzeugte sie das Global Ocean Observing System, ein hoch gelobtes UN-Projekt, das Satelliten, Bojen und Forschungsschiffe koordiniert, die die Ozeane überwachen, den Lärmpegel in die Liste ihrer essenziellen Messwerte aufzunehmen.

Zu den Projekten, die das IQOE unterstützt, zählt neben Segers Arbeit auch ein Naturexperiment in der Ostsee. Schweden und Norwegen haben die ungewöhnliche Entscheidung getroffen, einen wichtigen Schifffahrtsweg durch das Kattegat zum Jahreswechsel in zwei aufzuteilen, um die Route sicherer und einfacher navigierbar zu machen. Tougaard und seine Kollegen planen, 10 bis 20 Unterwassermikrofone in dieser Region zu installieren. Damit wollen sie dokumentieren, welchen Einfluss die Änderung der Route von etwa 80 000 Schiffen pro Jahr hat.

Schiffe ändern ihre Route

Solche Daten könnten auch für andere Regionen nützlich sein, so Tougaard, etwa für eine Schifffahrtsroute nahe an Sandbänken, die von den vom Aussterben bedrohten Gewöhnlichen Schweinswalen (Phocoena phocoena) genutzt wird. »Wenn es einen Einfluss gibt, dann ist es sinnvoll, die Route zu verlegen«, sagt Tougaard. »Es wäre eine längere Route, und das kostet Geld und bedeutet mehr CO2 aus den Schornsteinen der Schiffe. Deshalb müssen wir uns ganz sicher sein.«

Die Arktis biete weitere Möglichkeiten, erläutert Seger. Wenn das Eis schmilzt und die Schifffahrtswege sich öffnen, könnte der anthropogene Lärm ein Hauptstressfaktor für Spezies sein, die ohnehin vielen Veränderungen gleichzeitig ausgesetzt sind. Der Schiffsverkehr in dieser Region nahm von 2005 bis 2017 um 75 Prozent zu. Einige Forscher haben auch hier vorgeschlagen, Schifffahrtsrouten zu verlegen, um empfindliche Spezies zu schützen.

»Niemand sonst auf der Welt ist für einen ganzen Tag ruhig«Rob Williams

Eine weitere Region für Untersuchungen glaubt Williams aufgespürt zu haben. Der Forscher stieß 2016 auf die Hindu-Tradition des Nyepi, den Tag der Stille, der jeweils Anfang März in Bali stattfindet. Dieser Feiertag wird rigoros befolgt: Geschäfte und Flughäfen sind geschlossen, Schifffahrt und Fischerei eingestellt, Touristen werden freundlich gebeten, Strände zu verlassen und sich in ihre Hotels zurückzuziehen.

Williams sieht dies als einzigartige Gelegenheit: »Niemand sonst auf der Welt ist für einen ganzen Tag ruhig.« Im Jahr 2017 reiste er nach Bali und installierte sechs Unterwassermikrofone, um den Einfluss der Stille zu messen. »Der Lärmpegel ging um sechs bis neun Dezibel zurück. Das entspricht dem Rückgang vor der Küste von New York und Boston nach 9/11. Es war ganz außerordentlich«, so der Forscher. Als nächsten Schritt plant Williams die Untersuchung der Reaktion von Korallen und Fischen auf die Stille, allerdings gibt es bislang keine Finanzierung für ein solches Projekt.

Lärmpegel lässt sich technisch reduzieren

Ähnlich wie bei der Klimaänderung gibt es genügend Hinweise darauf, dass der Lärm im Ozean für Meereslebewesen schädlich ist und es Zeit ist, zu handeln. Trotzdem wird weiter über den Umfang und die Dringlichkeit des Problems debattiert. Glücklicherweise lässt sich der Lärmpegel leichter und schneller reduzieren als beispielsweise die Übersäuerung des Ozeans oder die Nutzung fossiler Brennstoffe, stellt Seger fest: »Es geht darum, Schiffsschrauben anders zu gestalten und Schifffahrtswege zu verlegen. Wir können handfeste Änderungen vornehmen.«

Ein Experiment hat sich mit einigen dieser Änderungen in der Haro-Straße an der südöstlichen Spitze von Vancouver Island beschäftigt. Dort hält sich die von Williams untersuchte Gruppe von Schwertwalen jedes Jahr eine Zeit lang auf. Von August bis Oktober 2017 verringerten viele Container- und Handelsschiffe ihre Geschwindigkeit freiwillig von bis zu 18 auf nur noch 11 Knoten. Das verlängerte ihre Fahrt durch die Straße um eine halbe Stunde, reduzierte aber den Lärm ihrer Maschinen. Die Schiffsführer reagierten damit auf eine Bitte des »Cetacean Habitat and Observation«-Programms ECHO (übersetzt etwa: Lebensraum und Beobachtung von Walen), das 2018 einen zweiten derartigen Versuch durchführte. Bei einigen Schiffen führte die Drosselung um gerade einmal drei Knoten bereits zu einer Halbierung des Maschinengeräusches.

Als im Rahmen von ECHO eine für die Schwertwale wichtige Region überwacht wurde, schwankte der Lärmpegel dort sowohl vor als auch während der Geschwindigkeitsreduzierung in Abhängigkeit vom Wetter, den Meereslebewesen und den durchfahrenden Schiffen zwischen 75 und 140 Dezibel. Doch während der Kampagne im Jahr 2017 verringerte sich der Lärmpegel im Median um 1,2 Dezibel. Das entspricht einer Reduktion der Schallintensität um 24 Prozent. Zwar war das Experiment nicht darauf ausgerichtet, das Verhalten der Wale zu untersuchen. Doch Modelle zeigen für eine solche Reduktion des Lärms, dass die Zeitspannen, in denen das Wasser mit einem für die Wale verwirrenden Lärm über 110 Dezibel erfüllt ist, um zehn Prozent abnehmen. Das sollte den Walen bessere Chancen zur Nahrungsaufnahme geben. Die kompletten Ergebnisse für 2018 sind noch nicht veröffentlicht.

»Meiner Ansicht nach ist der Hafen von Vancouver dem Rest der Welt um Jahre voraus«Rob Williams

Eine der Studien von Williams zeigt, dass in einer Flotte von mehr als 1500 Schiffen die Hälfte des Lärms von nur 15 Prozent der Wasserfahrzeuge kam. Sich auf die lautesten Quellen zu konzentrieren, würde folglich bereits viel bringen. »Wir benötigen also gar keine drakonischen Maßnahmen für alle Schiffe, um unsere Umweltziele zu erreichen«, so Williams. Doch ein Schiff nachträglich mit Schalldämpfungen auszustatten, kann teuer sein. Daher setzen bislang alle Aufforderungen, Schiffe leiser zu machen, auf freiwillige Maßnahmen.

Die Hafenbehörde von Vancouver begann 2017, leiseren Schiffen Ermäßigungen einzuräumen. Damit war Kanada das erste Land weltweit, das mit finanziellen Maßnahmen versuchte, den Lärm in den Meeren zu reduzieren. »Meiner Ansicht nach ist der Hafen von Vancouver dem Rest der Welt um Jahre voraus«, sagt Williams. Bislang ist der Erfolg der Maßnahme allerdings begrenzt: Nur 34 von etwa 3000 Schiffen nahmen das Angebot in Anspruch.

Unterdessen sind die »akustischen Prospektoren« dabei, weitere Regionen zu identifizieren, in denen der Lärmpegel sich sinnvoll reduzieren lässt. Williams hat einen Brennpunkt aufgespürt, an dem starker Hintergrundlärm auf eine Population von Schweinswalen trifft: bei Haida Gwaii, einer dünn besiedelten Inselgruppe vor der Küste von British Columbia, die manchmal als »Galapagos des Nordens« bezeichnet wird.

Auch das Mittelmeer wird auf Lärm untersucht

Ähnliche Untersuchungen des unterseeischen Lärms gibt es für den Mittelmeerraum. Solche Forschungen können aber auch Regionen mit vielen Meerestierpopulationen identifizieren, in denen es immer noch recht ruhig ist. Und das wären primäre Ziele für die Erhaltung ruhiger Meeresregionen, so Williams. Bereits bestehende Meeresschutzgebiete könnten ebenfalls geeignete Regionen sein, um eine Begrenzung des Lärmpegels zu implementieren. Es wäre doch eine gelungene Aktion, die erste »lärmberuhigte Meeresschutzzone« der Welt einzurichten, meint Williams.

Die gute Nachricht ist also, dass sich der Krach in den Meeren sehr schnell bekämpfen lässt. Es gibt bekannte Lösungen und effektive Methoden, um die Folgen des Lärms zu begrenzen. Die für seismische Studien zumeist genutzten Luftdruckkanonen ließen sich nach Ansicht von Weilgart durch Unterwasservibratoren ersetzen, die leiser wären und einen geringeren maximalen Schalldruck erzeugen. Damit würde auch die Gefahr einer Verletzung von Meereslebewesen sinken. Als Behörden für die Windfarmen vor der Küste Deutschlands Grenzen für den von den Windkraftanlagen erzeugten Lärm festgelegt hatten, reagierte die Industrie sofort mit leiseren Anlagen. So wurden die Pfosten mit Blasenvorhängen umgeben, die den Schall absorbieren. Und die Unternehmen entwickeln jetzt Methoden, die Pfosten in den Boden versinken zu lassen, statt sie einzurammen, so Weilgart.

»Die Hauptsache ist doch, dass wir den verdammten Lärm verringern«Lindy Weilgart

Schiffe lassen sich leiser machen, indem die Maschinen höher installiert werden und nicht direkt auf dem Schiffsboden. Außerdem lassen sich Schiffsschrauben verwenden, die weniger der winzigen Blasen produzieren, die beim Platzen laute Geräusche erzeugen. Und moderne Kommunikationsmethoden können dabei helfen, Schiffe langsamer in Häfen zu leiten, sagt Tougaard. Heute laufen sie oft zu schnell ein, nur um dann lange im Leerlauf auf die Zuweisung einer Anlegestelle zu warten. Viele Kreuzfahrtschiffe verwenden bereits elektrische Antriebe – hauptsächlich um den Lärm für die Passagiere zu verringern, aber davon profitieren auch die Lebensräume unter Wasser.

Glücklicherweise, so Weilgart, führen die meisten Maßnahmen zur Verringerung des Lärms von Schiffen gleichzeitig zu einer Verringerung der Treibstoffkosten. »Ich arbeite rein lösungsorientiert«, betont daher die Forscherin. »Die Hauptsache ist doch, dass wir den verdammten Lärm verringern.«

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