Hühnerzucht: Lasst die Bruderhähne leben!
Die Praxis in der Eierindustrie ist alles andere als appetitlich: Die Brüder von Legehennen werden direkt nach dem Schlüpfen aussortiert, weil sie naturgemäß keine Eier legen und auf Grund ihrer Genetik nicht so schnell wie ihre Kollegen im Mastbetrieb an Gewicht zulegen. Jährlich werden in Deutschland so mehr als 45 Millionen männliche Eintagsküken mit Kohlendioxid vergast und beispielsweise zu Futter für Zootiere weiterverarbeitet. Nicht nur Tierschützer prangern diese Vorgehensweise an. Auch laut verschiedenen juristischen Kommentaren wird dies als ethisch nicht vertretbar angesehen. Denn das Tierschutzgesetz besagt, dass »niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf«. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) will darum das routinemäßige Töten der Eintagsküken beenden.
Verschiedene Universitäten und privatwirtschaftliche Stiftungen suchen schon seit einiger Zeit nach Alternativen. In dem Verbundprojekt »Integhof«, an dem verschiedene Forschungseinrichtungen beteiligt sind, wird etwa das so genannte »Zweinutzungshuhn« erforscht. Normalerweise finden sich in der Geflügelhaltung nur so genannte Hybridhühner. Das übliche Hybridlegehuhn ist dabei so gezüchtet, dass es rund 300 Eier im Jahr legt. Nach 1,5 Jahren kommt es zum Schlachter, weil dann die Legeleistung absackt.
Die weiblichen Masthühner, ebenfalls Hybriden, legen dagegen kaum Eier, weil sie die ganze Futterenergie in das Ansetzen von Muskelfleisch investieren, vor allem das Bruststück ist bei den Verbrauchern begehrt. Und auch ihre männlichen Kollegen sind genetisch so eingestellt, dass sie in rund 35 Tagen ihr Schlachtgewicht von 2 bis 2,2 Kilogramm erreichen. Nicht zu Unrecht werden die Hybridrassen darum auch als »Turbohühner« bezeichnet.
Zweinutzungsrassen noch nicht ökonomisch genug
Zweinutzungshühner sind hingegen Tiere, die Eier legen und gleichzeitig ordentlich Fleisch ansetzen. Die männlichen Nachkommen kann man also parallel zu den Legehennen aufziehen. Es gibt bereits einige viel versprechende Zweinutzungsrassen mit skurrilen Namen, etwa »Lohmann Dual«, die seit 2013 auf dem Markt ist. Aber auch in »ÖTZ Gold« oder »ÖTZ Cream« wird Hoffnung gesetzt. Dennoch sind diese Tiere bislang nicht ökonomisch genug, um einen Massenmarkt zu erreichen.
Die an »Integhof« beteiligte Veterinärmedizinerin Silke Rautenschlein von der Tierärztlichen Hochschule Hannover hat kürzlich einige Ergebnisse aus einer Studie mit 2000 »Lohmann Dual«-Tieren vorgestellt: So legen die Zweinutzungshühner durchschnittlich 250 Eier anstatt 300 pro Jahr. Die Hähne müssen, um ein Schlachtgewicht von zwei Kilogramm zu erreichen, doppelt so lange gemästet werden wie klassische Masthähne. Lars Schrader, Agrarwissenschaftler am Friedrich-Loeffler-Institut in Celle und Leiter des Verbundprojekts, untersucht darum derzeit, wie man die Fütterung optimieren kann, damit die Zweinutzungshühner größere Eier legen und mehr Fleisch ansetzen.
»Die Vorteile des Zweinutzungshuhns sprechen für sich«
Lars Schrader
Zweinutzungshühner haben jedoch auch Vorteile, wie die beiden Integhof-Forscher gezeigt haben: Die Tiere brauchen weniger Eiweiß im Futter, was ökologisch und ökonomisch günstig ist. Schließlich stammt Protein meist aus importierten Sojabohnen. Deutlich wurde auch, dass Dualhennen sich nicht so leicht stressen lassen wie klassische Legehennen und dadurch weniger aufeinander einpicken. Das umstrittene Kürzen der Schnäbel könnte bei solchen Tieren also obsolet werden. Auch waren sie nicht so empfindlich gegen Infektionen. Antibiotikagaben wären bei diesen Hühnern also womöglich geringer. Zudem starben während der Mast mit 1,2 Prozent weniger Zweinutzungshühner als im konventionellen Stall (1,7 bis 2,8 Prozent). »Die Vorteile des Zweinutzungshuhns sprechen für sich«, sagt Schrader.
Eine andere Möglichkeit ist die Aufzucht der Legehähne entweder zu Stubenküken, die weniger als 650 Gramm wiegen und als Delikatesse gelten. Möglich wäre aber auch ihre längere Aufzucht. Hier kommen allerdings eher alte Rassen wie »Les Bleues« in Frage, deren männliche Tiere mehr Fleisch ansetzen. In Thailand werden etwa sämtliche Bruderhähne der Legerassen bis zu einem Gewicht von 1,2 Kilogramm aufgezogen und erfolgreich vermarktet. Dafür braucht es jedoch mehr Fläche. In Deutschland ist unklar, wo diese Tiere gemästet werden sollen.
Zweinutzungs- sowie Legehähne haben zudem eine bessere Fleischqualität. Das Fleisch ist dunkler und fester als die übliche Hühnerbrust. Und es hat ein intensiveres Aroma. »Es schmeckt sehr viel mehr nach Huhn«, sagt Schrader. Deshalb könne es etwa zur Herstellung von höherpreisigen Wurstwaren wie Salami eingesetzt werden, schreiben Forscher um Agrarwissenschaftlerin Margit Wittmann von der Fachhochschule Südwestfalen in einem aktuellen Forschungsbericht. So könnte man auch auf dem konventionellen Markt eine höhere Wertschöpfung erzielen.
Erste bruderfreundliche Eier im Supermarkt
In einigen konventionellen Supermärkten gibt es bereits Eier von Hühnern, bei denen auch die männlichen Küken zu Masthähnchen aufgepäppelt werden. »Spitz & Bube« heißen diese konventionell erzeugten Eier etwa bei Rewe, »Herzbube« bei Penny. Bei diesen Hühnern wurde obendrein auf das Kürzen der Schnäbel verzichtet.
Doch vor allem im Biobereich findet man vielerorts Eier und Fleisch aus Zweinutzungs-Aufzuchten, denn hier akzeptieren Verbraucher höhere Preise. Die Bioverbände demeter und Bioland haben etwa die so genannte »Bruderhahn-Initiative Deutschland« gegründet. 30 landwirtschaftliche Betriebe sowie verarbeitende Betriebe und Großhändler beteiligen sich. Über höhere Eierpreise werden die Verbraucher an den Mehrkosten für das Futter der Hähne beteiligt. Der Erfinder von »Lohmann Dual«, Rudolf Preisinger, Chefgenetiker bei der Agrarholding EW Group, sieht für Zweinutzungshühner hingegen wenig Zukunftschancen. Das »Lohmann Dual« habe sich als Flop erwiesen.
Viel Hoffnung setzt er laut einem Bericht des »Spiegel« darum auf eine andere Methode, an der unter anderem auch die EW Group sowie Rewe beteiligt sind – die Geschlechtsbestimmung im Ei. Damit kann man das Geschlecht der Nachkommen bereits im bebrüteten Ei erkennen, bevor der Embryo zu einem Küken heranwächst. Eine dieser Methoden wurde kürzlich als marktreif vorgestellt. In einigen Rewe-Läden gibt es diese Eier bereits zu kaufen. Der Preis liegt laut unternehmenseigenen Angaben nur wenige Cent pro Packung über den handelsüblichen Preisen.
Geschlecht bereits im Ei bestimmen
Bei dieser so genannten »SELEGGT-Methode« wird per Laser ein 0,3 Millimeter großes Loch in das Ei gebrannt und mit einer Nadel eine Probe des embryonalen Harns aus dem Ei entnommen. Ab dem 8. Tag nach der Bebrütung kann hier das Hormon Östronsulfat gemessen werden, das in größeren Mengen bei weiblichen Küken vorhanden ist. Die Prozedur dauert allerdings einige Minuten. Almuth Einspanier, Endokrinologin an der Universität Leipzig, hat diese Methode mit Hilfe von Fördermitteln des Bundes in Höhe von fünf Millionen Euro entwickelt. Der Vorteil des Verfahrens: Das Loch im Ei muss nicht verschlossen werden, da sich die innere Membran von selbst zusammenzieht und so eine Beschädigung des Embryos etwa durch Bakterienbefall verhindert wird. Zudem liege die Genauigkeit bei 98 Prozent. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner wertete diese Methode kürzlich als »Durchbruch«, um das Kükentöten zu beenden.
Der Nachteil: Es könnte theoretisch sein, dass ein mit diesem Verfahren aussortierter Hühnerembryo bei der anschließenden Vernichtung der Eier Schmerzen spürt. Allerdings ist dies nicht eindeutig zu sagen. Es ist zwar bewiesen, dass sich am Tag 7 Nervenzellen bilden und am Tag 9 das Neuralrohr, der Vorläufer von Rückenmark und Gehirn. »Ob der Embryo in der Zeitspanne vom 7. bis zum 8. Tag Schmerzen empfindet, obwohl eigentlich die Weiterleitung ins Gehirn noch fehlt, ist jedoch ungewiss«, erklärt Gerald Steiner, analytischer Chemiker an der Universität Dresden.
Laut einem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags aus dem Jahr 2017 ist das Gehirn erst am 13. Tag voll ausgebildet und ein Schmerzempfinden ab dem 15. Tag gesichert. Die Zeitspanne vom 7. bis zum 15. Tag der Bebrütung lässt also Spielraum für Spekulationen. Steiner hat gemeinsam mit einer anderen Arbeitsgruppe der Universität Leipzig eine Methode entwickelt, die bereits ab dem 3. Tag zuverlässige Ergebnisse liefere. »Hier spürt der Embryo definitiv nichts«, sagt der Dresdner Chemiker.
Sekundenschnell wissen, ob Hahn oder Henne
Bei dieser Nah-Infrarot-Raman-Spektroskopie wird ein zehn Millimeter großes Loch in die Schale gebohrt, an der stumpfen Seite, wo eine Luftblase zwischen Schale und Hülle sitzt. Durch einen Lichtstrahl werden dann die kleinen Blutgefäße im Inneren des Eies sichtbar. Und da das Lichtspektrum des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin je nach Geschlecht unterschiedlich ist, lässt sich durch eine Lichtanalyse das Geschlecht des Kükens erkennen.
Hierbei wird jedoch nur die Eierschale geöffnet und nicht die den Embryo umgebende Eihülle verletzt. Deswegen sind die Schlupfraten vergleichbar mit unbehandelten Eiern, und es gibt laut Steiner keine bakteriellen Infektionen. Männliche Eier werden dann aussortiert, die Schale der weiblichen Embryonen wieder versiegelt. Das System liefere eine Genauigkeit von mehr als 90 Prozent und sei automatisierbar. Zudem soll es kostengünstig sein und sekundenschnell Ergebnisse liefern. Steiner und sein Team arbeiten derzeit daran, vollkommen ohne Öffnung der Eischale auszukommen. »Dabei werden bei der Lichtanalyse die Spektren der Schale herausgerechnet. Im Labor funktioniert das schon«, sagt Steiner.
»Wir verwenden eine Technologie, die millionenfach in der Humanmedizin erprobt ist und keine negativen Effekte auf den Organismus hat«
Axel Haase
Ein anderes Verfahren, an dem derzeit Axel Haase von der TU München mit einem Kollegen bastelt, setzt auf die Magnetresonanztomografie, die verschiedene biochemische Signale für die Geschlechtsbestimmung messen soll. »Wir verwenden eine Technologie, die millionenfach in der Humanmedizin erprobt ist und keine negativen Effekte auf den Organismus hat«, sagt Haase. Man arbeite zudem nichtinvasiv und kontaktlos. »Somit wird der Embryo nicht in seiner Entwicklung gestört, und es entsteht keine potenzielle Eintrittspforte für Keime in das Ei, wie es bei anderen Methoden der Geschlechtsbestimmung der Fall ist.« Mit der Installation eines Prototyps in einer Brüterei sei bis Ende 2019 zu rechnen.
Eine Möglichkeit wäre auch, mit Hilfe der Gefiederfarbe Hühnchen und Hähnchen zu unterscheiden – dies funktioniert jedoch nur bei bestimmten Rassen. Zudem lässt sich die Federfärbung erst ab dem 14. Tag unterscheiden. Anhand des Geruchs, den das Ei aussendet, könnte man das Geschlecht möglicherweise bereits am 1. Tag bestimmen. Beide Varianten sind jedoch noch nicht praxisreif.
»Auch mit der Geschlechtsbestimmung im Ei würde eine auf Höchstleistung getrimmte Tierzucht überzüchtete Legehennen hervorbringen«
BUND
Eine möglichst frühe Erkennung und Aussortierung der Eier ist auch deswegen sinnvoll, weil die Hälfte der Eier dann nicht bebrütet werden muss. Das spart Energie und Kosten. Tierschützer lehnen die Geschlechtsbestimmung im Ei jedoch noch aus anderen Gründen ab. Schließlich müsste man die männlichen Embryos ebenfalls töten – egal an welchem Tag der Pränataltest stattfindet. Zudem: »Durch diesen technischen Ansatz wird die Systemfrage ›Welche Art der Hühnerhaltung wollen wir?‹ umgangen«, meint man beim BUND. »Weiterhin würde eine auf Höchstleistung getrimmte Tierzucht überzüchtete Legehennen hervorbringen.«
Tierschützer lehnen die Qualzucht der Vögel ab, weil diese sich nur an den Vorgaben der Legebatterien oder Mastanlagen orientiere. Beim BUND spricht man sich deswegen für das Zweinutzungshuhn aus. Michael Grashorn, Wissenschaftler an der Universität Hohenheim, meint hingegen: »Nicht jeder Ansatz ist für jeden Betrieb geeignet. Wahrscheinlich werden alle parallel bestehen.« Und jeder einzelne ist besser als die bisherige Praxis.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.