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Befragung statt Labortest: Lässt sich Schwangerschaftsdiabetes auch einfacher erkennen?

Bislang unterzieht sich jede Schwangere noch einem Bluttest. Doch oft ginge es auch ohne die Prozedur, sagen nun Mediziner, die einen individuellen Risikoscore entwickelt haben.
Blutzuckermessung

Für die Schwangeren ist es ein weiterer Pflichttermin in ihrem neun Monate dauernden Ärztemarathon: der »Zucker-Suchtest« auf Schwangerschaftsdiabetes. Alle werdenden Mütter müssen eine Zuckerlösung trinken, bekommen Blut abgenommen und erfahren dann, ob sie sich wegen auffälliger Werte einem aufwändigen Diagnoseverfahren unterziehen müssen. Bei rund sechs Prozent aller Schwangeren in Deutschland stellen Arzt oder Ärztin dann einen Schwangerschaftsdiabetes, auch Gestationsdiabetes (GDM) genannt, fest.

Nun bringen Mediziner um Eran Segal vom Weizmann Institute of Science im israelischen Rehovot eine Alternative zu diesem Screening ins Gespräch. Statt alle Schwangeren den Zucker-Suchtest machen zu lassen, genüge es ihrer Untersuchung zufolge, den Patientinnen neun Fragen zu bekannten Risikofaktoren zu stellen. Wer nur einen geringen Risikoscore aufweist, könnte auf den Zuckertest verzichten, alle anderen sollte man dagegen direkt zum Diagnoseverfahren einbestellen.

Segal und Kollegen haben dazu den Verlauf von insgesamt knapp 370 000 Schwangerschaften in Israel zwischen 2010 und 2017 ausgewertet. Für jede davon lag ein umfangreicher Datensatz vor, den die Wissenschaftler mit statistischen Methoden daraufhin analysierten, welche Faktoren am besten vorhersagten, ob ein Diabetes auftreten wird oder nicht. Die höchste Vorhersagequalität ergab sich, wenn alle 2355 Patientinnenmerkmale in die Auswertung einbezogen wurden, doch auch eine deutlich abgespeckte Variante mit nur neun Fragen könne zwischen den Hoch- und Niedrigrisikogruppen hinreichend zuverlässig trennen, schreiben sie in ihrer Veröffentlichung im Fachjournal »Nature Medicine«.

Zu diesen neun Fragen zählen beispielsweise Angaben zum Alter der werdenden Mutter, zu Vorerkrankungen oder Diabetes in der Familie. In 20 bis 30 Prozent der Fälle wiegt allerdings ein niedriger Risikoscore die Schwangere in falscher Sicherheit, ergab die Auswertung. Verzichten diese Frauen dann auf einen Diabetestest, wird die Stoffwechselstörung erst spät bemerkt. Insgesamt liegt die Fehlerquote des Risikoscores jedoch in derselben Größenordnung wie beim Zucker-Suchtest, so dass sich an der Zahl übersehener Fälle durch Wechsel des Screeningverfahrens wenig ändern dürfte. Wegen seiner beschränkten Aussagekraft ist der Zucker-Suchtest bereits jetzt umstritten. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft empfiehlt in ihren Leitlinien darum allen Patientinnen, die zum Beispiel wegen einschlägiger Vorerkrankungen oder familiärer Vorbelastung von ihrem Frauenarzt als Risikoschwangere eingestuft werden, direkt den aufwändigeren Diagnosetest zu machen.

Vorbeugemaßnahmen schon vor der Geburt?

Größter Vorteil des neuen Risikoscores könnte darum in seiner frühen Anwendbarkeit liegen: Er lässt sich ermitteln, sogar noch bevor eine Frau schwanger wird. Das wiederum eröffnet die Chance, bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt mit geeigneten Vorbeugemaßnahmen zu beginnen. Die aktuelle Praxis führt dazu, dass der Diabetes erst in der Mitte der Schwangerschaft diagnostiziert wird. Es kristallisiere sich aber immer mehr heraus, dass man mit den aktuellen Behandlungsmethoden zu spät komme, sagt Andreas Fritsche vom Helmholtz Zentrum München dem »Science Media Center«. Zu diesem Zeitpunkt habe der Diabetes bereits den Stoffwechsel des ungeborenen Kindes geprägt. »Eine Behandlung in der Frühschwangerschaft oder gar vor der Zeugung, und zwar von Mutter und auch Vater, kann die epigenetische Übertragung der Veranlagung für Übergewicht und Diabetes auf das Kind verhindern«, erläutert der Experte.

Allerdings ist es noch immer unklar, wie man der Erkrankung im Frühstadium wirksam begegnet. Der von Segal entwickelte Risikoscore könnte darum auch helfen, Patientinnen für klinische Studien auszuwählen, um genau diese Frage zu klären.

Ist der Gestationsdiabetes erst einmal festgestellt, raten Mediziner den werdenden Müttern zu einer Ernährungsumstellung und aktiven Lebensweise. Die Frauen müssen zudem ihr Körpergewicht und ihren Blutzuckerwert genau überwachen. In schweren Fällen helfen auch Medikamente – in aller Regel Insulin. Unbehandelt kann ein Schwangerschaftsdiabetes dazu führen, dass das Kind im Mutterleib übermäßig wächst. Ist der Diabetes dagegen gut eingestellt, würden die meisten Geburten komplikationslos verlaufen, heißt es in den Leitlinien der Deutschen Diabetes Gesellschaft. Allerdings könnten die Babys direkt nach der Geburt Anpassungsprobleme haben. Beispielsweise eine Neigung zu Unterzuckerungen, Probleme mit der Atmung und Neigung zur Neugeborenen-Gelbsucht. Auf lange Sicht steigt bei den Kindern möglicherweise das Risiko für Übergewicht und Adipositas.

Was genau den Schwangerschaftsdiabetes auslöst, ist immer noch nicht restlos geklärt. Bekannt ist, dass die betroffenen Frauen mit Beginn der zweiten Schwangerschaftshälfte vorübergehend eine Resistenz gegenüber Insulin ausbilden, ganz so wie man es auch bei Typ-2-Diabetes kennt. In der Regel verschwindet die Stoffwechselstörung in den Tagen nach der Geburt wieder von selbst.

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