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Paläobiologie: Landschaften aus dem Tiefkühlfach

Zehn Prozent der Erdoberfläche sind seit Jahrtausenden von Eis bedeckt, teilweise mehrere Kilometer dick. Für Biologen bieten die frostigen Panzer eine Gelegenheit zur Zeitreise, denn sie konservieren Spuren längst vergangenen Lebens.
Zwischeneiszeitliches Idyll in Grönland
Als Erik der Rote aus dem Exil nach Island zurückkehrte, wollte er sogleich Kolonisten für ein neues, von ihm in Beschlag genommenes Territorium im Westen anwerben. Böse Zungen behaupten, dass der Wikinger deshalb für die von ihm erkundete Insel einen möglichst vielversprechenden Namen wählte, der bis heute erhalten geblieben ist: Grönland, grünes Land – kaum zu glauben bei ihrem heutigen Charakter. Zu seiner Ehrenrettung sei angefügt, dass das regionale Klima um 980 n. Chr. durchaus milder war als in der Gegenwart, sodass auf Grönland Wiesen blühten und kleine Birkenhaine wuchsen. Außer den Küstensäumen gab es allerdings bereits damals kaum Land zu besiedeln.

Heute sind nur knapp sechzehn Prozent der Fläche Grönlands eisfrei – der größten Insel der Welt, die mehr als sechsmal so groß wie Deutschland ist. Im Durchschnitt zweitausend Meter dick liegt der Grönländische Eisschild auf dem Erdboden, weshalb die Insel unter dieser Last etwa sechshundert Meter tiefer in den Erdmantel gedrückt wurde. Er hat spätestens während der letzten Eiszeit vor knapp einhunderttausend Jahren seine enorme Ausdehnung erreicht. Auf seiner eisigen Oberfläche steigt die Temperatur selbst im Sommer so gut wie nie über den Gefrierpunkt, strenger Frost ist hier die Regel.

Trotz der lebensfeindlichen Bedingungen suchten Eske Willerslev von der Universität Kopenhagen und seine Kollegen den Süden des Eisschilds gezielt auf, um herauszufinden, wie die Insel aussah, bevor sie unter zwei Kilometern Eis verschwand. Sie hofften, dass genetische Spuren urzeitlichen Lebens bis heute im Dauerfrost überstanden haben könnten.

Spuren tief im Eis | In den tiefsten Schichten des Grönlandeises finden die Forscher, was sie suchen: Erdmaterial, das prähistorische DNA enthält.
Dazu griffen die Wissenschaftler auf einen Bohrkern zurück, der bei der polaren Forschungsstation Dye 3 nahe des Polarkreises aus einer Tiefe bis 2032 Metern gewonnen wurde. Die letzten 25 Meter Eis über dem Erdboden enthielten eine große Menge eingefrorenen Erdmaterials, sodass die Chancen gut standen, hier auf verwertbare Reste prähistorischer DNA zu stoßen.

Das Team konnte Bruchstücke von Erbgut isolieren, sie über die Gensequenzen taxonomischen Gruppen zuordnen und damit ein detailliertes Bild der damaligen Flora zeichnen. So prägten noch vor 450 000 bis 900 000 Jahren Nadelhölzer wie Kiefer, Fichte und Eiben, aber auch Erlen, Birken und Pappeln die Landschaft im südlichen Grönland. Der genetische Nachweis von Blütenpflanzen wie Korbblütlern Leguminosen und Gräsern spricht zudem für eine offene Struktur der Wälder, da diese sonnenreiche Standorte bevorzugen.

Auch verschiedene Tiere haben ihre Spuren im Eis hinterlassen: Käfer, Zweiflügler, Spinnentiere, Schmetterlinge und Nachtfalter belebten eine boreale Vegetationszone, die dem heutigen Südschweden ähnelte. Den gefundenen Pflanzengattungen nach herrschten damals Sommertemperaturen um die zehn Grad Celsius, und der winterliche Frost hielt sich mit siebzehn Grad Celsius unter Null im Rahmen.

Ferntransport des gefundenen Materials durch Wind aus Island oder Kanada schließen die Biologen aus: In diesem Fall müsste es sich auch in den weniger tief liegenden Eisschichten finden lassen, wo es jedoch fehlt.

Mit ihren Untersuchungen hat die Gruppe von Eske Willerslev einen neuen Rekord aufgestellt, was das Alter von DNA-Proben aus dem Eis angeht. Die Dänen wollen ihre Methode nun auch auf andere Bohrkerne, etwa aus der Antarktis, anwenden. Sie sind zuversichtlich, dort noch weiter in die Vergangenheit zurückblicken zu können, denn das Eis am Südpol ist deutlich mächtiger als das auf Grönland.

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