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Landwirtschaft: Wie Glyphosat die Welt eroberte

Das Herbizid wurde ursprünglich auf der Suche nach besseren Wasser­enthärtern entwickelt. Wie es wirkt, verstand man erst, nachdem es in der modernen Landwirtschaft bereits allgegenwärtig geworden war.
Ein Traktor versprüht großflächig Pestizide auf einem Sojafeld
Sojabohnen waren die ersten Nutzpflanzen, die gentechnisch resistent gegen Glyphosat gemacht wurden. Das Mittel kann ihnen nichts anhaben.

Der umstrittene Unkrautvernichter Glyphosat, bekannt etwa unter dem Markennamen »Roundup«, hat die weltweite Landwirtschaft radikal verändert. Seine Entdeckung und seinen Erfolg verdankt er einer Reihe besonderer Zufälle.

Seit seiner Einführung im Jahr 1974 wurden weltweit mehr als zehn Millionen Tonnen Glyphosat versprüht. Ursprünglich erfolgte der Einsatz vorsichtig, um nur unerwünschtes Grün und keine Nutzpflanzen abzutöten. Als 1996 jedoch gentechnisch veränderte Pflanzen auf den Markt kamen, die gegen die tödliche Wirkung von Glyphosat resistent sind, konnte man das Unkrautvernichtungsmittel bei diesen Nutzpflanzen ungehindert anwenden – und der Einsatz stieg explosionsartig an.

2019 wurde das Mittel allein in den USA auf durchschnittlich 121 Millionen Hektar (1,2 Millionen Quadratkilometer) Ackerland pro Jahr ausgebracht. Das entspricht etwa dem Fünffachen der gesamten Landfläche des Vereinigten Königreichs. Hinter der Entdeckung des Mittels stehen ein außergewöhnliches Zusammentreffen einiger besonderer Faktoren und ein wissenschaftlicher Zufall. Wenn man biologisch aktive Substanzen nach rationalen Gesichtspunkten entwirft, untersucht man zunächst Verbindungen mit bekannter Wirkung. Anschließend stellt man leicht veränderte Versionen dieser Moleküle her, in der Hoffnung, sie mögen die gewünschten Aktivitäten in verfeinerter oder verstärkter Form haben.

Glyphosat wurde nicht auf eine solche Weise entwickelt – ganz im Gegenteil. Seine Anfänge bei Monsanto gehen auf das Jahr 1960 zurück. Damals erfanden Wissenschaftler in der unternehmenseigenen Abteilung für anorganische Stoffe ein neues Verfahren, um Amino­methylphosphonate (AMP) herzustellen: Moleküle, die als Wasserenthärter dienen sollten. Wasserenthärtungsmittel binden sich an Minerale, die Kalkablagerungen (Kalzium- oder Magnesiumkarbonat) in Rohren, auf Warmwasserbereitern und Ähnlichem verursachen, und verhindern so das Verkalken. Das Unternehmen hatte bereits einige solcher Wasserenthärter auf dem Markt, doch nachdem es ein Verfahren entwickelt hatte, mit dem sich die Produkte einfach und mit hoher Ausbeute herstellen ließen, begann es, nach leistungsfähigeren und günstigeren Varianten zu suchen.

Umfassende Suche nach neuen Herbiziden

In einer anderen Abteilung von Monsanto sprach sich zu jener Zeit Philip C. Hamm, der damalige Leiter des Herbizid-Screening-Programms des Unternehmens, dafür aus, alle neuen in der Firma hergestellten Verbindungen unabhängig von ihrer Herkunft auf ihre Herbizidaktivität zu prüfen, um eine umfassende Suche nach neuen Produkten zu ermöglichen. Dabei fand man unter den AMP zwei Substanzen mit schwach Pflanzen abtötender Wirkung. Hamm fiel auf, dass sie nicht nur gegen einjährige Pflanzen wirkten, sondern auch gegen mehrjährige. Solche Unkrautvernichter waren zu der Zeit noch nicht auf dem Markt.

In den folgenden neun Jahren, von 1960 bis 1969, suchten die Forscher von Monsanto nach AMP-Verbindungen mit einer Herbizidwirkung, die mindestens zehnmal so hoch sein sollte wie die der ersten beiden – ohne Erfolg. Dann lenkte John E. Franz von der Abteilung für landwirtschaftliche Produkte die Aufmerksamkeit der Forschung auf eine andere Stoffklasse: Statt auf AMP, bei denen das Stickstoffmolekül an drei Kohlenstoffatome gebunden ist (tertiäre Amine), konzentrierte sich die Suche fortan auf solche, bei denen der Stickstoff mit zwei Kohlenstoffatomen verbunden ist (sekundäre Amine).

Amine sind Abkömmlinge des Ammoniaks (NH3). In ihnen hängen an einem zentralen Stickstoffatom verschiedene Kohlenwasserstoffgruppen. Sekundäre Amine hatte bei Monsanto bis dahin noch niemand hergestellt. Die Suche nach wirksamen sekundären AMP zahlte sich bald aus. Von einer Hand voll neuer Verbindungen, die Franz synthetisierte, wirkte eine als Herbizid mindestens zehnmal so stark wie die tertiären AMP, mit denen die Suche begonnen hatte. Dabei handelte es sich um N-(Phosphonomethyl)glycin, heute als Glyphosat bekannt.

Fatale Ähnlichkeit | Die chemische Struktur von Glyphosat (links) ähnelt der von Phosphoenolpyruvat (PEP, rechts). Beide konkurrieren miteinander um die Bindung im aktiven Zentrum des Enzyms EPSP-Synthase, wo die katalytische Reaktion stattfindet.

Fünf Dollar für das Patent auf Glyphosat

Franz synthetisierte Glyphosat erstmals im Mai 1970. Im Mai 1971 reichte Monsanto das Patent ein, im März 1974 wurde es erteilt. Als einziger auf dem Patent genannter Erfinder erhielt Franz stolze fünf Dollar mit der Anmeldung des Patents. Beförderungen und Auszeichnungen folgten, jedoch erst viele Jahre später.

Um ein Patent anzumelden, muss man sowohl wissen, was bereits entdeckt wurde, als auch, was die entscheidende Neuerung ist. Das Patent von Monsanto aus dem Jahr 1974 wurde daher nicht für die Entdeckung von Glyphosat erteilt, sondern für die Feststellung seiner herbiziden Eigenschaften. Die ursprüngliche Entdeckung von Glyphosat wird nämlich dem Schweizer Chemiker Henri Martin zugeschrieben, der das Molekül 1950 erstmals synthetisierte, als er für das Pharmaunternehmen Cilag (heute eine Tochtergesellschaft von Johnson & Johnson) arbeitete.

Weil der Stoff keine offensichtlichen pharmazeutischen Anwendungen hatte und Cilag über kein Portfolio an Herbiziden verfügte, verschwand Glyphosat vorerst in den Archiven der Chemieindustrie, bis es 1964 in einem weiteren Patent auftauchte, das diesmal der Stauffer Chemical Company (heute ein Teil von Sanofi-Aventis) erteilt wurde. Obwohl es sich um ein landwirtschaftliches Unternehmen handelte, hatte das Patent von Stauffer nichts mit Herbiziden zu tun. Vielmehr ging es um die Synthese von Phosphinsäuren als Wasserenthärtungsmittel, und Glyphosat wurde als eines von mehreren Oxidationsprodukten dieser Klasse von Säuren erwähnt. Es kursieren Vermutungen, Monsanto habe seine ursprünglichen Glyphosatproben von Stauffer erworben. Das stimmt jedoch nicht, Glyphosat wurde bei Monsanto unabhängig synthetisiert.

Zufällig perfekt

Der Markterfolg von Glyphosat spornte Monsanto und andere Agrochemieunternehmen dazu an, eine chemisch veränderte Form mit verbesserter Wirkung zu entwickeln. Allerdings war Glyphosat selbst bereits überraschend nah an der Perfektion, vor allem wenn man bedenkt, dass der Stoff nicht nach rationalen Gesichtspunkten entwickelt wurde. Als die Chemiker nun systematisch einzelne Atome oder Atomgruppen des Moleküls ersetzten, war das Ergebnis stets das gleiche: Statt sich zu verbessern, verlor das Molekül seine herbizide Wirkung teilweise oder sogar ganz.

Während die meisten Medikamente und Pestizide einzelne oder gebündelte Atomgruppen enthalten, die für die Toxizität der Verbindung verantwortlich sind, so genannte Toxophore, ist Glyphosat in seiner Gesamtheit das Toxophor: Jede Veränderung des Moleküls verringert seine Wirksamkeit. So konnten keine Modifikationen mit dem Original konkurrieren – bis das ursprüngliche Patent 1991 auslief. Und auch dann behielt Monsanto die Exklusivrechte in den Vereinigten Staaten, bis schließlich im Jahr 2000 das Patent für das Isopropylaminsalz des Produkts auslief, das sich besser lösen, verpacken, lagern und anwenden lässt.

Selbst mit seinem großen kommerziellen Erfolg blieb Glyphosat eine Art biochemisches Rätsel. Als das Mittel 1974 als Breitbandherbizid auf den Markt kam, war nur bekannt, dass es Pflanzen nach dem Keimen aus dem Boden relativ wahllos tötet. Das Einzige, was man wusste, waren die 1972 von Ernest Jaworski und seinen Kollegen bei Monsanto veröffentlichten Ergebnisse, die darauf hinwiesen, dass Glyphosat auf irgendeine Weise den Weg hemmt, der für die Herstellung der Aminosäuren Phenylalanin und Tyrosin verantwortlich ist.

Erst fünf Jahre später ist klar, wie Glyphosat wirkt

Erst zwischen 1979 und 1980, fünf Jahre nach seiner Markteinführung, wurde der genaue Angriffspunkt von Glyphosat identifiziert: das Enzym 5-Enolpyruvylshikimat-3-phosphat (EPSP)-Synthase. Die Entdeckung machte eine Forschungsgruppe unter der Leitung des Biochemikers Nikolaus Amrhein von der ETH Zürich. Jaworski war auf der richtigen Spur gewesen, denn er hatte herausgefunden, dass Glyphosat auf den Biosyntheseweg einwirkt, der unter anderem zu Aminosäuren führt, die aromatische Kohlenstoffringe enthalten. Innerhalb dieses Synthesewegs konzentrierte sich die Gruppe um Amrhein auf das Enzym, das den Stoff Shikimat-3-phosphat umsetzt. Jenes Molekül steht am Anfang einer Kette enzymkatalysierter Reaktionen, die für Pflanzen außerordentlich wichtig sind.

Wichtiger Reaktionsweg | Ausgehend von Shikimat stellen Pflanzen sowie viele Bakterien­- und Pilzarten unver­zichtbare Stoffe her, etwa die Aminosäuren Tryptophan, Tyrosin und Phenylalanin sowie die Vorstufen unzähliger lebenswichtiger Naturstoffe, von denen einige beispielhaft genannt sind. Für die Umsetzung von Shiki­mat ist das Enzym EPSP-Synthase zentral. An diesem greift Glyphosat an.

Der Shikimisäureweg verdankt seinen Namen der berühmten Shikimi-Pflanze (Japanischer Sternanis, Illicium anisatum). Aus ihr isolierte 1885 der niederländische Chemiker Johann Frederik Eijkman erstmals die organische Säure Shikimisäure (oder Shikimat). Der Stoffwechselweg ist in mehrfacher Hinsicht besonders. Er ist in Pflanzen allgegenwärtig und in Bakterien und Pilzen weit verbreitet, aber – und das ist das Entscheidende – Tieren fehlt er völlig. Sie besitzen das Enzym nicht, auf das Glyphosat abzielt. Die Produkte des Shikimisäurewegs sind jedoch für das Überleben von Mensch und Tier unverzichtbar. Wir nehmen sie zu uns, indem wir Pflanzen oder das Fleisch Pflanzen fressender Tiere essen.

Auf dem Shikimisäureweg entstehen durch eine Abfolge enzymkatalysierter Reaktionen unter anderem die lebenswichtigen Aminosäuren Phenylalanin, Tyrosin und Tryptophan. Diese Moleküle und einige andere Zwischenprodukte des Stoffwechselwegs dienen Organismen als Vorstufen für die Herstellung einer unermesslichen Fülle von Stoffen – Vitamine, Pigmente, Geschmacksstoffe, Strukturmoleküle und viele andere Verbindungen.

Ohne jenen speziellen Stoffwechselweg wäre unsere Biosphäre kaum wiederzuerkennen. Ein Drittel des Kohlenstoffs, den grüne Pflanzen durch Fotosynthese gewinnen, landet dort. Viele essenzielle Nährstoffe, Vitamine und Vitaminvorstufen, von denen alles Leben abhängt, werden auf diesem Weg gebildet. Kein Wunder, dass ein Wirkstoff, der den Shikimisäureweg ausbremst, für Pflanzen so verheerend ist. Denn genau das tut Glyphosat: Es hemmt die EPSP-Synthase und stoppt dadurch die Synthese von EPSP aus Phosphoenolpyruvat (PEP) und Shikimat-3-phosphat (S3P). So verhindert die Substanz die Herstellung von Phenylalanin, Tyrosin, Tryptophan und vielen anderen wichtigen Verbindungen, die letztlich ausgehend von EPSP entstehen.

Doppelter Angriff

Glyphosat schaltet aber nicht nur ein äußerst zentrales Enzym aus. Es tut dies auch auf außergewöhnliche Art und Weise. In den 1980er Jahren, fast ein Jahrzehnt nach der Einführung des Unkrautvernich­ters, machte eine schottische Forschungsgruppe an der University of Glasgow unter der Leitung des Biochemikers John R. Coggins eine unerwartete Entdeckung. Glyphosat hemmt zwei verschiedene Substrate – also zwei Substanzen, die normalerweise mit der EPSP-Synthase reagieren – auf verschiedene Weise. Das eine Substrat, PEP genannt, hemmt der Unkrautvernichter »kompetitiv«, was die Forscher nicht verwunderte. Das andere Substrat aber, S3P, hemmt er »unkompetitiv«, was wiederum sehr überraschend war und weit reichende Folgen hat.

Kompetitive Inhibitoren (Hemmstoffe) ähneln dem Substrat und heften sich direkt an die aktive Stelle des Enzyms. Sie konkurrieren mit dem Substrat also um die Bindungsstellen und verlangsamen so allein durch ihre Anwesenheit die katalytische Aktivität des Enzyms. Eine andere Art von gängigem Hemmstoff, der nichtkompetitive oder allosterische Inhibitor, bindet sich an eine andere Stelle als das aktive Zentrum und ähnelt dem Substrat für gewöhnlich kaum. Inhibitor und Substrat können daher gleichzeitig an das Enzym gekoppelt sein.

Diese beiden Arten der Hemmung kommen häufig vor – im Gegensatz zur unkompetitiven Hemmung. Unkompetitive Inhibitoren können sich erst an das Enzym heften, nachdem ein Substrat angedockt und dadurch dessen Form verändert hat. Daher erhöht sich die Wirkung eines solchen Hemmstoffs, wenn mehr Substrat vorhanden ist. Das führt zu einer positiven Rückkopplung: Wird die Aktivität des Enzyms gehemmt, häuft sich Substrat aus vorgelagerten Reaktionen an. Durch die höhere Substratkonzentration gelangt dann noch mehr des verfügbaren Enzyms in den Zustand, in dem es sich mit dem Inhibitor verbinden kann.

Drei Wege der Enzymhemmung |

Drei Mechanismen können die Enzymaktivität hemmen. Während zwei davon häufig vorkommen, ist einer eher ungewöhnlich: die unkompetitive Hemmung, über die Glyphosat wirkt. Dabei kann der Hemmstoff erst an das Enzym koppeln, wenn das Substrat bereits an dieses gebunden ist.

Bei der kompetitiven Hemmung (linke Spalte) wird das Andocken eines Hemmstoffs umso unwahrscheinlicher, je mehr Substrat zur Verfügung steht, weil Letzteres die Bindungsstellen besetzt. Bei der nichtkompetitiven oder allosterischen Hemmung (Mitte) beeinflusst die Erhöhung der Substratkonzentration die Hemmstoffbindung nicht, weil sich Substrat und Hemmstoff an unterschiedliche Stellen anheften. Bei der unkompetitiven Hemmung jedoch (rechte Spalte) wird das Ankoppeln des Hemmstoffs, wie etwa Glyphosat, umso wahrscheinlicher, je mehr Substrat vorhanden ist, weil die Bindungsstelle für den Hemmstoff erst durch Wechselwirkung mit dem Substrat entsteht.

Neue Erkenntnisse nach 25 Jahren

Das Enzym EPSP-Synthase, auf das Glyphosat einwirkt, verarbeitet die zwei Substrate S3P und PEP. Zuerst koppelt S3P an das Enzym und verändert damit dessen Form (Konformationsänderung). Dadurch bildet sich erst die Bindungsstelle für PEP – oder aber für Glyphosat. Auf diese Weise verstärkt die Anheftung von S3P dessen enzymhemmende Wirkung. Laufen die vorgelagerten Reaktionen im Stoffwechselweg weiterhin ungebremst ab, häuft sich S3P an und wird nicht weiter umgesetzt, weil der darauf folgende Schritt durch inaktive EPSP-Synthase-Komplexe blockiert wird, die Substrat und Glyphosat gebunden haben. In der Folge bricht der unverzichtbare Shikimisäureweg zusammen, und die Pflanze stirbt.

Unkompetitive Hemmung ist damit sehr schwer zu kontrollieren und potenziell tödlich. Wohl aus diesem Grund hat sie sich offenbar als Regulationsmechanismus im Pflanzenstoffwechsel evolutionär nicht durchgesetzt und kommt entsprechend extrem selten vor.

Strukturstudien der EPSP-Synthase, die 2001 – 25 Jahre nach der Markteinführung des Herbizids – veröffentlicht wurden, enthüllten ein weiteres Geheimnis: Wie genau verändert sich die Form der EPSP-Synthase beim Binden an S3P, so dass sie für die unkompetitive Hemmung durch Glyphosat anfällig wird?

Glyphosatresistente Sojabohnen bringen den Durchbruch

Die EPSP-Synthase ist ein relativ kleines Protein. Es besitzt nur eine einzige Untereinheit, die aus zwei ähnlichen Lappen besteht. Diese nehmen entweder eine »offene« oder eine »geschlossene« Anordnung ein. In seiner freien Form, wenn es nicht mit Substratmolekülen verbunden ist, befinden sich die Domänen in der offenen Stellung. Bei der Interaktion mit S3P – dem einzigen Substrat, das sich an die offene Form des Enzyms heftet – schließen sie sich und bilden dadurch eine neue Bindungsstelle im Enzym. Nun kann Glyphosat diese aktive Stelle besetzen, die eigentlich für PEP vorgesehen ist.

Strukturänderung | Die Struktur des En­zyms EPSP-­Synthase erlaubt zwei Zustände. Bevor das erste Substrat – Shikimat-3-phosphat (S3P) – bindet, befindet sich das Enzym in einer offenen Konformation (links). Beim Anheften von S3P ändert es seine Form (rechts). Erst dann kann das natürliche Substrat PEP an das Enzym andocken – oder der Unkrautvernichter Glyphosat.

Die Eigenschaft, die Glyphosat zu seinem enormen Markterfolg verhalf, war anfangs der Grund für einen stark beschränkten Einsatz. Fast alle Pflanzen beinhalten den Shikimisäureweg, egal ob Unkraut oder Kulturpflanze. Daher limitierte man Glyphosat weitgehend auf die Unkrautbekämpfung vor der Aussaat.

Mechanische Innovationen wie abgeschirmte Sprühgeräte, die den Kontakt der Pflanzenblätter mit dem Herbizid verringern sollten, trugen dazu bei, diese Beschränkung aufzuweichen. Doch erst die Entwicklung glyphosatresistenter Pflanzen, wie die »Roundup Ready«-Pflanzen von Monsanto, veränderte die landwirtschaftliche Praxis radikal. Glyphosat war bereits seit 20 Jahren im Umlauf, als die Roundup-Ready-Pflanzen mit dem Aufkommen transgener Methoden in der Pflanzenzucht Mitte der 1990er Jahre Marktdominanz erreichten. 1996 wurden glyphosatresistente Sojabohnen eingeführt, woraufhin Glyphosat zum meistverwendeten Herbizid aller Zeiten aufstieg. 2006 waren mehr als 90 Prozent der in den USA angebauten Sojabohnen »GR«, 2014 auch Baumwolle und Mais. Luzerne, Raps und Zuckerrüben folgten.

Das Bakterium, das überlebte

Ebenso wie die Wirkung des kleinen Moleküls Glyphosat zufällig entdeckt wurde, so fand man die erste glyphosatresistente Genvariante des Zielenzyms durch reinen Zufall. Und zwar nicht in einer Pflanze, sondern in einem Bakte­rium, das in den Abwasserrohren einer Glyphosat-Produktionsanlage von Monsanto gedieh.

Auf der Suche nach glyphosatresistenten Pflanzen wurden viele gentechnische Experimente durchgeführt, doch erst mit der Entdeckung von Agrobacterium sp. Stamm CP4 kam der Stein richtig ins Rollen. Das Bakterium gehört zu einer Mikrobengattung, die bei Pflanzen Wurzelhalsgallentumoren verursacht. Das CP4-Gen von Agrobacterium codiert für eine glyphosatresistente Ver­sion der EPSP-Synthase – sicher der Grund, warum es in der Umgebung einer Glyphosat-Produktionsanlage überlebte. Das Gen brachte man in Nutzpflanzenarten ein, und so konnten Landwirte 1996 erstmals Roundup-Ready-Pflanzen erstehen. Anstatt den Unkrautvernichter kurz vor der Aussaat auf die Felder aufzubringen, konnten sie ihn nun über bereits wachsende Pflanzen sprühen, die gegen den Stoff immun waren: Das Unkraut wurde beseitigt, die Nutzpflanzen blieben unversehrt. Nach der Einführung der Roundup-Ready-Pflanzen stieg der weltweite Einsatz von Glyphosat um das 15-Fache.

Heute wissen wir, dass EPSP-Synthasen in der Natur in zwei Klassen vorkommen: Enzyme der Klasse I, welche Pflanzen und die meisten Bakterien und Pilzen enthalten, sind empfindlich gegenüber Glyphosat; Enzyme der Klasse  II, wie die im Agrobacterium sp. Stamm CP4 gefundene Version, sind dagegen relativ resistent.

Magisches Enzym

Bemerkenswerterweise beträgt der Unterschied zwischen den beiden Versionen nur wenige Atome. Genau genommen ist er so klein wie der Größenunterschied zwischen den beiden kleinsten Aminosäuren, Alanin und Glycin. Im aktiven Zentrum des Enzyms, an Position 100 in der Kette der Aminosäuren, steht in der glyphosatresistenten Form Alanin, während die nicht resistente Form dort Glycin aufweist. Die beiden Aminosäuren unterscheiden sich durch ihre Seitenkette: Bei Alanin besteht sie aus einer Methylgruppe (CH3), bei Glycin nur aus einem Wasserstoffatom (H). Glyphosat wiederum liegt in zwei Formen vor, von denen nur eine – die etwas länger ist als die andere – EPSP hemmt. Im glyphosatresistenten Enzym behindert das enthaltene Alanin durch seine Seitenkette die Bindung und Positionierung des Herbizids in der Langform. In der nicht resistenten Form lässt hingegen Glycin dem Glyphosat genügend Raum zum Andocken.

Zwei Formen | Glyphosat kommt in zwei Konformationen vor. Die linke Form ist auf Grund der Rotation um die C–N-­Bin­dung – angezeigt durch die gestrichelten Linien – um etwa 0,6 Ångström (10–10 Meter) kürzer. In der Lang­form (rechts) passt das Molekül problemlos an die Bindungsstelle für PEP im Enzym EPSP­-Synthase und hemmt so dessen Aktivität. Die glyphosatresistente EPSP­-Synthase enthält an einer bestimmten Stelle (Position 100 der Aminosäureabfolge) jedoch die Aminosäure Alanin (Ala) statt Glycin (Gly). Die längere Ala-­Seitenkette verhindert, dass Glyphosat in seiner Langform andockt; es muss die kondensierte Konfor­mation annehmen, um sich an das Enzym heften zu können. In dieser Form hemmt der Stoff die Enzym­aktivität nicht.

Damit ist ein Teil der »Magie« des Roundup-Ready-Enzyms erklärt. Aber wie kann das resistente Enzym trotz der längeren Seitenkette weiterhin mit seinem natürlichen Substrat (PEP) reagieren, das mit Glyphosat um die gleiche veränderte Bindungsstelle konkurriert? Ganz einfach: PEP ist kürzer als die hemmende Langform des Glyphosats und kollidiert daher nicht mit der Methylgruppe des Alanins, wodurch das Enzym eine hohe katalytische Aktivität beibehält. Die Roundup-Ready-Pflanzen verdanken ihren Aufstieg also dem Unterschied von 0,6 Ångström (10–10 Meter) in der Länge eines kleinen Moleküls.

Heute ist Glyphosat der wirtschaftlich erfolgreichste Unkrautvernichter der Geschichte. Allein in den USA ist es in mehr als 750 Produkten enthalten. Es wird in der Land- und Forstwirtschaft, im Gartenbau und zur Bekämpfung von Wasserpflanzen eingesetzt. Sogar in umstrittenen Vorhaben zur Ausrottung von Drogenpflanzen wie Koka, Schlafmohn oder Marihuana wurde es schon angewandt.

Doch in letzter Zeit geriet Glyphosat unter anderem wegen gesundheitlicher Bedenken in die Kritik. 2015 stufte die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) den Stoff als »wahrscheinlich Krebs erzeugend für den Menschen, Kanzerogen der Gruppe 2A« ein, da er mit einem erhöhten Risiko für Non-Hodgkin-Lymphome – bösartige Tumoren des lymphatischen Systems – einhergeht. Restriktionen werden diskutiert und sind mancherorts bereits umgesetzt. Daher ist die Zukunft der zunehmend umstrittenen Substanz offen.

Kontroverse um Glyphosat

In Deutschland ist Glyphosat seit 1974 als Unkrautvernichter zugelassen. EU-weit wurde es 2001 als Pflanzenschutzmittel genehmigt; 2017 fand auf Grundlage neuer Studien eine Wiedergenehmigung zunächst bis Dezember 2022 statt, die wiederum bis zum 15. Dezember 2023 verlängert wurde. Am 28. November 2023 wurde die EU-weite Genehmigung um weitere zehn Jahre bis zum 15. Dezember 2033 verlängert.

Aktuell gibt es in Deutschland 58 erlaubte glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel, für den Einsatz gelten seit 2021 allerdings strenge Beschränkungen. Ein etwaiges deutschlandweites Verbot würde momentan dem EU-Recht widersprechen, da das Mittel dort zugelassen ist.

Dazu schreibt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft auf seiner Website: »Bei bestimmungsgemäßer und sachgerechter Anwendung des Wirkstoffs Glyphosat bestehen keine Zweifel an der gesundheitlichen Unbedenklichkeit.«

In der Kritik ist der Stoff jedoch auch, weil er die Biodiversität gefährdet: Da sämtliche Pflanzen bei der Behandlung mit dem Breitbandherbizid absterben, fehlt etwa Insekten dort die Nahrungsgrundlage. Außerdem gibt es Studien, nach denen der Stoff schädlich für Insekten ist, etwa indem er deren Mikrobiom verändert und sie anfälliger gegenüber Schädlingen macht. Umweltverbände fordern daher ein Verbot.

  • Quellen

Boocock, M. R., Coggins, J. R.: Kinetics of 5-enolpyruvylshikimate-3-phosphate synthase inhibition by glyphosate. FEBS Letters 154, 1983

Cornish-Bowden, A.: Why is uncompetitive inhibition so rare? A possible explanation, with implications for the design of drugs and pesticides. FEBS Letters 203, 1986

Duke, S. O.: The history and current status of glyphosate. Pesticide Management Science 75, 2017

Motta, E. V. S. et al.: Glyphosate perturbs the gut microbiota of honey bees. PNAS 115, 2018

Schönbrunn, E. et al.: Interaction of the herbicide glyphosate with its target enzyme 5-enolpyruvylshikimate 3-phosphate synthase in atomic detail. PNAS 98, 2001

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