Hirnforschung: Langzeitgedächtnis verzichtet wohl auf einen Hauptschalter
Vor einigen Jahren hatten sich Gedächtnisforscher über einen verblüffend einfachen Hauptschalter im Langzeitgedächtnis gefreut: das Enzym PKM-zeta. Denn nur wenn dieses Protein aktiv ist, so die Erkenntnis, bleiben Erinnerungen langfristig gespeichert. Schon damals war allerdings klar, dass der zu Grunde liegende molekulare Mechanismus komplizierter ist und auf weit mehr als nur einem Schalter beruht. Gleich zwei Studien an Mäusen bestätigen diesen Verdacht nun.
Die Forscher – ein Team um Richard Huganir vom Howard Hughes Medical Center und eine Gruppe um Robert Messing von der University of California in San Francisco – hatten unabhängig voneinander die Langzeitgedächtnisleitung von Mäusen im Labor untersucht und dabei vor allem die Funktion von PKM-zeta (Protein Kinase M-zeta) überprüft [1,2]. Diese Kinase war als Hauptschalter des Langzeitgedächtnisses berühmt geworden, denn hemmt man das Enzym, so können Mäuse Gedächtnisinhalte nicht mehr langfristig speichern. Zudem werden dadurch sogar ältere Erinnerungen im Langzeitspeicher des Hirns gelöscht, wie Forscher herausgearbeitet hatten.
Die Konsolidierung von langfristig zu speichernden Gedächtnisinhalten geht nach gängiger Lehrmeinung mit der Verstärkung von Nervenverbindungen – also den Synapsen – von Neuronen im Hippocampus des Gehirns einher. PKM-zeta fiel den Neuroforschern dabei besonders auf, weil diese Kinase nicht schlicht eine Synapsenverstärkung anregt, sondern daran beteiligt ist, einmal geknüpfte Verbindungen zu erhalten. Dazu ist das Enzym ständig aktiv – hemmt man es mit einen Peptid namens ZIP, so leidet die Langzeitpotenzierung, also die zuvor verstärkte synaptische Kommunikation, und die Versuchstiere vergessen alte Lerninhalte.
Huganirs Team zeigt nun aber, dass selbst gentechnisch veränderte Mäuse ohne den Gedächtnishauptschalter PKM-zeta noch ein gut funktionierendes Langzeitgedächtnis haben können. Trotzdem hemmte der Einsatz des Blockademittels ZIP auch die PKM-zeta-freien Mäuse: Der Hemmstoff scheint schlicht den gesamten Gedächtnismechanismus durcheinanderzubringen, schlussfolgern die Forscher; ein aktives PKM-zeta sei für ein funktionierendes Erinnern dagegen nicht unbedingt notwendig. Die Resultate des zweiten Teams um Messing bestätigen und ergänzen diese Beobachtung: Die Experimente belegen, dass PKM-zeta-freie Mäuse Langzeiterinnerungen speichern. Zudem können diese Erinnerungen durch ZIP nachträglich gelöscht werden.
Nun müssen weitere Experimente klären, welche Rolle die Kinase im Gedächtnisprozess überhaupt spielt. Gänzlich verzichtbar sollte sie nicht sein – womöglich beschleunigt oder verstärkt sie einen auf anderen Wegen angekurbelten Merkprozess? Als ziemlich wahrscheinlich darf gelten, dass bestimmte Ausfallmechanismen in Kraft treten, sobald die Kinase fehlt. Komplexe Prozesse wie die Langzeitpotenzierung und damit die Ausbildung langfristiger Gedächtnisinhalte beruhen sicher auf redundanten Schaltkreisen mit mehreren unterschiedlichen Zahnrädern. Ein unverzichtbarer Hauptschalter ist in diesem System womöglich nicht vorgesehen.
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