Kosmische Mega-Struktur: Zu Hause im "unermesslichen Himmel"
Angenommen, Sie besuchen gerade eine weit entfernte Galaxie und möchten eine Postkarte an die Lieben daheim adressieren. Zuerst schreiben Sie darauf die Straße und Hausnummer sowie Ihren Wohnort auf dem dritten Planeten des Sonnensystems. Dann folgt der Ort der Sonne in dem nach Orion benannten Spiralarm der Milchstraße sowie die Lage der Milchstraße in der Lokalen Gruppe, einem Cluster von mehr als 50 benachbarten Galaxien, der sich über rund sieben Millionen Lichtjahre erstreckt. Die Lokale Gruppe liegt ihrerseits am Rand des Virgo-Haufens; das Zentrum dieses Clusters aus mehr als 1000 Galaxien ist rund 50 Millionen Lichtjahre von uns entfernt. Der Virgo-Haufen bildet wiederum nur einen kleinen Teil des Lokalen Superhaufens, der Hunderte von Galaxiengruppen umfasst und sich über mehr als 100 Millionen Lichtjahre ausdehnt. Solche Superhaufen gelten als die Komponenten der großräumigsten Strukturen im Universum, indem sie sich zu gigantischen Filamenten und Schichten von Galaxien anordnen, mit ebenso riesigen Leerräumen dazwischen.
Bis vor Kurzem hätte unsere kosmische Anschrift mit dem Lokalen Superhaufen geendet. Weitere Angaben hielt man für überflüssig, denn in noch größerem Maßstab – jenseits des Unterschieds zwischen galaktischen Schichten und Leerräumen – schien das Universum homogen zu sein. Doch 2014 entdeckte einer von uns (Tully), dass wir zu einer noch gewaltigeren Struktur gehören: Der Lokale Superhaufen ist nur der Zipfel eines viel größeren Gebildes mit einem Gesamtdurchmesser von 400 Millionen Lichtjahren und 100 000 großen Galaxien. Tullys Team taufte den monströsen Supercluster Laniakea – hawaiianisch für "unermesslicher Himmel" – zu Ehren der ersten polynesischen Seefahrer, die sich in den Weiten des pazifischen Ozeans an den Sternen orientierten. Unsere Milchstraße sitzt an Laniakeas äußerstem Rand.
Laniakea ist nicht bloß eine zusätzliche Zeile unserer kosmischen Adresse. Die Architektur und Dynamik dieser immensen Struktur verspricht Erkenntnisse über Vergangenheit und Zukunft des Universums. Denn indem wir ihre Galaxien vermessen und deren Verhalten beobachten, kommen wir dem Wesen der Dunklen Materie näher, die nach Überzeugung der Astronomen 80 Prozent des kosmischen Materials ausmacht.
Wie Ströme von Galaxien helfen, die tiefsten kosmischen Rätsel zu lösen
Außerdem kann Laniakea dazu beitragen, das Geheimnis der Dunklen Energie zu lösen, die für die erst 1998 entdeckte Beschleunigung der kosmischen Expansion verantwortlich gemacht wird. Und schließlich muss der Superhaufen nicht unbedingt die letzte Zeile unserer kosmischen Adresse bedeuten, sondern mag Teil einer noch größeren, bisher unbekannten Struktur sein.
Eigentlich suchte Tullys Team gar nicht nach einem Supersupercluster, sondern nach Antworten auf grundlegende Fragen der Kosmologie. Seit fast einem Jahrhundert ist bekannt, dass der Kosmos sich ausdehnt, wodurch sich die Galaxien voneinander entfernen wie Kleckse auf einem Luftballon, der aufgeblasen wird. Doch wie sich in den vergangenen Jahrzehnten herausstellte, streben die meisten Galaxien langsamer auseinander, als allein unter dem Einfluss der kosmischen Expansion zu erwarten wäre. Offenbar bremst die lokale Gravitationsanziehung anderer Materieansammlungen die Fluchtbewegung einzelner Galaxien. Die Differenz zwischen expansionsbedingter und lokaler Bewegung eines kosmischen Objekts heißt Pekuliargeschwindigkeit.
Doch selbst wenn wir sämtliche Sterne aller sichtbaren Galaxien zusammennehmen und das interstellare Gas und die übrige uns bekannte Materie dazutun, können wir mit deren Gravitationswirkung die beobachteten Pekuliargeschwindigkeiten höchstens zu einem Zehntel erklären. Was fehlt, bezeichnen die Astronomen aus Unwissenheit als Dunkle Materie. Man weiß nur: Sie besteht aus Teilchen, die mit dem übrigen Universum fast ausschließlich durch ihre Schwerkraft wechselwirken, und die Galaxien sind von großen Mengen Dunkler Materie umgeben, die als unsichtbares Gerüst deren Entstehung und Verhalten prägt.
Wie Tully und andere Forscher erkannten, kann eine Kartierung der galaktischen Ströme und Pekuliargeschwindigkeiten die verborgene kosmische Verteilung der Dunklen Materie offenbaren, indem sie deren Gravitationswirkung auf die Galaxienbewegung enthüllt. Wenn Ströme von Galaxien einem bestimmten Punkt zustreben, darf man annehmen, dass sie von der Schwerkraft einer besonders dichten Materieansammlung angezogen werden. Eine Karte der Dichte und Verteilung aller Materieformen im Universum könnte vielleicht zudem das größte aller kosmologischen Rätsel lösen: Warum expandiert der Kosmos mit der Zeit immer schneller, statt sich unter der Gravitationsanziehung der in ihm enthaltenen Massen zunehmend langsamer auszudehnen?
Das ist fast so unerklärlich, als würde ein emporgeworfener Stein nicht wieder zur Erde fallen, sondern auf Nimmerwiedersehen am Himmel entschwinden. Der Antrieb dieses bizarren Phänomens wird Dunkle Energie genannt und entscheidet über die ferne Zukunft des Universums. Infolge der beschleunigten Expansion muss der Kosmos eigentlich einen kalten Tod erleiden: Die meisten Galaxien entfernen sich immer schneller voneinander, bis letztlich völlige Finsternis eintritt, da jeder Stern erlischt und die gesamte Materie den absoluten Nullpunkt der Temperatur erreicht.
Doch das Endzeitszenario hängt nicht nur vom künftigen Verhalten der Dunklen Energie ab, sondern auch von der Gesamtmenge der Massen im Universum. Bei genügend hoher Materiedichte wird die Expansion schließlich erlahmen, und das Universum muss dann unter dem Einfluss der Gravitation in sich zusammenfallen – oder die Dichte ist geringer und reicht gerade aus, eine unendliche, allmählich immer langsamere Expansion herbeizuführen. Ursprünglich diente die Kartierung der Galaxienströme also dem Zweck, die kosmische Dichte der gewöhnlichen und der Dunklen Materie zu bestimmen – doch dabei wurde Laniakea entdeckt.
Um Galaxienströme zu vermessen, muss man die Bewegung einer Galaxie sowohl infolge der kosmischen Expansion als auch unter dem Einfluss benachbarter Materie untersuchen. Zunächst messen Astronomen die Rotverschiebung; sie wird größtenteils durch die Dehnung der Wellenlängen auf ihrem Weg durch den expandierenden Weltraum verursacht: Je weiter eine Galaxie von uns entfernt ist, desto mehr wird ihre Strahlung in den langwelligen – "roten" – Bereich verschoben. Somit liefert die Rotverschiebung der Galaxie den Astronomen ein grobes Maß für deren Entfernung.
Rotverschiebung durch kosmische Expansion und Pekuliargeschwindigkeit
Zur beobachteten Rotverschiebung trägt aber auch die Pekuliargeschwindigkeit der Galaxie unter dem Einfluss von Materieansammlungen in ihrer Nähe bei. Die Eigenbewegung der Quelle staucht oder dehnt Wellenlängen gemäß dem bekannten, nach dem österreichischen Physiker Christian Doppler (1803-1853) benannten Effekt: Die Sirene eines vorbeifahrenden Rettungswagens hören wir erst höher, dann tiefer. Um den Anteil der in der beobachteten Rotverschiebung versteckten Pekuliargeschwindigkeit zu bestimmen, messen die Astronomen die Entfernung der Galaxie mit einer von der Rotverschiebung unabhängigen Methode. Angenommen, die tatsächliche Entfernung der Galaxie beträgt 3,25 Millionen Lichtjahre; daraus würde eine expansionsbedingte Geschwindigkeit von 70 Kilometer pro Sekunde folgen. Wenn nun die beobachtete Rotverschiebung eine Geschwindigkeit von 60 Kilometer pro Sekunde ergibt, können die Astronomen schließen, dass Materie in der Nähe der Galaxie ihr eine Pekuliargeschwindigkeit von 10 Kilometer pro Sekunde verleiht.
Alle von der Rotverschiebung unabhängigen Entfernungsmessmethoden beruhen auf der Tatsache, dass die scheinbare Helligkeit einer Lichtquelle mit dem Quadrat des Abstands abnimmt. Wenn man zwei identische Leuchttürme beobachtet, von denen der eine nur ein Viertel so hell erscheint wie der andere, dann weiß man, dass er doppelt so weit entfernt ist. In der Astronomie heißen die identischen Lichtquellen Standardkerzen. Zu solchen astrophysikalischen Objekten, deren immer gleiche absolute Helligkeit gut bekannt ist, zählen bestimmte Typen explodierender oder pulsierender Sterne – oder sogar ganze Galaxien. Letztere haben Autor Tully und der US-Astronom J. Richard Fisher 1977 als Standardkerzen vorgeschlagen. Die Tully-Fisher-Beziehung besagt, dass massereiche Galaxien heller strahlen und zugleich schneller rotieren als kleine Systeme: Da Erstere mehr Sterne enthalten, müssen sie flinker kreisen, um trotz ihres stärkeren Schwerefelds stabil zu bleiben. Man misst also die Rotationsgeschwindigkeit der Galaxie und erhält damit die absolute Helligkeit; aus deren Vergleich mit der scheinbaren Helligkeit ergibt sich die Entfernung.
Jeder Standardkerzentyp eignet sich für einen bestimmten Entfernungsbereich. Pulsationsveränderliche Sterne wie die Cepheiden sind nicht besonders hell und lassen sich deshalb nur gut beobachten, wenn ihre Heimatgalaxie in der Nähe der Milchstraße liegt. Die Tully-Fisher-Beziehung ist für viele Spiralgalaxien verwendbar, ergibt deren Entfernung aber bloß mit einer Unsicherheit von bis zu 20 Prozent. Supernovae vom Typ Ia liefern zwar Messungen mit halb so großer Unsicherheit und leuchten über riesige kosmische Entfernungen, sind aber selten: Selbst in einer großen Galaxie erstrahlt solch ein explodierender Stern durchschnittlich pro Jahrhundert nur einmal.
Wenn Astronomen die Pekuliargeschwindigkeiten einer über das gesamte All verteilten Stichprobe von Galaxien kennen, können sie selbst die ausgedehntesten Galaxienströme vermessen. In dieser enormen Größenordnung gleicht die galaktische Strömung einem Flusssystem, das sich durch kosmische Einzugsgebiete windet und dabei der Gravitation benachbarter Strukturen gehorcht. Auf solchen "kosmografischen" Karten bilden die Galaxien Flüsse, Wirbel und Seen, aus denen indirekt Struktur, Dynamik, Ursprung und Zukunft der größten Materieansammlungen im Universum hervorgehen.
Um unsere Fragen über Dunkle Materie und Dunkle Energie zu behandeln, waren umfassende Daten möglichst vieler Beobachtungsprogramme erforderlich. 2008 publizierten Tully und Hélène M. Courtois, die jetzt am Institut de Physique Nucleaire de Lyon in Frankreich arbeitet, mit ihren Kollegen den Cosmicflows-Katalog, der zahlreiche Daten zur Dynamik von 1800 Galaxien bis zu einer Entfernung von 130 Millionen Lichtjahren zusammentrug. 2013 schuf das Team den erweiterten Cosmicflows-2-Katalog, der die Bewegungen von rund 8000 Galaxien in einem Raumgebiet mit einem Radius von 650 Millionen Lichtjahren verzeichnet. Ein Teammitglied, Yehuda Hoffman von der Hebräischen Universität Jerusalem, entwickelte präzise Methoden, um aus den Pekuliargeschwindigkeiten der Cosmicflows-Daten auf die Verteilung der Dunklen Materie zu schließen. Aus der Datenflut schälte sich schließlich ein unerwartetes Muster heraus: die Umrisse einer nie gesehenen kosmischen Struktur. In einem mehr als 400 Millionen Lichtjahre großen Einzugsgebiet streben alle Galaxien einem gemeinsamen Punkt oder Attraktor zu – wie Wasser, das sich am tiefsten Punkt einer Landschaft sammelt. Ohne die kosmische Expansion würden sich diese Galaxien zu einem kompakten, durch Schwerkraft gebundenen Gebilde vereinen. Insgesamt bildet der riesige Schwarm den Laniakea-Superhaufen.
Die Bewegungen im Schwarm lassen sich gut mit heutigen Modellen für die kosmische Verteilung der Dunklen Materie erklären. Außerdem scheint die Gesamtdichte der sichtbaren und Dunklen Materie in Laniakea für das derzeit favorisierte Endzeitszenario zu sprechen, wonach die Dunkle Energie das Universum für immer beschleunigt ausdehnt und ihm einen kalten Tod beschert. Das sind freilich vorläufige Befunde. Derzeit sind die Pekuliargeschwindigkeiten nur für 20 Prozent der Galaxien in dem Superhaufen bekannt, und viele Entfernungsmessungen mit Standardkerzen bleiben sehr unsicher.
Unser Standort auf der neuen kosmografischen Karte
Eine imaginäre Reise durch unsere neu entdeckte Heimat Laniakea beginnt auf der Erde. Diese wandert mit rund 30 Kilometer pro Sekunde um die Sonne, die ihrerseits mit 200 Kilometer pro Sekunde das galaktische Zentrum umkreist. Die gesamte Lokale Gruppe einschließlich der Milchstraße rast mit mehr als 600 Kilometer pro Sekunde auf eine geheimnisvolle Massenkonzentration im Sternbild Centaurus (Zentaur) zu. Wenn wir die Milchstraße verlassen, begegnen wir zwei "nur" 180 000 bis 220 000 Lichtjahre entfernten Zwerggalaxien, der Kleinen und Großen Magellanschen Wolke. Sie erscheinen an unserem Südhimmel und lassen sich am besten von der Antarktis aus im Winter sehen. Für das bloße Auge ist sonst nur noch die Andromeda-Galaxie in klaren Nächten als schwaches Fleckchen sichtbar.
Diese mächtige Spiralgalaxie liegt 2,5 Millionen Lichtjahre entfernt und bewegt sich mit einer Pekuliargeschwindigkeit von 110 Kilometer pro Sekunde auf uns zu. In ungefähr vier Milliarden Jahren wird Andromeda frontal mit der Milchstraße zusammenstoßen und beide Galaxien in ein strukturloses Ellipsoid aus alten roten Sternen verwandeln. Unser Sonnensystem dürfte davon kaum tangiert werden; dafür sind die Abstände zwischen den Sternen zu groß. Milchstraße, Andromeda und vier Dutzend weitere Galaxien gehören zur Lokalen Gruppe, die mit ihrer Schwerkraft die kosmische Expansion überwindet und langsam kollabiert. Wie die Milchstraße mit ihren Magellanschen Wolken haben all diese großen Galaxien ihr Gefolge von Zwerggalaxien.
Jenseits der Lokalen Gruppe, in einem rund 25 Millionen Lichtjahre großen Gebiet, erscheinen auf unserer Karte drei auffällige Gebilde. Die meisten Galaxien dieser Region, unsere Milchstraße eingeschlossen, bilden die Lokale Schicht. Diese ist sehr dünn: Ihre Galaxien liegen nur höchstens drei Millionen Lichtjahre entfernt von der Äquatorebene des so genannten supergalaktischen Koordinatensystems. Unterhalb dieser Ebene liegen in einigem Abstand ein Filament von Galaxien – der Leo-Sporn – sowie die Galaxien der Antlia- und Dorado-Wolken. (Die lateinischen Namen bezeichnen die Sternbilder Löwe beziehungsweise Luftpumpe und Schwertfisch.) Oberhalb der Ebene gibt es kaum etwas; dort herrscht der Lokale Leerraum.
Betrachtet man nur die Galaxien innerhalb der Lokalen Schicht, so sieht alles ganz friedlich aus. Diese Galaxien streben im Tempo der kosmischen Expansion auseinander; ihre durch lokale Wechselwirkungen verursachten Pekuliargeschwindigkeiten sind klein. Auch die unterhalb der Lokalen Schicht liegenden Galaxien der Antlia- und Dorado-Wolken und des Leo-Sporns haben geringe Pekuliargeschwindigkeiten, bewegen sich aber sehr schnell auf die Lokale Schicht zu. Daran ist wahrscheinlich der Lokale Leerraum schuld. Leerräume expandieren wie aufgeblasene Luftballons; an ihren Rändern sammelt sich Materie, weil sie von verdünnten zu verdichteten Regionen wandert und kosmische "Mauern" bildet. Letztlich ist die Lokale Schicht eine Mauer des Lokalen Leerraums, und dessen Expansion treibt uns abwärts zu Antlia, Dorado und Leo.
Weiter draußen begegnen wir dem Virgo-Haufen (benannt nach dem Sternbild Jungfrau), der das Dreihundertfache der Lokalen Gruppe in ein Volumen mit 13 Millionen Lichtjahren Durchmesser quetscht. Seine Galaxien flitzen mit rund 700 Kilometer pro Sekunde umher; in einem Umkreis von 25 Millionen Lichtjahren stürzen alle Galaxien außerhalb des Haufens auf ihn zu und binnen zehn Milliarden Jahren in ihn hinein. Der gesamte Einflussbereich des Virgo-Clusters hat gegenwärtig einen Radius von 35 Millionen Lichtjahren. Interessanterweise liegt unsere Milchstraße mit einem Abstand von 50 Millionen Lichtjahren knapp außerhalb dieser Einfangzone.
Was liegt jenseits von Laniakea?
Das größere, bis zu uns reichende Gebiet um den Virgo-Cluster heißt Lokaler Superhaufen. Vor fast 30 Jahren entdeckte eine Gruppe von Astronomen mit dem Spitznamen "Die sieben Samurai", dass sich nicht nur die Milchstraße, sondern der gesamte Lokale Superhaufen mit hunderten Kilometern pro Sekunde auf Centaurus zubewegt. Sie nannten die mysteriöse Masse, die alle diese Galaxien anzieht, den Großen Attraktor. In vieler Hinsicht ist der Große Attraktor gar nicht so geheimnisvoll: In dieser Richtung ist die Massendichte offensichtlich hoch, denn dort liegen innerhalb eines 100 Millionen Lichtjahre großen Gebiets sieben mit dem Virgo-Cluster vergleichbare Haufen – insbesondere Norma (Winkelmaß), Centaurus und Hydra (Wasserschlange).
Eigentlich verstehen wir unter Superhaufen kosmische Einzugsgebiete, deren Grenzen durch gegensätzliche Galaxienbewegungen festgelegt sind. Insofern trägt der Lokale Superhaufen einen falschen Namen, denn er ist nur Teil von etwas Größerem – eben Laniakea –, das noch andere Großstrukturen umfasst, wie das Pavo-Indus-Filament (lateinisch für das Sternbild Pfau-Indianer) sowie den Ophiuchus-Haufen (nach dem griechischen Namen des Sternbilds Schlangenträger). Wenn wir Laniakea mit einer Stadt vergleichen, wäre der Große Attraktor die verkehrsreiche Innenstadt. Wie bei den meisten Stadtzentren fällt es schwer, den genauen Mittelpunkt anzugeben, aber er liegt ungefähr zwischen dem Norma- und dem Centaurus-Haufen. Unsere Milchstraße befindet sich weit draußen in einer Vorstadt, die schon fast an den Rand eines benachbarten Superhaufens namens Perseus-Pisces grenzt (Pisces ist der lateinische Name des Sternbilds Fische). Dieser Rand liegt uns nahe genug, so dass wir ihn detailliert untersuchen können, um Laniakeas unscharfe, halbwegs runde Grenze zu definieren; sie umschließt ein Volumen mit einem Durchmesser von einer halben Milliarde Lichtjahre. Insgesamt enthält Laniakea eine Menge an gewöhnlicher und Dunkler Materie, die rund 100 Millionen Milliarden Sonnenmassen entspricht.
Eine grobe Ahnung von den außerhalb von Laniakea liegenden Strukturen besitzen Astronomen schon seit Jahrzehnten. Bald nachdem die sieben Samurai den Großen Attraktor entdeckt hatten, zeichnete sich direkt hinter ihm, aber dreimal weiter entfernt, eine monströse Ansammlung von Clustern ab – die dichteste im lokalen Universum. Seit der US-Astronom Harlow Shapley (1885-1972) in den 1930er Jahren erste Indizien dafür aufspürte, heißt dieses ferne Riesengebilde Shapley-Superhaufen. Zufällig liegt es wie die Lokale Schicht, der Virgo-Haufen und der Große Attraktor in der supergalaktischen Äquatorebene. Somit gleicht unsere kosmische Umgebung einem riesigen Pfannkuchen aus galaktischen Superhaufen.
Was verursacht die Pekuliargeschwindigkeit unseres Lokalen Superclusters von 600 Kilometern pro Sekunde? Bis zu einem gewissen Grad muss der Große Attraktor daran schuld sein. Doch wir sollten auch die Gravitationsanziehung des Shapley-Superhaufens in Betracht ziehen; er ist zwar dreimal weiter entfernt, umfasst aber viermal so viele Haufen. Gemäß dem Cosmicflows-2-Katalog, dem wir auch die Entdeckung von Laniakea verdanken, könnte sogar noch mehr im Spiel sein. Die Pekuliargeschwindigkeiten der 8000 im Katalog erfassten Galaxien zeigen eine gemeinsame Strömung zum Shapley-Superhaufen an. Dieser Fluss betrifft den gesamten Katalogbereich mit einem Durchmesser von 1,4 Milliarden Lichtjahren. Ist unser kosmisches Zuhause damit endgültig umschrieben? Das wissen wir nicht. Erst noch größere Surveys, die noch riesigere Abschnitte des Universums vermessen, werden die ultimative Struktur enthüllen, die den Strom der Galaxien in unserer kosmischen Umgebung anzieht.
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