Zweisprachigkeit: Laut- und Gebärdensprache beeinflussen sich gegenseitig
Bei den Gebärdensprachen der Gehörlosen handelt es sich weder um simple Pantomime noch um per Hand buchstabiertes Deutsch oder Englisch. Vielmehr sind sie vollwertige Sprachen, die sich lediglich eines anderen Sinneskanals bedienen. Wie ähnlich das Gehirn zweisprachiger Personen Laut- und Gebärdensprache behandelt, demonstrierten jetzt Anthony Shook und Viorica Marian von der Northwestern University im US-amerikanischen Evanstown mit einem Trick: Sie ließen beide Systeme sich gegenseitig ins Gehege kommen.
Die Wissenschaftler baten dazu ihre hörenden, zweisprachigen Probanden auf Englisch, mit der Maus auf einen von vier abgebildeten Gegenständen zu klicken (beispielsweise einen Käse, eine Uhr, ein Stück Papier, eine Briefmarke). Währenddessen zeichneten sie die Blickbewegungen der Versuchspersonen auf. Was die Probanden nicht bemerkten: Zu jedem "Zielgegenstand" gesellte sich ein weiterer, dessen Gebärde dem zu klickenden in mehrfacher Hinsicht entsprach – "Käse" und "Papier" werden zum Beispiel in der Amerikanischen Gebärdensprache beide unter Verwendung einer nach unten gerichteten, flachen Hand dargestellt.
Die Analyse der Blickbewegungen offenbarte nun, dass das Gehirn der zweisprachigen Probanden die verborgene Ähnlichkeit sehr wohl bemerkte: Die Freiwilligen starrten wesentlich länger auf das konkurrierende Symbol als die einsprachige Kontrollgruppe. Demnach scheint ihr Sprachverarbeitungssystem beim Kommando "Klicke auf den Käse!" automatisch das gebärdenverarbeitende System anzuwerfen, "Käse" in Gebärden zu übersetzen, dadurch das ähnlich aussehende Konzept "Papier" zu aktivieren und schließlich Verwirrung zu stiften, was denn nun gemeint sei.
Der Effekt ist freilich nicht groß genug, um die Probanden zu einem falschen Klick zu provozieren, aber immerhin deutlich messbar. Dieselbe Parallelität konkurrierender System hatten Forscher bereits früher schon bei Versuchspersonen beobachtet, die zwei Lautsprachen flüssig beherrschen. Hier hebt der Versuchsaufbau darauf ab, dass manche Wörter der ersten Sprache so ähnlich klingen wie Wörter der zweiten Sprache. Auch dabei zeigte sich, dass zweisprachige Menschen beim Hören unbewusst übersetzen. Offenbar, so die Autoren, ist diese Koaktivierung nicht auf eine Sinnesmodalität beschränkt.
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