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Mikrobiologie: Leben am Limit

Mikroorganismen bevölkern eiskalte Salzlaken, heiße Quellen, karge Meeresböden - und vielleicht sogar das All. Wo liegen ihre Grenzen?
Lake Fryxell

Das Thermometer zeigt 13 Grad unter Null, aber die Lake enthält so viel Salz, dass das Wasser darin trotzdem nicht gefriert. Eine zwanzig Meter dicke Eisdecke schließt den flüssigkeitsgefüllten Hohlraum von der Frischluftzufuhr ab. Wie ein attraktiver Lebensraum wirkt der Lake Vida im antarktischen Victoria Valley nicht gerade, und doch gibt es Organismen, die den unwirtlichen Bedingungen dort trotzen. Dieses Kunststück gelingt ausgerechnet den kleinsten aller Lebewesen: den Mikroorganismen.

Vor zehn Jahren hatten Forscher in Eisbohrkernen aus diesem einzigartigen See rund 3000 Jahre alte Bakterien entdeckt und dazu gebracht, sich wieder zu vermehren. Nun haben Alison Murray und ihre Kollegen von der University of Illinois in Chicago Lake Vida genauer unter die Lupe genommen – und Erstaunliches entdeckt. Die eisumhüllte Salzlake, so die Erkenntnis der Wissenschaftler, enthält nicht nur große Mengen an chemischen Verbindungen wie reduzierte Metalle, Ammoniak, Wasserstoff, Lachgas und gelösten organischen Kohlenstoff, sondern auch eine Fülle von Bakterien aus den unterschiedlichsten Verwandtschaftsgruppen [1].

Seen in den antarktischen Trockentälern |

Seen in den antarktischen Trockentälern – hier der Fryxell-See – sind zwar ganzjährig zugefroren, an ihrem Grund findet sich allerdings ein Bereich flüssigen Wassers: eine hochkonzentrierte Salzlake, die sich als Heimat von robusten Überlebenskünstlern entpuppte.

Als die Forscher eine mit schwerem Wasserstoff markierte Aminosäure in die kalte Flüssigkeit gaben, fanden sie diese einige Tage später als Bestandteil von Proteinen wieder. Die Mikroorganismen in Lake Vida sind also in der Lage, noch bei unter minus zehn Grad Celsius ihren Stoffwechsel aufrechtzuerhalten und Zellbestandteile herzustellen. Als wichtigste Energiequelle dient ihnen hierfür vermutlich der Wasserstoff, der durch chemische Reaktionen zwischen dem Seewasser und dem Gestein am Grund des Sees entsteht.

Geruhsam lebt sich's länger Das Tempo, in dem die kleinen Überlebenskünstler für die Erhaltung ihrer Art sorgen, lässt sie allerdings im wahrsten Sinne des Wortes alt aussehen: Um sich einmal zu teilen, benötigen sie geschätzte 120 Jahre. Im Vergleich zu ihren Verwandten in einem anderen Lebensraum der Extreme, dem Meeressediment, scheinen sie damit jedoch geradezu hyperaktiv – im bewohnbaren Teil der Erdkruste können Generationszeiten durchaus mehrere Tausend Jahre betragen. Eine höhere Teilungsrate lässt das geringe Nährstoffangebot unter dem Grund der Ozeane nicht zu. Die Grenze zwischen Leben und Vegetieren erscheint unter diesen Umständen fließend, und es drängt sich die Frage auf, inwiefern sich die Bedingungen, unter denen Leben möglich ist, überhaupt definieren lassen.

"Was die Temperatur angeht, gibt es für Leben, wie wir es kennen, zumindest nach oben hin ein Maximum", sagt Jens Kallmeyer, Geomikrobiologe am Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam. So nimmt die Stabilität des universellen Erbmaterials DNA mit steigenden Temperaturen zusehends ab. "Etwa bei 121 Grad Celsius wird die thermische Belastung für die DNA zu hoch und die Doppelstränge des Makromoleküls brechen schneller, als die Zelle sie kopieren könnte", so Kallmeyer.

Solche Bedingungen herrschen in der Nähe hydrothermaler Quellen auf dem Grund der Ozeane, an denen heißes Wasser aus dem Erdinneren nach oben steigt. Hier haben Wissenschaftler Mikroorganismen gefunden, die zwischen 90 und 113 Grad Celsius optimal gedeihen – sie reizen die Temperaturobergrenze bis zum Limit aus.

Dass im minus 13 Grad kalten Lake Vida Bakterien aktiv sind, wundert Kallmeyer dagegen weniger: "Solange wir flüssiges Wasser haben, haben wir auch Leben", meint der Geomikrobiologe. Ein Limit gibt es allerdings auch hier, denn weitere 8 Grad tiefer gefriert selbst eine mit 330 Gramm Natriumchlorid gesättigte Kochsalzlösung.

"Solange wir flüssiges Wasser haben, haben wir auch Leben"
Jens Kallmeyer

In sehr salzhaltiger Umgebung müssen Mikroorganismen sich davor schützen, dass ihnen auf Grund des osmotischen Drucks zu viel Wasser aus der Zelle fließt. Dieser Herausforderung begegnen die winzigen Spezialisten, indem sie bestimmte Moleküle in ihrem Inneren anhäufen, die ihrerseits Wasser anziehen. Bei mehr als 400 Gramm Salz pro Liter ist jedoch auch hiermit Schluss – die Massenproduktion der schützenden Substanzen kostet schlichtweg zu viel Energie.

Aber wie viel Energie braucht ein Organismus überhaupt zum Überleben? "Eine chemische Reaktion muss mindestens 12 bis 13 Kilojoule an freier Energie liefern, damit eine Zelle sie für ihren Stoffwechsel nutzen kann", sagt Bernhard Schink, Inhaber des Lehrstuhls für mikrobielle Ökologie an der Universität Konstanz. Dies hängt damit zusammen, dass jede lebende Zelle ein Membranpotenzial aufrechterhalten muss. Sie muss also dafür sorgen, dass die Konzentration an Protonen, Natrium- oder sonstigen Ionen auf der einen Seite der Zellhülle höher ist als auf der anderen. Wenn sie diese Ionen entlang ihres Konzentrationsgradienten in die Zelle hinein oder aus ihr heraus fließen lässt, kann sie dabei entweder andere Substanzen – zum Beispiel Nährstoffe – aus der Umwelt aufnehmen. Alternativ kann die Zelle im Zuge des Ionenflusses auch den universellen Energieträger Adenosintriphosphat (ATP) produzieren.

"Um ein Molekül ATP zu erzeugen, müssen drei bis fünf Protonen über die Membran transportiert werden", erklärt Schink. Unter physiologischen Bedingungen liefert die biochemische Zersetzung des Energieträgers etwa 50 Kilojoule pro Stoffmengeneinheit Mol. Die Division der 50 Kilojoule durch 3 beziehungsweise durch 5 ergibt dann den theoretischen Mindestwert an freier Energie, der für den Transfer eines Mols an Protonen nötig ist. "An diese Untergrenze kommen in der Umwelt beispielsweise Organismen heran, die davon leben, dass sie aus Wasserstoff und Kohlenstoffdioxid Methan bilden", meint Bernhard Schink. "Was den Stoffwechsel angeht, muss man darüber hinaus unterscheiden zwischen Lebewesen, die sich fortpflanzen, und solchen, die zwar einen aktiven Stoffwechsel haben, aber keine Zellteilung mehr durchführen. Auf Grund des Nährstoff- beziehungsweise Energiemangels schaffen die Mikroben es nur noch, Schäden an der DNA zu reparieren", ergänzt Jens Kallmeyer. Ihre Stoffwechselrate reduziert sich dabei etwa um den Faktor tausend.

Notabschaltung

Manche Mikroben sind sogar in der Lage, ihren Stoffwechsel ganz auf Eis zu legen. Wenn die Umweltbedingungen sich verschlechtern, bilden sie eine widerstandsfähige Hülle aus. In Form von Sporen warten sie dann auf bessere Zeiten – wobei ihre Keimfähigkeit teilweise über Jahrtausende hinweg erhalten bleibt. Eine Untersuchung von Meeressedimenten, die Forschern seit Langem Rätsel aufgeben, weil sie im Verhältnis zum Nährstoffangebot sehr viele Zellen enthalten [2], wartete Anfang des Jahres mit einem überraschenden Ergebnis auf: Etwa die Hälfte der Zellen in diesem Lebensraum, so hatten Wissenschaftler um den dänischen Mikrobiologen Bo Baker Jørgensen herausgefunden, könnten Sporen sein. Dies schlossen sie aus den Mengenverhältnissen verschiedener Markermoleküle, die zu einem Teil sowohl in der Zellwand von Bakterien und in der Sporenhülle enthalten sind und zum anderen Teil nur in Letzterer vorkommen [3]. "Ob man die Sporen bei einem Zensus aller Zellen und der Gesamtbiomasse auf dem Planeten mitzählt, ist letztendlich eine Frage der Definition", schrieb Jørgensen im Wissenschaftsmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences der USA [4].

Ebenfalls in der Grauzone zwischen "Leben" und "Nichtleben" bewegen sich Viren, die keinen eigenen Stoffwechsel haben und andere Zellen befallen müssen, um sich zu vermehren. Das spricht zwar klar gegen sie. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Riesenviren, deren großen Genome die von einfachen Bakterien übertreffen und die ähnlich komplex aufgebaut sind wie zelluläre Lebewesen.

Während sich die Frage, ob Sporen oder Viren leben, wohl nie eindeutig beantworten lässt, ist sich Jens Kallmeyer in einem anderen Punkt sicher: Für ihn steht fest, dass das Phänomen "Leben" nicht nur auf unserem Planeten existiert. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass so viel Platz verschwendet wird", sagt der Geomikrobiologe. Für die Suche nach extraterrestrischen Lebensformen hat er eine originelle Anregung: "Vielleicht befinden sich nicht alle Ökosysteme auf irgendwelchen Planeten, sondern vielmehr innerhalb oder oberhalb von diesen", meint er. So habe man beispielsweise in den Wolken über der Erde auch schon Bakterien gefunden. "Wir sollten mit unseren Vorstellungen einfach etwas fantasievoller sein."

  • Quellen
[1] Murray, A. et al.:Microbial life at -13 °C in the brine of an ice-sealed Antarctic lake. In: Proceedings of the National Academy of Sciences 10.1073/pnas.1208607109, 2012
[2] Kallmeyer, J. et al.:Global distribution of microbial abundance and biomass in subseafloor sediment. In: Proceedings of the National Academy of Sciences 10.1073/pnas.1203849109, 2012
[3] Lomstein, B. et al.:Endospore abundance, microbial growth and necromass turnover in deep sub-seafloor sediment. In: Nature 10.1038/nature10905, 2012
[4] Jørgensen, B.B.: Shrinking majority of the deep biosphere. In: Proceedings of the National Academy of Sciences 10.1073/pnas.1213639109, 2012

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