Leben auf der Venus: Schnödes Schwefeldioxid statt aufregendes Phosphin?
Im September 2020 hatte ein Team behauptet, auf der Venus gebe es Phosphin. Die Forscherinnen und Forscher berichteten, die spektrale Signatur des Gases in Teleskopdaten entdeckt zu haben. Da manche dies als Zeichen für mögliches Leben deuteten – Organismen, die zwischen den Venuswolken treiben, könnten das Gas freisetzen –, war die Aufregung entsprechend groß, auch wenn es sofort Zweifel gab.
Seitdem haben mehrere Studien den Bericht in Frage gestellt, wenn auch nicht vollständig widerlegt. Die Autorinnen und Autoren wiederum haben zwischenzeitlich eingeräumt, es habe »Fehler in der ursprünglichen Verarbeitung der ALMA-Observatoriumsdaten gegeben, die der Arbeit in diesem Artikel zu Grunde liegen, und dass die Rekalibrierung der Daten einen Einfluss auf die Schlussfolgerungen hat, die gezogen werden können«, wie in einer Notiz zum Paper zu lesen ist.
Nun hat ein anderes Team von Wissenschaftlern die bisher größte Kritik veröffentlicht. »Was wir auf den Tisch bringen, ist ein umfassender Blick, eine andere Möglichkeit, diese Daten zu erklären«, sagt Victoria Meadows, eine Astrobiologin an der University of Washington in Seattle, die an den neuen Studien mitgewirkt hat. Beide Arbeiten wurden zur Veröffentlichung von den »Astrophysical Journal Letters« angenommen und am 26. Januar 2021 auf dem Preprint-Server »arXiv« veröffentlicht.
Eine alternative Erklärung ist Schwefeldioxid
In der einen Studie analysierten Meadows und ihre Kollegen Daten von einem der Teleskope, die für die Phosphin-Behauptung verwendet wurden. Sie konnten die spektrale Signatur des Gases nicht entdecken. In der anderen berechneten die Wissenschaftler, wie sich Gase in der Venusatmosphäre verhalten würden, und kamen zu dem Schluss, dass das, was das ursprüngliche Team für Phosphin hielt, in Wirklichkeit Schwefeldioxid (SO2) ist. Das Gas kommt auf der Venus häufig vor und ist kein Zeichen für mögliches Leben.
»Das macht die ganze Debatte über Phosphin und mögliches Leben in der Venusatmosphäre ziemlich irrelevant«
Ignas Snellen, Astronom
Die aktuellen Arbeiten zeigten ziemlich deutlich, dass es keine Anzeichen für das Gas gibt, sagt Ignas Snellen, ein Astronom an der Universität Leiden in den Niederlanden, der ebenfalls eine Kritik an der Phosphin-Behauptung veröffentlicht hat. »Das macht die ganze Debatte über Phosphin und mögliches Leben in der Venusatmosphäre ziemlich irrelevant.«
Sie und ihre Kollegen würden die neuen Arbeiten noch durchlesen und sie kommentieren, nachdem sie sie ausgewertet hätten, sagt Jane Greaves. Die Astronomin der Cardiff University, Großbritannien, hat das Team geleitet, das die ursprüngliche Phosphin-Behauptung aufgestellt hat.
Leben auf der Venus zu finden, ist ein Traum vieler
Einige Forscherinnen und Forscher würden sehr gern Phosphin auf der Venus finden. Auf der Erde kann das Gas, das aus einem Phosphoratom und drei Wasserstoffatomen besteht, aus industriellen Quellen wie Begasungsmitteln oder aus biologischen Quellen wie Mikroben stammen. Als sie zum ersten Mal über die Entdeckung von Phosphin auf der Venus berichteten, sagten Greaves und ihre Kollegen, die Existenz könne Leben auf dem Planeten bedeuten, da es keine anderen offensichtlichen Ursprünge für das Gas gebe.
Aber diese Behauptung beruht auf einer Kette von Beobachtungen und Schlussfolgerungen, die andere Wissenschaftlerinnen und Forscher in den vergangenen Monaten immer weiter widerlegt haben.
Greaves' Team hat zunächst das James Clerk Maxwell Telescope (JCMT) auf Hawaii benutzt, um eine Spektrallinie in der Venusatmosphäre bei einer Frequenz von 266,94 Gigahertz zu beobachten – bei dieser absorbieren sowohl Phosphin als auch Schwefeldioxid Licht. Die Wissenschaftler bestätigten die Existenz der Linie mit Hilfe des Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) in Chile. Mit ALMA suchten sie nach anderen Spektrallinien, die sie erwarten würden, wenn die Linie von Schwefeldioxid stammen würde, und fanden sie nicht. Dies, so sagten sie, lege nahe, dass die Linie, die sie bei 266,94 Gigahertz beobachtet hatten, von Phosphin stammte.
Es stellte sich jedoch heraus, dass die ALMA-Daten, die das Team verwendet hatte, vom Observatorium falsch verarbeitet worden waren. Nachdem die Debatte über Phosphin auf der Venus entbrannte, erkannten die Verantwortlichen bei ALMA den Fehler, zogen die Rohdaten zurück, verarbeiteten sie neu und gaben den überarbeiteten Stapel im November frei. Greaves und ihre Kollegen analysierten diese Daten und kamen zu dem Schluss, dass sie immer noch Phosphin sahen – wenn auch auf einem viel niedrigeren Niveau als anfangs berichtet.
Andere Teams konnten die Spektrallinien nicht finden
Diese wiederaufbereiteten ALMA-Daten sind das Herzstück einer der neuen Studien, die diese Behauptung in Frage stellen. Es ist die erste Analyse der wiederaufbereiteten ALMA-Daten, die von einem unabhängigen Team veröffentlicht wurde.
Ein Team, dem auch Meadows angehörte und das von Alex Akins, einem Techniker am Jet Propulsion Laboratory in Pasadena, Kalifornien, geleitet wurde, hat versucht, die Arbeit von Greaves' Gruppe zu wiederholen. Dafür haben die Forscherinnen und Forscher die neu aufbereiteten Daten analysiert, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden waren. Aber das Team konnte die Spektrallinie von Phosphin nicht beobachten. »Wir waren einfach nicht in der Lage, sie zu sehen«, sagt Akins.
»Es gibt genug Spielraum«
Victoria Meadows, Astrobiologin
In der zweiten Studie haben die Autorinnen und Autoren das 266,94-Gigahertz-Merkmal aus Perspektive des JCMT untersucht. Andrew Lincowski, ein Astronom an der University of Washington, leitete Meadows, Akins und andere bei der Modellierung der Struktur der Venusatmosphäre in verschiedenen Höhenlagen an. Sie fanden heraus, dass die JCMT-Beobachtung am besten durch Schwefeldioxid in mehr als 80 Kilometer Höhe über der Planetenoberfläche erklärt werden kann. Also nicht durch Phosphin in 50 bis 60 Kilometer Höhe über der Oberfläche, wie Greaves' Team behauptete.
Ohne neue Daten kein endgültiges Ergebnis
Trotzdem ist der Fall noch nicht abgeschlossen. Die neuen Studien liefern Argumente dafür, dass es kein Phosphin gibt. Aber sie schließen die Existenz auch nicht vollständig aus. »Es gibt genug Spielraum«, sagt Meadows.
Letztendlich könne die Debatte nur mit neuen Beobachtungen der Venus beendet werden, sagt Akins. Viele seien in den kommenden Monaten und Jahren geplant. »Bis wir etwas Neues sehen, wird es wahrscheinlich nur hin- und hergehen.«
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