Meeresbiologie: Leben ohne Mund, Magen und Darm
Zahlreiche Pflanzen und Tiere - einschließlich des Menschen - werden von Mikroorganismen besiedelt, die nützliche Aufgaben für ihre Wirte übernehmen. Wer einen genaueren Blick auf deren Erbgut werfen will, steht vor einem Problem: Einzeln sind sie meist nicht kultivierbar. Gleich vier auf einen Streich erledigten daher nun Bremer Mikrobiologen.
Olavius algarvensis ist ein mariner Oligochaet (Wenigborster), der in den oberen zwanzig Zentimetern im sandigen Meeresboden der flachen Küstengewässer vor der Mittelmeerinsel Elba lebt. Der Wurm ist anatomisch gesehen etwas Besonderes: Er hat nicht nur sein Verdauungssystem komplett reduziert – besitzt also weder Mund, Magen noch Darm –, sondern verzichtet auch auf nierenähnliche Organe (Nephridien).
Während die Reduktion des Verdauungssystems als Anpassung an symbiontische Mikroorganismen auch von anderen Tieren bekannt ist, sind darmlose Oligochaeten die einzige bekannte Wirtsgruppe, die auch ihre Ausscheidungssysteme reduziert haben. Für den Wurm bedeutet dies, dass alle Prozesse, die mit Nahrungsaufnahme und Abfallentsorgung zu tun haben, von seinen Symbionten erledigt werden müssen.
An diesem wunderbaren Beispiel für "Outsourcing" von Energiegewinn und Abfallentsorgung wollten Nicole Dubilier und ihre Mitarbeiter aus der Symbiosegruppe vom Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie in Bremen herausfinden, wie diese wesentlichen Wirtsaufgaben an die Symbionten ausgelagert werden konnten. Eine Symbiose detailliert zu untersuchen, ist oftmals eine besondere Herausforderung, da sich die meisten symbiontischen Mikroorganismen nicht isoliert züchten lassen.
In der klassischen Genomanalyse sequenziert man die Erbsubstanz einer bestimmten Art mit Hilfe etablierter Methoden, und jedes Jahr publizieren Wissenschaftler in Datenbanken hunderte verschiedener Genome. Der klassische Ansatz funktioniert jedoch nicht bei einem Gemisch von verschiedenen Organismen, denn die Zuordnung der Sequenzen ist nicht klar erkennbar.
Dieses Problem lässt sich an einem Beispiel aus der Textanalyse veranschaulichen: Man stelle sich vor, die Bücher verschiedener Autoren seien hoffnungslos durcheinander geraten. Die Texte liegen nur noch in Bruchstücken vor. Aufgabe ist es nun, die ursprünglichen Werke wiederherzustellen. Da jeder Autor einen anderen Schreibstil bevorzugt, kann man die Ursprungstexte mithilfe einer statistischen Analyse der Bruchstücke rekonstruieren. Im Genom-"Text" gibt es jedoch nur die vier verschiedene Buchstaben A, G, C und T. Und diese Buchstaben hängen ohne "Punkt" und "Komma" aneinander.
Hanno Teeling aus der Arbeitsgruppe Mikrobielle Genomik gelang es nun, mit einem neuen mathematischen Algorithmus, einem Binning-Verfahren, dieses Problem zu lösen. Die relativen Häufigkeiten aller 64 möglichen Dreiergruppen von A, G, C und T, aller 256 möglichen Viererkombinationen der Bausteine und die Häufigkeit von G und C innerhalb eines genormten Genomabschnitts unterscheiden sich deutlich je nach Organismenart.
Damit ließen sich die Bruchstücke in einzelne Untergruppen, so genannte Bins, differenzieren. Die Fragmente konnten zusammengesetzt, gelesen und somit die einzelnen Genome rekonstruiert werden. Nun hatten die Forscher den Schlüssel in der Hand, um die jeweiligen Stoffwechsel der Symbionten zu rekonstruieren und zu zeigen, welche Stoffwechselwege je nach Umwelteinfluss aktiviert werden können.
Das Ergebnis: Zwei Schwefelbakterien (Gammaproteobakterien) und zwei Sulfatreduzierer (Deltaproteobakterien) kommen gemeinsam in dem Wurm vor. Die Sulfatreduzierer produzieren reduzierte Schwefelverbindungen, welche die Schwefeloxidierer als Energiequelle verwenden können. So füttern sich die Symbionten in einem syntrophen Schwefelzyklus gegenseitig.
Überraschenderweise können alle vier Symbionten wie Pflanzen Kohlendioxid fixieren – der Wurm hat sich also ein regelrechtes endosymbiotisches Kraftwerk zugelegt. An der Zersetzung von giftigen Stoffwechselendprodukten wie Harnstoff und Ammonium sind auch alle vier Symbionten beteiligt und tragen damit zum Recycling von wertvollem Stickstoff bei.
"Der kleine Wurm macht vor, wie begrenzte Ressourcen durch das Zusammenwirken von aufeinander abgestimmten Mikrobengemeinschaften auf kleinstem Raum effizient genutzt werden können", sagt Nicole Dubilier. So könnte die Olavius-Symbiose ein Modell für eine sich nahezu selbst erhaltende Biosphäre sein. Vergleichbare Systeme im größeren Maßstab werden intensiv erforscht, um zum Beispiel längere interplanetare Raumfahrten wie die geplante Reise zum Mars bewältigen zu können.
Während die Reduktion des Verdauungssystems als Anpassung an symbiontische Mikroorganismen auch von anderen Tieren bekannt ist, sind darmlose Oligochaeten die einzige bekannte Wirtsgruppe, die auch ihre Ausscheidungssysteme reduziert haben. Für den Wurm bedeutet dies, dass alle Prozesse, die mit Nahrungsaufnahme und Abfallentsorgung zu tun haben, von seinen Symbionten erledigt werden müssen.
An diesem wunderbaren Beispiel für "Outsourcing" von Energiegewinn und Abfallentsorgung wollten Nicole Dubilier und ihre Mitarbeiter aus der Symbiosegruppe vom Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie in Bremen herausfinden, wie diese wesentlichen Wirtsaufgaben an die Symbionten ausgelagert werden konnten. Eine Symbiose detailliert zu untersuchen, ist oftmals eine besondere Herausforderung, da sich die meisten symbiontischen Mikroorganismen nicht isoliert züchten lassen.
Wenn der Blick aufs Einzelne nicht gelingt, versucht man es eben mit dem Ganzen: Die so genannte Metagenomanalyse ermöglicht, die Einzel-Genome verschiedener Organismen zu isolieren, ohne die Organismen selbst zu isolieren. Doch wie lässt sich das Gemisch an Genomen aus der Umweltprobe einzelnen Arten zuordnen?
In der klassischen Genomanalyse sequenziert man die Erbsubstanz einer bestimmten Art mit Hilfe etablierter Methoden, und jedes Jahr publizieren Wissenschaftler in Datenbanken hunderte verschiedener Genome. Der klassische Ansatz funktioniert jedoch nicht bei einem Gemisch von verschiedenen Organismen, denn die Zuordnung der Sequenzen ist nicht klar erkennbar.
Dieses Problem lässt sich an einem Beispiel aus der Textanalyse veranschaulichen: Man stelle sich vor, die Bücher verschiedener Autoren seien hoffnungslos durcheinander geraten. Die Texte liegen nur noch in Bruchstücken vor. Aufgabe ist es nun, die ursprünglichen Werke wiederherzustellen. Da jeder Autor einen anderen Schreibstil bevorzugt, kann man die Ursprungstexte mithilfe einer statistischen Analyse der Bruchstücke rekonstruieren. Im Genom-"Text" gibt es jedoch nur die vier verschiedene Buchstaben A, G, C und T. Und diese Buchstaben hängen ohne "Punkt" und "Komma" aneinander.
Hanno Teeling aus der Arbeitsgruppe Mikrobielle Genomik gelang es nun, mit einem neuen mathematischen Algorithmus, einem Binning-Verfahren, dieses Problem zu lösen. Die relativen Häufigkeiten aller 64 möglichen Dreiergruppen von A, G, C und T, aller 256 möglichen Viererkombinationen der Bausteine und die Häufigkeit von G und C innerhalb eines genormten Genomabschnitts unterscheiden sich deutlich je nach Organismenart.
Damit ließen sich die Bruchstücke in einzelne Untergruppen, so genannte Bins, differenzieren. Die Fragmente konnten zusammengesetzt, gelesen und somit die einzelnen Genome rekonstruiert werden. Nun hatten die Forscher den Schlüssel in der Hand, um die jeweiligen Stoffwechsel der Symbionten zu rekonstruieren und zu zeigen, welche Stoffwechselwege je nach Umwelteinfluss aktiviert werden können.
Das Ergebnis: Zwei Schwefelbakterien (Gammaproteobakterien) und zwei Sulfatreduzierer (Deltaproteobakterien) kommen gemeinsam in dem Wurm vor. Die Sulfatreduzierer produzieren reduzierte Schwefelverbindungen, welche die Schwefeloxidierer als Energiequelle verwenden können. So füttern sich die Symbionten in einem syntrophen Schwefelzyklus gegenseitig.
Überraschenderweise können alle vier Symbionten wie Pflanzen Kohlendioxid fixieren – der Wurm hat sich also ein regelrechtes endosymbiotisches Kraftwerk zugelegt. An der Zersetzung von giftigen Stoffwechselendprodukten wie Harnstoff und Ammonium sind auch alle vier Symbionten beteiligt und tragen damit zum Recycling von wertvollem Stickstoff bei.
"Der kleine Wurm macht vor, wie begrenzte Ressourcen durch das Zusammenwirken von aufeinander abgestimmten Mikrobengemeinschaften auf kleinstem Raum effizient genutzt werden können", sagt Nicole Dubilier. So könnte die Olavius-Symbiose ein Modell für eine sich nahezu selbst erhaltende Biosphäre sein. Vergleichbare Systeme im größeren Maßstab werden intensiv erforscht, um zum Beispiel längere interplanetare Raumfahrten wie die geplante Reise zum Mars bewältigen zu können.
© Max-Planck-Gesellschaft
Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) ist eine vorwiegend von Bund und Ländern finanzierte Einrichtung der Grundlagenforschung. Sie betreibt rund achtzig Max-Planck-Institute.
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