Uralte Mikroben: Lebenszeichen von einer fremden Welt
Die globale Erwärmung bringt auch Geschenke: An der Westküste Grönlands befreite sie die ältesten eindeutigen Lebensspuren aus einem Schneefeld im Schatten der grönländischen Eiskappe. Die als versteinerte Bakterienkolonien interpretierten Formen, die das Team um Allan Chivas von der University of Wollongong in den frisch vom vorher ganzjährig dort liegenden Schnee befreiten Schichten der Isua-Formation fand, sind etwa 3,7 Milliarden Jahre alt – damit stammt der Fund aus dem frühen Archaikum, einer turbulenten Epoche am Beginn der Erdgeschichte, die bisher als wenig lebensfreundlich galt.
Die eigentliche Sensation allerdings ist das Ausmaß der Funde: Bis zu vier Zentimeter groß sind die kissen- oder zipfelmützenförmigen Strukturen, die das australische Team mit guten Argumenten als Bakterienkolonien identifiziert. Damit sind sie etwa 200 Millionen Jahre älter als die ältesten bisher bekannten Fossilien – Überreste von Bakterienmatten, die vor einigen Jahren in Australien auftauchten.
Leben schon in früher Vorzeit
Die Funde von Isua bezeichnet man als Stromatolithen: aus Schichten aufgebaute Kolonien von vermutlich Zyanobakterien oder ähnlichen Organismen, die sich im flachen Wasser bilden. Vor etwa 1,5 Milliarden Jahren waren diese Formationen die Herrscher der Erde: Sie bedeckten ganze Kontinentalschelfe und wurden Hunderte Meter hoch. Die unscheinbaren Formen von Isua sind wohl Urahnen dieser Gebilde. Die Funde der australischen Arbeitsgruppe dürften die Diskussion um die Existenz von Leben schon in dieser frühen Phase der Erdgeschichte beenden, vermuten Fachleute. »Manche Leute werden die biogene Natur dieser Strukturen anzweifeln, aber ich finde die Daten überzeugend«, schreibt auch William F. Martin, Mikrobiologe und Evolutionsforscher an der Universität Düsseldorf.
Dass so alte Spuren überhaupt erhalten bleiben, grenzt an ein Wunder: Gesteine, die deutlich älter sind als drei Milliarden Jahre, gibt es nur noch an wenigen Orten der Erde. Sämtliches andere Gestein – und fast alle Überreste alten Lebens darauf – gerieten während seiner langen Existenz irgendwann in den Kollisionsbereich zweier Erdplatten und wurden dabei tief in die Erde gedrückt, gefaltet und zur Unkenntlichkeit zerschmolzen. Auch die Gesteine in Isua sind einst erhitzt und durchgewalkt worden, doch in Teilen der Region, speziell im Nordosten nahe der Eiskappe, findet man noch Gesteine, die sich an der Oberfläche bildeten und weitgehend ihre Struktur bewahrt haben. Zu ihnen gehört die nur 30 mal 70 Meter große Lacuna-Zone, die nicht durch Scherkräfte und Kristallbildung zerstört wurde – dort fand das Team in nur schwach chemisch veränderten Flachwassersedimenten nun die mutmaßlichen Fossilien.
Auch andere bisher umstrittene Lebensspuren gewinnen durch den neuen Fund an Glaubwürdigkeit. Frühere geochemische Studien ergaben, dass Kohlenstoffreste in der Isua-Formation und anderen uralten Sedimenten einen relativen Mangel an dem schweren Kohlenstoffisotop 13C aufweisen. Diese Signatur gilt bei jüngeren Proben als klares Indiz dafür, dass Lebewesen einst leichten Kohlenstoff angereichert haben.
Ist Leben zwangsläufig?
Ohne klare Lebensspuren aus dem frühen Archaikum war dieser Zusammenhang äußerst spekulativ, doch nun werden Fachleute auch Funde wie die ungewöhnlich leichten Graphitreste in über vier Milliarden Jahre alten Zirkonen in Südafrika neu bewerten. Die Stromatolithen von Isua waren bereits das Produkt einer langen Entwicklung. »Stromatolithen interpretiert man gewöhnlich als Fotosynthese treibende Gemeinschaften«, erklärt William Martin. Die ersten Lebensformen ernährten sich jedoch wohl von energiereichen anorganischen Substanzen: Nach einer jüngst veröffentlichten Analyse von Martin und seinem Team basierte der Stoffwechsel des letzten gemeinsamen Vorfahren aller heutigen Lebewesen auf Kohlendioxid und Wasserstoff in heißen untermeerischen Quellen. Erst nach dem ältesten, auf geochemische Energie angewiesenen Leben, das legen die Untersuchungen nun nahe, entstand dann wohl binnen überraschend kurzer Zeit irgendeine Form der Fotosynthese, so Martin.
Damit könnte der Befund von Chivas und seinem Team sogar über die Grenzen unseres Planeten hinausweisen: Die Geschwindigkeit, mit der die ersten Organismen auf unserem Planeten erschienen und immer neue Nischen besetzten, deutet möglicherweise an, wie leicht Leben auf erdähnlichen Planeten generell entsteht. Zum Beispiel auf dem Mars – je nachdem, welche Annahmen man über seine Entwicklung macht, hat er möglicherweise für ein paar hundert Millionen Jahre nicht viel anders ausgesehen als die Erde, bevor er zur heutigen Eiswelt wurde. Hätte diese Zeit gereicht, um Leben entstehen zu lassen?
Die unscheinbaren Kolonien von Isua geben jenen Fachleuten, die diese Frage tendenziell mit Ja beantworten, gewichtige Argumente an die Hand. Der Biologe und Nobelpreisträger Christian de Duve bezeichnete Leben als "kosmischen Imperativ" – demnach taucht es recht schnell auf, sobald geeignete Bedingungen existieren. Je weiter neue Erkenntnisse den Ursprung des Lebens in die Frühzeit der Erde zurückschieben, desto glaubhafter werden solche Überlegungen.
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