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Kopfschmerz und Mattigkeit: Leichte Impfnebenwirkungen liegen oft am Nocebo-Effekt

Hinter den gängigsten Nebenwirkungen der Corona-Impfung steckt sehr häufig gar nicht der Impfstoff selbst, sondern die unbewusste Erwartung. Das zeigt eine neue Auswertung.
Ein Pflaster klebt auf einem Arm nach einer Impfung

Bis zu drei Viertel aller leichten Nebenwirkungen nach einer Corona-Impfung lassen sich durch den Nocebo-Effekt erklären: Die Erwartung von Schmerz oder Unwohlsein führt dazu, dass sich beides tatsächlich einstellt. Es ist das Pendant zum Placeboeffekt, bei dem die Betroffenen eine Besserung erwarten.

Das ist das Ergebnis einer systematischen Auswertung von zwölf Studien, in denen gängige Corona-Impfstoffe erprobt wurden. Solche Studien eignen sich hervorragend, um das Wirken des Nocebo-Effekts zu beobachten. Denn nach dem vorgeschriebenen Verfahren bekommt in diesen Studien immer nur die Hälfte der Probanden den echten Impfstoff injiziert – die andere Hälfte, die Kontrollgruppe, erhält zum Vergleich eine Salzlösung in den Arm. In welcher Gruppe sie sind, wissen die Teilnehmenden nicht.

Eine Forschergruppe um Julia W. Haas vom Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston hat nun verglichen, wie oft bei den tatsächlich geimpften Probanden leichte Nebenwirkungen auftraten und wie oft die bloß scheinbar geimpften Probanden über Nebenwirkungen klagten.

Am deutlichsten trat der Nocebo-Effekt nach der ersten Impfdosis auf. 46 Prozent der tatsächlich Geimpften hatten so genannte systemische Nebenwirkungen wie Müdigkeit oder Kopfschmerzen gemeldet und 35 Prozent der scheinbar Geimpften. Aus dem Verhältnis der beiden Zahlen errechnet sich das Ausmaß des Nocebo-Effekts.

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Demzufolge errechneten Haas und Kollegen, dass rund 76 Prozent der gemeldeten Nebenwirkungen auf ihn zurückzuführen sind. »Lokale Nebenwirkungen« an der Einstichstelle werden dagegen seltener durch den Nocebo-Effekt ausgelöst. Er scheint laut den Daten nur hinter 24 Prozent der gemeldeten Schmerzen im Arm nach der ersten Impfung zu stecken.

Nach der zweiten Impfdosis war der Nocebo-Effekt weniger stark ausgeprägt, offensichtlich deshalb, weil bei der Zweitimpfung statistisch häufiger Nebenwirkungen vorkommen. So klagten mit 32 Prozent zwar fast genauso viele Kontrollgruppenpatienten über Beschwerden wie beim ersten Durchlauf, bei den tatsächlich Geimpften dagegen 61 Prozent. Dementsprechend lässt sich nach der zweiten Dosis lediglich die Hälfte der Nebenwirkungen mit dem Nocebo-Effekt erklären und nicht mehr drei Viertel wie nach dem ersten Impftermin.

Alle Ergebnisse hat die Forschergruppe in der Fachzeitschrift »JAMA Network Open« veröffentlicht. Ein wichtiger Auslöser für den Nocebo-Effekt ist das Wissen, dass nach einer Impfung entsprechende Beschwerden häufig auftreten können – mit dieser Information wird schließlich jeder Impfwillige im Vorgespräch konfrontiert. Würden die nocebobedingten Nebenwirkungen seltener werden, wenn man den Patienten diese Information vorenthalten würde? In einer Pressemitteilung warnt der Leiter der Forschungsgruppe Ted Kaptchuk vor einem solchen Vorgehen als ethisch nicht vertretbar: »Die Medizin baut auf Vertrauen«, wird Kaptchuk darin zitiert. Die Öffentlichkeit über das Wirken des Nocebo-Effekts aufzuklären, könne allerdings helfen, eine verbreitete Scheu vor der Corona-Impfung zu verringern.

Die schweren, aber selteneren Nebenwirkungen, die im Zusammenhang mit einigen Covid-19-Impfstoffen beobachtet wurden, hat die Gruppe nicht untersucht. Herzmuskelentzündungen oder Blutgerinnungsstörungen, die vereinzelt nach Impfungen auftraten, werden nicht vom Nocebo-Effekt ausgelöst.

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