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Zoologie: Leih mir Deine Stimme

Seine fünf Sinne bei sich zu haben, empfiehlt sich fast immer für fast alle Lebewesen. Das gilt auch für vermeintliche Ausnahmen: Blinder Maulwurf oder stummer Fisch kompensieren ihre sensorischen Unzulänglichkeiten durch andere Talente. Ein besonders elegantes dieser Talente ist wohl die Fähigkeit, Aufgaben an andere delegieren zu können, wie ein paar kurzsichtige Echsen beweisen.
Der Galapagos-Leguan <i>Amblyryhynchus cristatus</i>
Einen Feind zu haben ist das größte Geschenk, denn oft ist er unser bester Lehrmeister – ein buddhistischer Sinnspruch, der gut auch ein biologischer Lehrsatz sein könnte. Die Evolution verfährt seit Urzeiten genau nach diesem Prinzip: Sie entlarvt Schwächen, merzt diese aus und hebt den Qualitäts-Durchschnitt der Gesamtheit. Zugegeben, manchmal ist sie dabei etwas gründlich und beerdigt mitleidslos gleich eine einzigartige Spezies, eine ganze Artenfamilie oder einen ganzen Organismenstamm. Bislang entstand dabei aber parallel oft etwas, das irgendwie etwas hochwertiger war als sein Vorgänger in der selben Nische der Welt.

Am Tag ohne Konkurrenz: Der Galapagos-Bussard Buteo galapagoensis | Der Galapagos-Bussard Buteo galapagoensis muss sich um Greifvogelkonkurrenz wenig Sorgen machen – nur nachts jagt auch die Sumpfohreule auf dem Archipel.
Auf den Galapagos-Inseln hat der schlimmste Feind und damit beste Freund der örtlichen Leguane Flügel, einen scharfen, spitzen Beutegreifer-Schnabel, großen Appetit auf Echsenfleich und heißt Buteo galapagoensis: der Galapagos-Bussard. Genau 2,1-Mal pro Tag stürzte sich, wie Naturbeobachter skrupulös dokumentierten, an der Südostküste der Santa-Fe-Insel des Archipels zwischen den Jahren 2000 und 2005 ein hungriger Bussard auf eine Echse.

Einzelne heimische Amblyryhynchus-cristatus-Leguane haben solchen Luftangriffen kaum etwas entgegenzusetzen. Oft bemerken die Tiere ihren Feind nicht einmal, bis es zu spät ist: Es mangelt gewaltig an der Fähigkeit zur Luftaufkärung, den kurzsichtigen Meerechsen fehlt schlicht der Überblick über das wellige Terrain ihrer Heimat. So bleibt einer Gruppe meist nur, auf Einzelschicksale keine Rücksicht zu nehmen, es dem anfliegenden Feind schwer zu machen, indem die zusammengerottete Bodenformation schnell aufgelöst wird – und zu hoffen.

Selbst diese kollektive Verlustminimierungstaktik muss aber koordiniert sein, womit die nächste Schwäche der Echsen offenbar wird, die der schnellen innerartlichen Kommunikation: Warnrufe wie "Achtung, Bussard von links" kennen die stummen Tiere genauso wenig wie sonst irgendein Lautsignal. Angesichts der resultierenden Wehrlosigkeit fast verwunderlich, dass Leguane überhaupt noch existieren, staunten Maren Vitousek von der Princeton-Universität und ihre Kollegen und machte sich auf die Suche nach dem Geheimnis der Echsen.

Eine Gruppe von Galapagos-Leguanen | So dicht sitzen die Meerechsen nur, bis Alarmrufe der Galapagos-Spottdrossel Nesomimus parvulus sie vor Gefahren aus der Luft warnt. Die Echsen sind damit die ersten Tiere ohne eigene akustische Kommunikation, die nachweislich Warnlaute von anderen Arten sinnvoll interpretieren.
Zunächst warfen sie einen Blick auf einen Leidensgenossen der Leguane, Nesomimus parvulus. Auch die Galapagos-Spottdrossel wird von den Bussarden bejagt, hat aber zum einen als guter Flieger einen hervorragenden Überblick und zum anderen als lautstarke Kommunikatorin im Falle eines Falles einen schrillen Warnruf an die Artgenossen im Repertoir. Vielleicht, so spekulierten die Forscher, nutzt dieser Alarmschrei im Angesicht der Gefahr nicht nur den Vögeln?

Vitouseks Team nahm Warnruf und normales Gezwitscher der Drosseln auf Tonband auf und installierte ein ausgeklügeltes Soundsystem im Wohnzimmer von Echsen, Sing- und Greifvögeln. Schließlich jagten sie über die friedlich dösenden Leguanengrüppchen hinweg unterschiedliche Rufe der Drosseln durch die Boxen und dokumentierten die jeweilige Reaktion. Das Ergebnis war eindeutig: Schrille Alarmschreie inspirierten Leguane deutlich häufiger zu ihrem typischen Luftangriffsabwehrverhalten, dem hektischen Auseinanderlaufen der Gruppe; gleichlauter Gesang reizte die Echsen im Vergleich dazu gar nicht.

Damit, so die Wissenschaftler stolz, sei erstmals ein Tier enttarnt worden, das selbst nicht akustisch kommuniziert, gleichzeitig aber die auditorischen Signale anderen Arten in seiner Umwelt sinnvoll interpretiert und als Information nutzt. Die cleveren Echsen bürden damit einem gemeinsamen Leidensgenossen die energetischen Kosten auf, sich um ein Abwehrsystem zu kümmern, und nutzen dessen Vorteile dann für sich: Das macht schmerzhafte eigene Lerneffekt durch den besten Feind überflüssig. Zwar funktioniert das nur in Gegenwart der Drosseln – die aber sind im Lebensraum der Leguane im Normalfall ja stets vorhanden.

Bleibt eigentlich nur zu klären, ob die einzelnen Leguane erst mit der Zeit lernen, dass Warnrufe der Vögel mit Gefahr einhergehen – oder ob diese Reaktion schon bei naiven Jungechsen fest verdrahtet ist. Ein paar weitere Saisons Leguan-Beobachtung und -Beschallung im lauschigen Archipel sollen die Wahrheit ans Licht bringen.

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