Nutztierzucht: »Leihväter« produzieren nur noch fremdes Sperma
Eine Leihmutter bekommt die (befruchtete) Eizelle eines anderen Weibchens eingesetzt, ein »Leihvater« das Sperma eines anderen Männchens. Ob sich tatsächlich solche Tiere erzeugen lassen, die bei der Begattung ausschließlich das Sperma anderer Männchen weitergeben, haben nun Wissenschaftler um Jon Oatley von der Washington State University untersucht. Wie sie in ihrer Veröffentlichung im Fachblatt »PNAS« schreiben, gelang es ihnen, bei Rindern, Ziegen und Schweinen solche Leihvater-Männchen Wirklichkeit werden zu lassen.
Das Verfahren ist zweischrittig. Im ersten Schritt schalteten Oatley und Kollegen bei den Männchen noch im Embryonalzustand ein Gen bei den künftigen Leihvätern aus. Das Gen mit dem Namen NANOS2 ist für die Ausbildung von Spermazellen erforderlich. Ohne es wuchsen die Männchen zu normalen Bullen, Böcken oder Ebern heran, die jedoch in ihren Hoden keinerlei Spermien produzieren. Im zweiten Schritt transplantierten ihnen die Wissenschaftler dann die für die Spermienproduktion erforderlichen Stammzellen, die sie einem anderen Männchen entnahmen. Wie erhofft, stellten zumindest einige der so behandelten Tiere anschließend Spermien her, welche das Erbgut des fremden Stammzellspenders trugen.
Ob diese Tiere damit auch fruchtbar sind und Nachwuchs produzieren, ist offen. Bislang haben die Wissenschaftler entsprechende Paarungsexperimente nur mit Mäusen durchgeführt – und dort offenbar weitgehend erfolgreich: Die Nagetiere konnten mit dem fremden Sperma Nachkommen zeugen.
Was Nutztiere angeht, ist das Verfahren somit weit entfernt von jeglicher Anwendungsreife. Beispielsweise wuchsen die transplantierten Stammzellen nicht in jedem Fall an. Möglicherweise hat der Knockout des Gens NANOS2 auch andere, schwer wiegende Folgen für Gesundheit und Paarungsbereitschaft der Leihväter, die sich bislang noch nicht zeigten. Doch sollten sich solche Anlaufschwierigkeiten beheben lassen, hätte die Tierzucht eine gänzlich neue Methode in ihrem Arsenal.
Allerdings ist selbst dann nicht davon auszugehen, dass künftig nur noch Leihväter in den Ställen der Welt stehen. So vergleicht etwa Björn Petersen vom Institut für Nutztiergenetik (ING), Friedrich-Loeffler-Institut, die Methode auf Grund ihrer Komplexität mit dem Klonen. Ein Einsatz biete sich am ehesten bei Tieren mit hohem genetischem Zuchtwert an, sagte er auf Nachfrage des Science Media Center, zum Beispiel im Pferdesport und dort »vor allem bei wertvollen Zuchttieren, die aus medizinischen Gründen aus der Zucht ausscheiden und die auf Grund des Sporteinsatzes kastriert werden«.
Auch Jens Tetens vom Department für Nutztierwissenschaften an der Georg-August-Universität Göttingen sieht nur einen beschränkten Nutzen der Methode: »Gerade in der Milchrinderzucht, in der künstliche Besamung Standard und Sperma bestimmter Vatertiere im Prinzip weltweit verfügbar ist, stellt sich die Frage nach dem zusätzlichen Nutzen der Methode. Zudem birgt die noch stärkere Fokussierung auf einzelne Bullen die Gefahr steigender Inzucht.«
Rein theoretisch erlaubt die Technik es aber, das Erbgut eines Männchens extrem stark zu vervielfältigen. Seine Sperma erzeugenden Stammzellen lassen sich im Labor beliebig oft vermehren und dadurch beliebig vielen Leihvätern einpflanzen. Vom Grundsatz her wäre es auch möglich, das Erbgut in den Stammzellen zu verändern und so die Eigenschaften des Nachwuchses weiter zu optimieren. Die Leihväterkonzepte für Nutztiere würden sich stark an der Pflanzenzüchtung orientieren, sagte Christa Kühn vom Leibniz-Institut für Nutztierbiologie in Dummerstorf dem Science Media Center, »wobei aus meiner Sicht das Tier nur noch als gegebenenfalls zu editierender Bestandteil eines Systems, aber nicht mehr als Individuum wahrgenommen wird«.
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