Trickreiche Infektionserreger: Lepra drückt den Reset-Knopf von infizierten Zellen
Der Lepraerreger Mycobacterium leprae ist trickreich: Als intrazelluläres Bakterium versteckt er sich vor den Attacken des Immunsystems möglichst bald nach der Infektion in den so genannten schwannschen Zellen, die sich als spezialisierte Unterstützung in Form der Myelinschicht um die Nerven im peripheren Nervensystem wickeln. Dort bleibt der Erreger aber oft nicht für immer. Gerade bei lang andauerndem, chronischem Krankheitsverlauf schaffen es die Eindringlinge bis in das Muskelgewebe der Betroffenen – eine Ortsveränderung, auf die Mediziner sich lange überhaupt keinen Reim machen konnten. Nun sind japanische Forscher dem raffinierten Mechanismus auf die Spur gekommen, mit dem die Lepra sich den Weg vom Nerv zum Muskel bahnt: Das Bakterium kann die Nervenzelle offenbar in eine Art Stammzelle zurückprogrammieren, die dann eine Karriere als Muskelzelle beginnt.
Die Forscher um Anura Rambukkana von der Rockefeller University in New York haben sich die Entwicklung genau angesehen, die die von Leprabakterien infizierten schwannschen (oder Glia-)Zellen des Nervensystems durchlaufen. Es war bereits bekannt, dass schon ein erster Kontakt mit den Bakterien diese Zielzellen verändert. Zunächst werden dabei vor allem ihre Zellhüllen durchlässiger für die anklopfenden Keime, gleichzeitig aber beginnt die angegriffene Zelle auch schon damit, verschiedene Signale auszuschütten, die eine Dedifferenzierung einleiten – also die spezialisierten Zellen in einen jugendlicheren Zustand überführen, in dem sie breiteres Entwicklungspotenzial haben. So können die Zellen erst nach der Rückentwicklung in viel unreifere Gliazellen zum Beispiel wieder neue Myelinschichten um Nervenzellen bilden. Damit entstehen dann auch neue Angriffsziele und Rückzugsräume für den sich vermehrenden Lepraerreger.
Tatsächlich geht diese unter dem Einfluss der Bakterien eingeleitete Reprogrammierung aber offenbar noch viel weiter, berichten Rambukkana und Kollegen nun. Denn wenn die Gliazellen chronisch, also über einen langen Zeitraum hinweg, infiziert werden, verlieren sie sogar die wesentlichen Kennzeichen einer Zelle des Nervensystems. Stattdessen werden sie zu mesenchymalen Stammzellen – einem vielseitigen Typus, der sich nun wieder in allerlei unterschiedliche Zellsorten weiterentwickeln kann. Nach einiger Zeit beginnen die leprainfizierten Ex-Gliazellen schließlich mit einem für Nervenzellen unerhörten Verhalten: Sie vermehren sich, beginnen zu wandern und integrieren sich als Muskelzellen im Muskelgewebe. Zudem schütten die Zellen auch Immunsignale aus, die Makrophagen des Abwehrsystems anlocken – einen weiteren Zelltyp, der dann von den Lepraerregern angegriffen und übernommen wird.
Für Mediziner wird durch die Studie der Mechanismus deutlich, über den chronische Erreger es aus ihrem Stammgebiet, dem peripheren Nervensystem, nach und nach in die Muskeln und den gesamten Körper schaffen. Noch spannender wäre womöglich, die genetischen oder epigenetischen Manipulationen aufzudröseln, mit denen Mycobacterium differenzierte Spezialzellen in einen stammzellähnlichen Zustand zurückversetzt. Eine Hauptrolle scheint jedenfalls der Transkriptionsfaktor Sox10 zu spielen, wie die Forscher ermittelten: Die Infektion sorgt dafür, dass er sehr rasch nicht mehr seiner Tätigkeit als übergeordneter Genregulator im Zellkern nachgehen kann, sondern stattdessen außerhalb des Kerns abgebaut wird. Ohne Sox10 verlieren die Zellen nun ihre Identität. Womöglich reicht es für Lepraerreger schon aus, nur diesen Hauptschalter zum Schweigen zu bringen, um sich dann in und mit den reprogrammierten Zellen weiter ausbreiten zu können.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben