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Tag der Seltenen Erkrankungen: Wettlauf gegen die Prionen

Sonias Mutter starb durch die Prionenkrankheit »tödliche familiäre Schlaflosigkeit«. Als sie erfährt, dass sie selbst auch die Mutation für die seltene Erkrankung trägt, beschließt sie mit ihrem Mann, selbst eine Therapie für die neurodegenerative Krankheit zu erforschen.
Sonia Minikel und Eric Vallabh Minikel im Labor
2011 erfahren Sonia Minikel Vallabh und Eric Vallabh Minikel, dass Sonia eine seltene Mutation in ihrer DNA trägt. Deshalb würde sie mit ziemlicher Sicherheit, wie ihre Mutter kurz zuvor, in einem relativ jungen Alter an einer neurodegenerativen Erkrankung sterben. Das Paar kündigt seine Jobs und beide beschließen, sich künftig nur der Forschung von Prionenerkrankungen zu widmen.

Niemand erwartet, dass ein Ereignis das eigene Leben plötzlich in zwei Hälften teilt. Als wir uns das erste Mal in Sonias Hinterhof in Hermitage, Pennsylvania, trafen, uns verliebten und später genau dort heirateten, hatten wir noch keine Ahnung, dass wir uns gerade in unserem »Vorher«-Leben befanden. Wir hatten nicht die Absicht, unsere Karriere als Juristin und Ingenieur aufzugeben und Jobs in einem völlig anderen Bereich anzunehmen. Wir konnten uns noch nicht vorstellen, von Grund auf eine ganz neue Disziplin zu lernen. Wir malten uns nicht den Tag aus, an dem wir unsere Doktorarbeiten in der biomedizinischen Forschung verteidigen würden – mit Präsentationen, die eine mögliche Behandlung für eine tödliche neurodegenerative Krankheit skizzieren.

Der Tag, an dem sich plötzlich alles änderte, war der 9. Oktober 2011. Sonia erfuhr, dass sie vermutlich eine seltene Mutation in ihrer DNA trug. Deshalb würde sie mit ziemlicher Sicherheit vergleichsweise jung an der Prionenkrankheit »letale familiäre Insomnie« sterben. Ein solches schnell fortschreitendes Hirnleiden tritt auf, wenn ein in Neuronen vorhandenes Protein namens PrP seine Form verändert. Es wird zum so genannten »Prion« (die normale Version des Proteins, PrP oder Prion-Protein, wurde erst nach der verformten Version entdeckt und entsprechend benannt). Kommt ein Prion in Kontakt mit PrP, lagert sich dieses ebenfalls zu einem Prion um. Das stößt eine Kaskade der Proteinfehlfaltung an, die sich im gesamten Gehirn ausbreitet. Der Prozess tötet Nervenzellen mit einer Geschwindigkeit, die jene aller anderen neurodegenerativen Krankheiten übertrifft.

Wenige Wochen später wussten wir, dass Sonia die Mutation tatsächlich geerbt hatte. Zu dem Zeitpunkt begann unsere Mission. Sind wir erfolgreich, wird Sonias Gehirn und das anderer Betroffener gesund und funktionsfähig bleiben, und zwar für Jahre oder Jahrzehnte – hoffentlich ein Leben lang. Scheitern wir, wird Sonia in ihren besten Jahren fast über Nacht von der Krankheit eingeholt werden. Innerhalb weniger Wochen nach dem ersten auffälligen Symptom hätte sie dann bereits verheerende Hirnschäden erlitten.

Mit PrP ist ein einzelnes, offenbar entbehrliches Protein für die Krankheit verantwortlich. Unser Ansatz verfolgt deshalb ein Ziel: seine Menge im Gehirn mit bereits verfügbaren Technologien zu verringern. Ohne gesundes PrP fehlt den Prionen der Treibstoff, der ihre tödliche Ausbreitung ermöglicht. Problematisch bleibt die hohe Geschwindigkeit, mit der die Krankheit fortschreitet. Unsere beste Chance, diesen Kampf zu gewinnen, besteht darin, frühzeitig zu handeln – das heißt, noch bevor die Krankheit entsteht. Eine solche vorsorgliche Therapie ist keine Routine. Normalerweise behandelt man Krankheiten erst, nachdem sie ausgebrochen sind. Seit Sonias Diagnose vor knapp neun Jahren kämpfen wir deshalb jeden Tag dafür, ein neues Paradigma in der Arzneimittelentwicklung zu schaffen: ein viel versprechendes Medikament nicht nur dahingehend zu testen, ob es das Fortschreiten einer Krankheit verlangsamt, sondern auch darauf hin, ob es in der Lage ist, Gehirne länger gesund zu halten.

Die Demenz raubt einem auch den Abschied von einer geliebten Person in der Gegenwart

Monate bevor wir von Sonias Veranlagung erfuhren, hatten wir die Auswirkungen der Krankheit bei ihrer Mutter Kamni miterlebt. Im Februar 2010 ging sie, noch körperlich und geistig fit, zu einem Augenarzt, weil sie verschwommen sah. Als Sonia am 17. März anrief, um ihrer Mutter zum 52. Geburtstag zu gratulieren, konnte Kamni keinen Satz mehr beenden, ohne den Faden zu verlieren. Im Mai sprach sie nur noch Kauderwelsch. Familienmitglieder erkannte sie in weniger als der Hälfte der Fälle. Sie vergaß, dass sie nicht mehr laufen konnte – deshalb stand sie trotz unserer Bemühungen auf, fiel und verletzte sich immer wieder. Ab Juni folgten mehrere Krankenhausaufenthalte. Kamni hielt zwar immer noch Augenkontakt doch sie begann, vor Berührungen zurückzuschrecken. Der Trost, den die Gesellschaft geliebter Menschen ihr einmal geschenkt hatte, wurde durch die ständige Angst vor den medizinischen Eingriffen verdrängt, die bei Anwesenheit anderer Menschen nun oft erfolgten. Im Juli war sie nicht mehr in der Lage, zu sprechen, zu essen oder sich aufzusetzen. In ihrem Gesicht spiegelten sich nur noch Qualen und Angst wider. Sie wehrte sich gegen die Zwangsfixierung am Bett, die sie daran hindern sollte, ihre Magensonde und ihren künstlichen Darmausgang herauszuziehen. Im August wurde sie künstlich beatmet; sie war stumm und reglos. Sie hatte noch immer keine Diagnose.

Die Krise erfasste alle in ihrem Umfeld. Was macht man, wenn jemand mehr Pflege benötigt, als eine Person oder sogar eine ganze Familie leisten kann? Wie sich herausstellte, sind Krankenhäuser in den Vereinigten Staaten nicht dafür zuständig, diese Frage zu beantworten. Nachdem die Ärzte alle Tests durchgeführt und die möglichen Diagnosen verworfen hatten, entließen sie die Patientin nach Hause. Bis die nächste unvermeidliche Komplikation – eine Kopfverletzung oder eine Lungenentzündung – eine Rückkehr rechtfertigte. Der ständige Notfallmodus im Haushalt ließ Rechnungen unbezahlt bleiben, Konten wurden gesperrt, der Strom abgeschaltet. Und wir hatten noch Glück: Von den sich insgesamt auf etwa eine Million Dollar belaufenden Arztrechnungen, die für Kamni in dem Jahr zusammenkamen, bezahlte ihre Krankenversicherung fast alles.

Im Dezember starb sie. Und wir empfanden etwas, von dem wir nie gedacht hätten, dass wir es mit dem Tod eines geliebten Menschen in Verbindung bringen könnten: Erleichterung. Es war kein Abschied, sondern vielmehr die Erkenntnis, dass wir bereits Abschied genommen hatten. Denn auch das raubt einem die Demenz: den Abschied von einer geliebten Person in der Gegenwart.

Ein folgenschwerer Befund

Nach Kamnis Tod versuchten wir langsam, den Schrecken dieser Zeit hinter uns zu lassen. Das Schlimmste kam jedoch erst. Als wir im Oktober 2011 nach Hause kamen, um die Verlobung eines Freundes der Familie zu feiern, verhielt sich Sonias Vater ungewöhnlich still. Sein Schweigen und die schweifenden Blicke führten wir erst auf Trauer, Einsamkeit und anhaltende Erschöpfung zurück. Aber kurz vor unserer Abreise, als wir unsere Koffer in das Auto luden, zog er Sonia beiseite. Er überbrachte die Nachricht, die unser Leben auf den Kopf stellte: Eine Autopsie an Kamni hatte ergeben, dass ihr mysteriöses Leiden die tödliche familiäre Schlaflosigkeit gewesen war, eine genetisch bedingte Prionenerkrankung. Kamnis DNA hatte einen Defekt im Gen für die Produktion von PrP gehabt. Ihre Tochter hatte ein 50-prozentiges Risiko, die Mutation geerbt zu haben. Ende 2011 erfuhren wir, dass Sonia tatsächlich betroffen war. Das bedeutete, dass sie die Prionenkrankheit mit ziemlicher Sicherheit ebenfalls entwickeln würde. Damals war sie 27 Jahre alt.

Fast sofort beschlossen wir, unser Leben der Suche nach einem Heilmittel zu widmen. Wir schrieben uns in eine Abendschule ein, um Biologie zu studieren. Wir gaben unsere früheren Jobs auf, denn wir wollten in der Forschung arbeiten. 2014 begannen wir ein Doktorandenprogramm an der Harvard Medical School. Mittlerweile betreiben wir am Broad Institute of MIT and Harvard in Cambridge, Massachusetts (USA), ein Prionen-Forschungslabor und arbeiten an der Fakultät des McCance Center for Brain Helath. Selbstverständlich haben wir all das nicht auf uns genommen, damit Sonia am Ende zwölf statt sechs Monate in einem Zustand schwerer Demenz lebt. Das Ziel war und ist es, Sonias Gehirn für weitere Jahre oder Jahrzehnte gesund zu halten; im besten Fall wird sie die Krankheit gar nicht entwickeln.

Eine Prionenerkrankung kann sich auf verschiedene Weise äußern. Zu den unterschiedlichen Formen zählen unter anderem die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, die tödliche familiäre Schlaflosigkeit und die bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE oder »Rinderwahn«). Viele dieser Namen entstanden, bevor der Neurologe Stanley B. Prusiner ihren gemeinsamen Erreger, die Prionen, beschrieb (eine Leistung, für die er 1997 den Nobelpreis erhielt). In weniger als einem Prozent der menschlichen Fälle wird eine Prionenkrankheit durch eine Infektion erworben, zum Beispiel durch BSE-kontaminiertes Fleisch. Meistens tritt sie zufällig auf. Dabei nimmt ein PrP-Molekül im Gehirn eines Menschen spontan eine abnorme Form an und löst eine rasch eskalierende Kettenreaktion aus. Im Gegensatz zu solchen »sporadischen« Prionenerkrankungen werden etwa 15 Prozent der Fälle durch Mutationen in PRNP verursacht – dem Gen, das als Bauanleitung für PrP dient. Aus Gründen, die wir noch nicht gänzlich verstehen, machen diese Mutationen eine Fehlfaltung des Proteins viel wahrscheinlicher.

Die meisten Mutationen, die zu einer genetisch bedingten Prionenerkrankung führen, betreffen eine einzige Stelle im Gen PRNP. Im PrP-Protein verändern sie damit eine der 208 Aminosäuren. Seltener erweitert sich ein Segment des Gens um viele Basen-Wiederholungen, was zu einer längeren Version von PrP führt.

In seiner normalen Gestalt besteht etwa die Hälfte des Moleküls hauptsächlich aus »Alpha-Helices« – spiralförmigen Strukturen, die bei vielen Proteinen vorkommen. In seiner Mitte trägt gesundes PrP einen »Anker« aus Zuckermolekülen, der es mit der äußeren Oberfläche der Zellmembran verbindet. Die andere Hälfte des Proteins ist ungeordnet und bildet einen schlaffen Schweif, der in den Raum zwischen den Zellen reicht.

Eine Kette der Umfaltung

Obwohl Wissenschaftler die dreidimensionale Struktur von Prionen nicht vollständig kennen, ist inzwischen klar, dass die fehlgefaltete Form mehr »Beta-Blätter« aufweist: gestapelte und gefaltete Abschnitte der Aminosäurekette. In dieser Form ist das Protein widerstandsfähiger gegen einen Abbau durch zelluläre Enzyme. Zudem kann es andere Kopien von PrP dazu veranlassen, sich ebenfalls falsch zu falten. Die damit ausgelöste Kaskade von Prionen breitet sich im Gehirn aus, bildet Fibrillen sowie Aggregate und tötet Nervenzellen durch Mechanismen, die noch nicht vollständig geklärt sind.

Es gibt mehrere Arten von Prionen, die jeweils bestimmte Eigenschaften haben – sie unterscheiden sich zum Beispiel darin, welche Tiere von ihnen befallen werden und welches Krankheitsbild sie auslösen. Alle diese Prionen-»Sorten« können aus einer ganzen Reihe fehlgefalteter Konformationen von PrP bestehen. Ähnlich wie bei krank machenden Bakterien verschafft diese Vielfalt den Molekülen einen Vorteil, wenn sich die Umstände ändern. Die Variabilität könnte erklären, warum eine experimentelle Behandlungsstrategie fehlgeschlagen ist: Wissenschaftler hatten nach Verbindungen gesucht, die Zellen dazu bringen, Prionen abzubauen. Das Malariamedikament Mepacrin stellte sich in Zellkulturen als wirksam gegen die Moleküle heraus. Klinische Studien am Menschen brachten jedoch keinen Erfolg. Weitere Tests mit Mepacrin und anderen Verbindungen deuten nun darauf hin, dass selbst wenn Medikamente eine dieser fehlgefalteten Konfigurationen vernichten, andere bestehen bleiben und eine Resistenz gegen das Mittel hervorrufen können.

Verhindern statt lindern

Eine große Herausforderung besteht auch darin, Menschen zu finden, mit deren Hilfe sich solche Wirkstoffe erproben lassen. An klinischen Studien nehmen in der Regel Patienten teil. Forscher untersuchen, ob diejenigen, die das Medikament einnehmen, sich besser fühlen, mildere Symptome zeigen oder länger überleben als jene, die ein Scheinmedikament (Placebo) erhalten. Doch bei einer so rasch fortschreitenden Krankheit sind Betroffene bereits schwer krank, sobald ihre Symptome erkannt werden. In der größten veröffentlichten klinischen Studie zu Prionenerkrankungen, in der die Substanz Doxycyclin getestet wurde, erhielt schätzungsweise die Hälfte der Probanden während der Arzneigaben bereits lebenserhaltende Maßnahmen. Das Doxycyclin half ihnen nicht.

Das Grundproblem ist die Schnelligkeit, mit der die Krankheit Schäden anrichtet. Prionen vermehren sich exponentiell. Noch bevor sich Symptome zeigen, haben sich Milliarden von ihnen im Gehirn von Betroffenen ausgebreitet. Sobald sie anfangen, Neurone abzutöten, kann selbst ein wirksames Medikament nur noch begrenzt helfen. Künftige Studien könnten versuchen, »früh symptomatische« Patienten zu behandeln. Allerdings ist es unglaublich schwierig, die Krankheit frühzeitig zu erkennen. Nach Symptombeginn dauert es durchschnittlich drei Monate, bis Ärzte eine Prionenerkrankung vermuten. Kamni konnte zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr sprechen. Selbst ein Wirkstoff, der die Krankheit dann noch eindämmt, würde bereits erlittene Hirnschäden nicht rückgängig machen.

Ein Medikament, das Sonia gesund hält, würde deshalb im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit möglicherweise nichts bewirken. Tests von Antiprion-Wirkstoffen an Mäusen deuten darauf hin, dass dies für die meisten Medikamente zutrifft, die wir gegen die Prionen-erkrankung entwickeln könnten. Ein kleines, im Labor von Stanley Prusiner an der University of California in San Francisco entwickeltes Molekül mit der Bezeichnung IND24 kann die Lebensdauer von mit Prionen infizierten Mäusen vervierfachen. Jedoch nur dann, wenn man es prophylaktisch, also vor Beginn der Krankheit verabreicht. Später wirkt es weniger gut – und es hilft gar nicht mehr, wenn sich die Mäuse dem symptomatischen Stadium nähern. Auch drei andere chemische Verbindungen, die überzeugende Effekte gegen Prionenstämme von Mäusen gezeigt haben, sind umso wirksamer, je früher mit der Behandlung begonnen wird.

Wir müssen Medikamente nicht nur dahingehend testen, ob sie das Fortschreiten einer Krankheit verlangsamen – sondern auch, ob sie fähig sind, Gehirne länger gesund zu erhalten

Forscher befassen sich seit Jahren mit ähnlichen Problematiken; unter anderem bei der Alzheimerdemenz, die sich ebenfalls durch Proteinaggregation auszeichnet. Im Lauf der Erkrankung sammelt sich im Gehirn der Patienten fehlgefaltetes Beta-Amyloid an. Arzneimittelkandidaten, die auf seine Eindämmung abzielen, haben in zahlreichen Studien bisher keinen Nutzen gebracht. Viele Beobachter fragen deshalb bereits, ob die Beta-Amyloid-Hypothese schlicht falsch oder ob die Intervention zu spät erfolgt. Mit zwei Vorgehensweisen prüfen Forscher, ob Antiamyloidpräparate die Alzheimerkrankheit verzögern, wenn sie früher verabreicht werden. Die eine besteht darin, noch gesunde Menschen mit einem hohen genetischen Risiko für eine früh einsetzende Alzheimerkrankheit nach dem Zufallsprinzip Gruppen zuzuordnen, die Medikamente oder Placebos erhalten. Wissenschaftler beobachten dann jahrelang, wessen kognitive Fähigkeiten sich verschlechtern. Beim zweiten Ansatz, der »Sekundärprävention«, rekrutieren Forscher kognitiv gesunde Menschen, bei denen sich molekulare Hinweise auf die Erkrankung erkennen lassen. Solche Marker zeigen sich oft schon Jahrzehnte vor dem Ausbruch der Krankheit. Den Betroffenen geben die Studienleiter dann wieder entweder ein Placebo oder ein Medikament, das das Fortschreiten zur symptomatischen Krankheit verzögern soll.

Keiner der beiden Ansätze scheint bei der Prionenerkrankung anwendbar zu sein. Studien mit Menschen, die für den Ausbruch der Krankheit anfällig sind, erweisen sich wegen des stark variierenden Alters zu Krankheitsbeginn und der kleinen Anzahl von Patienten als nicht durchführbar. Forscher haben Menschen mit einem Risiko für eine Prionenerkrankung untersucht, aber keine molekularen Veränderungen gefunden, die auf einen baldigen Krankheitsbeginn hinweisen. Die Prionenkrankheit scheint vor der Entstehung der Demenz nicht nachweisbar zu sein: Sie schlägt vielmehr ganz plötzlich zu.

Prävention vor Prionenerkrankungen | Sonia und Eric mit ihrer Tochter, Daruka. Die Kleine hält ein Foto ihrer Großmutter Kamni, die an einer Prionenerkrankung verstarb. Daruka hat die Veranlagung für die Krankheit nicht geerbt.

Der Krankheit den Treibstoff wegnehmen

Was bedeutet das für uns? Wie schaffen wir es, unter diesen Voraussetzungen zu belegen, ob ein Medikament Sonias Leben retten könnte? Wir sind zu der Überzeugung gelangt, dass wir die Antwort gleich zu Beginn unserer Suche in den Händen hielten: eingebettet in den genetischen Testbericht, der unser Leben verändert hat. Wir kennen bereits das Gen und das von ihm codierte Protein, das die Krankheit verursacht. Der Schlüssel liegt nun darin, gesundes PrP anzugreifen, bevor es sich überhaupt falsch falten kann.

Gelingt es uns, die Menge des im Gehirn produzierten PrP zu senken, wird das aller Voraussicht nach den Krankheitsausbruch verzögern. Mäuse, die die Hälfte der normalen PrP-Menge produzieren, brauchen zum Beispiel mehr als doppelt so lange, um eine Erkrankung zu entwickeln, nachdem sie mit Prionen infiziert wurden. Es dauert dann einfach entsprechend länger, bis sich die schadhaften Moleküle ausreichend vervielfältigen. Zum Glück für uns scheint PrP für die Gehirnfunktion nicht wesentlich zu sein. Mäuse, Ziegen und Kühe, denen das PRNP-Gen fehlt, sind gesund, ebenso wie Menschen mit einer inaktiven Kopie des Gens.

Eine gezielte Beseitigung von PrP im Gehirn könnte mit Antisense-Oligonukleotiden, kurz ASOs, erreicht werden. Dabei handelt es sich um winzige, chemisch modifizierte DNA-Stücke. Ihre Sequenzen sind komplementär zu denen des RNA-Moleküls, auf das sie abzielen. Wie ein Magnet haften sie sich an diese Sequenz und markieren sie so zur Zerstörung durch die Zelle. Ohne RNA – den »Mittelsmann« zwischen DNA und Protein – kann die Zelle das entsprechende Protein nicht mehr produzieren.

Das kalifornische Biotech-Unternehmen Ionis Pharmaceuticals hat solche ASOs für das menschliche Zentralnervensystem entwickelt. Seit 2015 arbeiten wir mit der Firma zusammen. Wir fanden heraus, dass ASOs, die den PrP-Spiegel senken, Mäuse länger gesund halten, nachdem diese mit Prionen infiziert worden waren. Neben diesen präklinischen Resultaten haben wir auch klinische, genetische sowie andere Daten gesammelt und darüber hinaus ein Patientenregister eingerichtet. Zusammengenommen hat das die Führung von Ionis davon überzeugt, die Entwicklung eines ASO-basierten Medikaments gegen Prionenkrankheiten in Angriff zu nehmen. Ziel ist es, in den kommenden Jahren erste Versuche mit Menschen durchzuführen.

Wenn ASOs, die den PrP-Spiegel absenken, Patienten mit symptomatischer Prionenerkrankung helfen, wäre das fantastisch. Doch selbst wenn sie nur präventiv wirken, müssen sie Risikopatienten zugutekommen. Unserer Meinung nach könnte die PrP-Proteinkonzentration in der Rückenmarksflüssigkeit als pharmakodynamischer Biomarker dienen – als molekularer Kennwert dafür, ob das Medikament seine beabsichtigte Wirkung hat. In einer klinischen Studie ist ein solches Maß besonders dann nützlich, wenn man nicht direkt beurteilen kann, ob sich der Zustand der Patienten gebessert hat. Wir schlagen also vor, Menschen zu behandeln, die noch gesund sind. Dann wollen wir nachweisen, dass das Protein, das zum Prion werden kann, durch die Therapie in geringerer Menge vorhanden ist. In den USA existieren klinische Pfade, die eine solche Vorgehensweise erlauben, und es gibt Präzedenzfälle für die Nutzung pharmakodynamischer Biomarker – etwa der »Viruslast«, die über die Zulassung von HIV/Aids-Medikamenten entscheidet.

Auf dem Weg zur Prävention

Im Jahr 2017 stellten wir unser Konzept bei einem Treffen mit der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde Food and Drug Administration (FDA) vor und trafen auf großen Enthusiasmus für unseren Ansatz. Als wir die Behörde verließen, hatten wir eine Liste von Hausaufgaben und viele neue Unterstützer. Seither haben wir gelernt, wie man PrP in der Rückenmarksflüssigkeit präzise messen kann. Wir haben Beweise dafür gesammelt, dass dieses PrP aus dem zentralen Nervensystem stammt. Wir wissen auch, dass seine Werte über die Zeit stabil genug sind, um darin einen etwaigen medikamenteninduzierten Rückgang messen zu können.

Nach wie vor stoßen wir aber auf erheblichen Widerstand. Es gibt viele noch offene Fragen, darunter, ab welchem Alter Betroffene die Behandlung beginnen sollten. Und wie lässt sich letztlich bestätigen, ob das Medikament die Krankheit verzögert hat? Das sind wichtige Punkte, und wir verfügen bereits über Ansätze, um sinnvolle Antworten zu finden. Vielleicht vor das größte Problem stellen uns Fragen wie: Werden die Versicherungen für diese Art von Medikamenten zahlen? Dahinter steht ein größeres Dilemma, nämlich ob die Gesellschaft jahrelang für ein verschreibungspflichtiges Medikament für Menschen aufkommen wird, die noch nicht krank sind – und die, sofern das Medikament wirkt, vielleicht nie krank werden.

Hier könnte sich die Seltenheit der Krankheit einmal zu unserem Vorteil auswirken. Die Zahl an Menschen mit Prionenerkrankungen ist gering. Erblich bedingte Fälle machen nur einen kleinen Teil der Patienten aus, und die wenigsten Betroffenen wissen bereits vor Ausbruch der Krankheit, dass sie gefährdet sind. Der mögliche Einfluss auf das Geschäftsergebnis einer Versicherung verblasst im Vergleich zu einem neuen Medikament gegen Herzkrankheiten oder Diabetes, das Millionen von Menschen einnehmen könnten.

Die Frage weist auf ein gesellschaftliches Problem hin. Wir als Gemeinschaft müssen uns damit befassen, was wir für die Gesundheit unserer Gehirne zu tun bereit sind. Etwa jeder fünfte Mensch entwickelt irgendwann eine neurodegenerative Erkrankung. Gäbe es ein präventives Medikament, wann sollte man es einnehmen? Sollte man bis nach dem Ausbruch der Demenz warten? Bis zu einer leichten kognitiven Beeinträchtigung? Bis ein Hirnscan zeigt, dass das Gehirn schrumpft? Oder würde man besser damit anfangen, bevor irgendetwas davon passiert?

Bei einer Prionenerkrankung haben wir diese verschiedenen Möglichkeiten vielleicht gar nicht. Der Weg weist also klar in Richtung einer vorsorglichen Behandlung. Trotz aller Fortschritte in der modernen Neurowissenschaft ist jedes menschliche Gehirn unglaublich komplex; ein weit verzweigtes Netzwerk von fast 100 Milliarden Neuronen, das wir nicht verstehen, nicht reparieren und unmöglich ersetzen können. Wenn Sie sich fragen, was Sie sich für Ihr Gehirn – und das Gehirn Ihrer Liebsten – wünschen, werden Sie vielleicht feststellen, dass Ihre Antwort dieselbe ist wie unsere: Prävention.

  • Quellen

Bennett, C. F. et al.: Antisense oligonucleotide therapies for neurodegenerative diseases. Annual Review of Neuroscience 42, 2019

Raymond, G. J. et al.: Antisense oligonucleotides extend survival of prion-infected mice. JCI Insight 4, 2019

Vallabh, S. M.: The patient-scientist’s mandate. New England Journal of Medicine 382, 2020

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