Artenschutz: Letzte Hoffnung für den Persischen Leoparden
Hana Raza hat noch nie einen Persischen Leoparden mit eigenen Augen gesehen. Dank ihrer Untersuchungen wissen wir jedoch, dass diese Großkatzen bis heute das Zāgros-Gebirge in Kurdistan durchstreifen. Nach vier Jahrzehnten blutigen Kriegs im Irak hatte man angenommen, dass die Art – wie zuvor bereits der Asiatische Löwe und der Asiatische Gepard – in dieser Gegend ausgestorben sei. Raza dagegen erklärt, sie habe niemals die Hoffnung aufgegeben. »Diese Lebewesen sind sehr anpassungsfähig. Ich habe einfach gedacht: Dieses Tier ist so unglaublich stark – es kann die Kriege überleben.«
Unmittelbar nachdem sie ihren Bachelorabschluss in Biologie erworben hatte, schloss sich Raza der regionalen gemeinnützigen Naturschutzorganisation Nature Iraq an. Dort erweiterte sie die Ausrichtung der Organisation auf den Schutz von Säugetieren, schrieb einen Antrag, um Finanzmittel für Kamerafallen einzuwerben, und stellte diese schließlich in freier Wildbahn auf.
Vier Monate später, im Jahr 2011, schnappte eine der Fallen zu. Auf dem Berg Jazhna im Distrikt Qara Dagh hatte ein kräftiger männlicher Leopard den Bewegungsmelder einer Kamera ausgelöst, als er den Fokus durchquerte. Im Vordergrund des Bilds war sein hinterer Oberschenkel zu sehen. Razas Kollege Korsh Ararat, ein begeisterter Vogelbeobachter, arbeitete damals in Großbritannien an seinem Masterabschluss im Fach Umweltbewertung, als sie ihm von dem geglückten Schnappschuss berichtete. »Ich konnte es kaum erwarten, hierher zurückzukommen«, erinnert sich der Wissenschaftler.
Vier Jahre später und um zwei weitere Leopardenfotos reicher stand Ararat dann einem leibhaftigen Leoparden gegenüber. Der Wissenschaftler war gerade dabei, eine Kamerafalle in der Umgebung der Stadt Darbandichan nahe der iranischen Grenze aufzustellen, als er das Tier bemerkte. Es befand sich nur etwa zehn Meter von ihm entfernt. »Ich habe ganz leise gerufen: ›Oh Mann, das ist ein Leopard, ein echter Leopard!‹ Es war einer der aufregendsten Momente, die ich in meinem Beruf je erlebt habe. Eigentlich liebe ich ja Vögel, aber das war etwas anderes. Dieser Vogel hatte ziemlich große Tatzen und unheimlich schöne Augen«, schwärmt Ararat mit einem tiefen Seufzer.
Dass Raza als Leiterin eines Projekts zum Schutz des Persischen Leoparden (Panthera pardus saxicolor) bisher keines dieser Tiere zu Gesicht bekommen hat, ist nicht weiter überraschend. Es ist zum großen Teil seinem flüchtigen Wesen zu verdanken, dass sich der Leopard in Kurdistan halten konnte. Doch seine Zukunft ist ungewiss. Während die neun Leopardenunterarten – der Persische Leopard ist der größte unter ihnen – einst in ganz Afrika und Asien verbreitet waren, gelten sie heutzutage allesamt als gefährdet. Die Weltnaturschutzunion (International Union for Conservation of Nature, IUCN) stuft den Persischen Leoparden als stark gefährdet ein. Sie schätzt, dass weniger als 1290 ausgewachsene Tiere in freier Wildbahn leben.
Der Lebensraum des Persischen Leoparden erstreckt sich von den Bergen von Irakisch-Kurdistan entlang der nördlichen Grenze des Iran über Turkmenistan, Aserbaidschan und Armenien in den Gebirgen Afghanistans bis in Teile des Kaukasus im südwestlichen Russland und Georgien. In ihrem gesamten Verbreitungsgebiet wird die Großkatze primär durch den Menschen bedroht: Er zerstört ihre Habitate, erschöpft Wasservorräte und tötet die Tiere mit Gewehren, Fahrzeugen oder Gift. Ein Großteil des Lebensraums ist zudem starken, von Menschen verursachten Fluktuationen unterworfen. Daher erweist es sich in diesen Regionen als besonders schwierig, die öffentliche Aufmerksamkeit, das Interesse der Regierungspolitiker und den Fluss finanzieller Fördermittel in Richtung Naturschutz zu lenken.
Die zwei kurdischen Naturschützer haben indes die Rettung des Leoparden, den sie als eine Art Botschafter ansehen, zu ihrer Mission erklärt. Seit ihnen die Kamerafalle jenes erste Foto lieferte, arbeiten Raza und Ararat daran, eine Grundlage für den Schutz des Persischen Leoparden zu schaffen: Sie dokumentierten zunächst den Lebensraum der Raubkatze, schrieben anschließend Förderanträge und setzen sich jetzt für das Ausweisen entsprechender Naturreservate und deren Bewirtschaftung ein. Indem wir die Habitate des Persischen Leoparden schützen, so ihre Argumentation, sorgen wir gleichzeitig für den Fortbestand anderer gefährdeter Tierarten wie etwa der Maurischen Landschildkröte (Testudo graeca), des Urmia-Molchs (Neurergus crocatus), des Kurdistanmolchs (Neurergus microspilotus) und einer Unterart des Kleinasiatischen Feuersalamanders (Salamandra infraimmaculata semenovi).
Ein Irak, in dem es Berge, Leoparden und Molche gibt, entspricht nicht unbedingt dem landestypischen Bild, das westliche Menschen vor Augen haben: graubraune Wüsten, Ölquellen, aus denen die Flammen des abgefackelten Gases in den Himmel lodern, Spuren des Kriegs. All das findet man hier durchaus, aber in Wirklichkeit hat das Land sehr viel mehr zu bieten. Die Flussdeltas von Euphrat und Tigris bilden eines der größten Feuchtgebiete des Nahen Ostens – die sagenumwobene Wiege der Zivilisation. Und während das Gelände Richtung Norden ansteigt, schlängelt sich die Landschaft zunächst in Wellen durch die von Gras- und Buschvegetation bedeckten Gebirgsausläufer. Die Landschaft verwandelt sich schließlich in die Waldsteppe und Laub- und Mischwälder der gemäßigten Zone von Irakisch-Kurdistan, die von 3000 Meter hohen Berggipfeln überragt werden. Wegen seiner zahlreichen Ökoregionen weist der Irak eine erstaunliche Artenvielfalt auf: Etwa 400 Vogel-, 500 Pflanzen-, 90 Säugetier-, 98 Reptilien- und 10 Amphibienarten sowie 100 Arten von Süß- und Salzwasserfischen leben hier.
Im Zāgros-Gebirge teilt sich der Persische Leopard sein Habitat mit den Kurden – staatenlosen Menschen, deren Siedlungsgebiet Teile des Irak, des Iran, der Türkei und Syriens umfasst. 1992 errangen kurdische Freiheitskämpfer, die Peschmerga, im Irak eine Teilautonomie, die ihnen ein gewisses Maß an Freiheit und Wohlstand verschaffte. Doch der Frieden konnte sich dort nicht dauerhaft etablieren. Als die Terrormiliz Islamischer Staat 2014 nahezu ein Drittel des irakischen Territoriums besetzte, wurden die Kurden erneut in Kämpfe verwickelt.
2017 stimmte die kurdische Bevölkerung in einem Referendum für ihre Unabhängigkeit. Die irakische Regierung in Bagdad sah dies jedoch als Bedrohung an. Sie entsandte ihre Armee, um die Stadt Kirkuk mit ihren zahlreichen Ölvorkommen zurückzuerobern, riegelte kurdische Flughäfen für den weltweiten Flugverkehr ab und behielt Teile des Budgets der kurdischen Regionalregierung ein. Der Persische Leopard könnte in vielerlei Hinsicht das Symboltier der Kurden darstellen – beide werden verfolgt, von allen Seiten bedrängt und haben ihre letzte Zuflucht in den Bergen gefunden.
In einer Region, in der ökologische Anliegen lange Zeit wegen zwischenmenschlicher Konflikte in den Hintergrund traten, erscheinen Razas und Ararats Naturschutzbemühungen geradezu revolutionär. Tatsächlich sind sie eine Folge der besonderen Erfahrungen, die die beiden kurdischen Wissenschaftler während ihrer Kindheit und Jugend in einem Kriegsgebiet gesammelt haben. Sie müssen immense Herausforderungen meistern: Landminen, das episodische Aufflammen von Gewalt, eine desorganisierte Regierung, Korruption, eine patriarchalische Mentalität, bescheidene Finanzmittel und eine in Bezug auf Umweltfragen größtenteils unwissende Öffentlichkeit. Wenn ihnen das gelingt, so hofft Raza, erwärmt die Rettung des Leoparden die Herzen der Iraker für die Natur und den Umweltschutz, bewirkt eine Verschiebung von Prioritäten und bewegt das ganze Land dazu, einen neuen Kurs einzuschlagen.
Letztendlich erträumt sich die Biologin einen »Friedenspark« auf kurdischem Gebiet, der sich vom Irak bis in den Iran erstrecken soll. Dieser Traum wurde im Jahr 2018 von Ereignissen überschattet, bei denen einer ihrer persischen Kollegen ums Leben kam und viele andere verhaftet wurden. Dennoch geben sich Raza und Ararat nicht so leicht geschlagen.
Zuflucht in den Bergen
Obwohl regelmäßig wiederkehrende Konflikte in einigen Teilen des Irak an der Tagesordnung sind, geht es in der kurdischen Stadt Slemani (oder Sulaymaniyah, wie sie die im Irak lebenden Araber nennen), in der Raza und Ararat leben und arbeiten, im Allgemeinen recht friedlich zu. Im Jahr 2007 begann Ararat seine Tätigkeit als Vogelexperte bei der Naturschutzorganisation Nature Iraq, und 2009 konnte er auch Raza, die damals an der University of Sulaimani studierte, für diese Arbeit gewinnen. Wenig später fing Raza an, die Schutzbemühungen der Organisation auf Säugetiere auszuweiten. Mittlerweile leitet sie das Projekt zur Erhaltung des Persischen Leoparden. Ararat lehrte nach seiner Rückkehr aus dem Vereinigten Königreich zunächst Tieranatomie an der University of Sulaimani, bis Raza ihm 2016 anbot, wieder zu Nature Iraq zurückzukehren und eine Teilzeitstelle in ihrem Leopardenprojekt anzunehmen.
Trotz unzähliger Herausforderungen, die diese Arbeit mit sich bringt, zeigt sich die pragmatische und kämpferische Raza nach wie vor unbeirrt. »Bei allem, was ich mache, entscheide ich einfach, es zu tun, bevor ich über die negativen Seiten nachdenke«, erklärt die Biologin freimütig. »Denn im Verlauf deiner Arbeit triffst du so viele Leute, die auf eine geradezu schockierende Weise kooperativ und hilfsbereit sind … Und wann immer ich solche Verbindungen knüpfen kann, konzentriere ich mich einfach darauf und lasse nicht locker.« Ihr unglaublicher Drang, die Dinge voranzutreiben, reißt andere offensichtlich mit.
In dieser Region Kurdistans sind die Menschen vergleichsweise fortschrittlich eingestellt. Viele Frauen gehen einer beruflichen Tätigkeit außerhalb ihres Haushalts nach und tragen an Stelle der Hijabs und Nikabs, die im Südirak üblich sind, weltliche Alltagskleidung. An einem der großen Boulevards in Slemani ist auf einer Mauer zu lesen: »Wir sind stärker, wenn wir gleich sind.« Dennoch ist Razas Arbeit auch für hiesige Verhältnisse ungewöhnlich progressiv. Sie erfordert, mehrere Monate zusammen mit Männern in der Wildnis zu verbringen, abgelegene Dörfer zu besuchen und mit Fremden zu sprechen sowie »für unser Projekt in Gegenden Werbung zu betreiben, in denen sich niemand gefahrlos bewegen kann – schon gar nicht eine Frau«, so Raza.
»Ohne die Unterstützung meiner Eltern hätte ich das niemals geschafft«, gesteht sie. Ihr Vater und ihre Mutter waren Angehörige der Peschmerga, »erzogen nach den Lehren von Marx und Lenin, also mit einer völlig anderen Mentalität als in der irakischen Gesellschaft üblich«. Ihre Mutter, eine starke Frau, sei für sie eine Quelle der Inspiration, meint Raza.
Um sich hier als Frau in einem Job zu beweisen, müsse man härter arbeiten, sagt sie. Wenn sie den Dorfbewohnern Fragen stellte, antworteten diese anfangs nur ihren männlichen Kollegen. Und obwohl mittlerweile acht Jahre vergangen sind, fragen einige Familienmitglieder und Freunde sie noch immer, wann sie denn endlich zu arbeiten aufhört und heiraten wird. Razas antwortet dann: »Ich kann nicht aufhören, denn ich hänge an meiner Arbeit.« Und dass alle meinen, Frauen müssten unbedingt heiraten und Kinder bekommen, ärgert sie sowieso. »Ich sage ihnen immer: ›Macht euch um mich keine Sorgen! Ich liebe meine Arbeit und bin viel glücklicher als ihr Verheirateten, also verschont mich bitte damit.‹«
Ihren frühen Kontakt mit der Natur verdankt Raza dem Krieg zwischen dem Irak und dem Iran, der hauptsächlich in Kurdistan stattfand und auf den die grausame Völkermordkampagne Sadam Husseins gegen die Kurden folgte. Als Raza zur Welt kam, lebten ihre Eltern in einem der größten Lager der Peschmerga auf dem Berg Permagroon nordwestlich von Slemani. Im Jahr 1987 – Raza war gerade einmal vier Monate alt war – wurde das Peschmerga-Camp mit chemischen Waffen bombardiert. Ihre Schwester, ihre Eltern und sie selbst wurden bei dem Angriff getroffen. »Meine Mutter erblindete für einige Tage«, erzählt Raza. »Und mein ganzer Körper war mit Blasen bedeckt.« In den darauf folgenden Monaten erholte sich die Familie.
Und trotz des Angriffs, den Raza in ihrer frühesten Kindheit erlebt hat, blieb tief in ihrem Inneren das Gefühl zurück, dass die Berge ein Refugium darstellen. Da Kurdistan reich an Bodenschätzen und von strategisch wichtiger Lage ist, mussten die Menschen sich dort über eine lange Zeit gegen die verschiedensten Regimes behaupten. »Niemand kam je mit freundschaftlichen Absichten zu uns«, konstatiert Raza. Das Gebirge bot den Kurden eine Zuflucht; von hier aus kämpften sie gegen ihre Feinde. Dieses Schicksal wird auch in einem alten kurdischen Sprichwort deutlich: »Wir haben keine Freunde außer den Bergen.« Aus diesem Bewusstsein heraus habe sich ihre Leidenschaft entwickelt, den Leoparden zu schützen, bekennt Raza. »Er ist ein Tier der Berge. Und die Berge sind … einfach nichts ohne ihre Tiere.«
Auch bei Ararat haben Kriegserfahrungen das Fundament für seine Tätigkeit im Naturschutz gelegt. Der Mann mit der leisen, ruhigen Stimme und dem Hang zum Philosophieren hat, typisch für Vogelbeobachter, schnell das Fernglas zur Hand. Er trägt bevorzugt T-Shirts mit witzigen biologischen Motiven. Als Saddam Hussein seine militärische Macht auf den Kampf gegen die Kurden richtete, floh ein Großteil der im Irak ansässigen kurdischen Bevölkerung, unter ihnen auch Razas und Ararats Familien, in den Iran. Ararat war erst acht Jahre alt, als sich seine Eltern mit ihm zu Fuß auf den Weg in das Nachbarland machten. »Wir sahen, wie Menschen von Landminen getötet wurden«, erinnert er sich. Es war eine prägende Erfahrung. »Ich war plötzlich dem wirklichen Leben ausgesetzt«, berichtet Ararat. Allmählich verstand er dessen tieferen Sinn. »Leben – das bin nicht nur ich oder das, was ich fühle. Es ist alles, vom einzelnen Elektron bis zum gesamten Universum.«
Ein Teil der Natur
An einem warmen, sonnigen Frühlingstag fahren Raza, Ararat und ein paar andere Mitarbeiter von Nature Iraq mit mir in die ländliche Gegend von Qara Dagh im Südwesten von Slemani. Dort wurde das erste Leopardenfoto aufgenommen. Wir lassen die Stadt hinter uns und steuern auf die Berge zu. Höher und höher fahren wir eine Serpentinenstraße hinauf, die sich durch Kalkgestein zieht. Während es in unseren Ohren knackt, weitet sich vor unseren Augen die Landschaft.
Es ist Anfang April, und die sanften Hügel der Vorberge leuchten im saftigen Grün junger Gräser, hier und da durchsetzt mit Felsblöcken und Persischen Eichen. Über uns lauern karge Berggipfel mit Kämmen scharf wie Messerschneiden. Europäische Bienenfresser trillern, ein Schmutzgeier schwingt sich in die Lüfte, Wildblumen schmücken die Landschaft mit knalligen Farbtupfern. Da wir uns in der Nähe der Region befinden, in der die Landwirtschaft ihren Ursprung nahm, sind mir die heimischen Tier- und Pflanzenarten merkwürdig vertraut: Ich sehe Wildschafe und Wildziegen – die Vorfahren unserer heutigen Haustierrassen –, wilde Pistazienbäume und die Wildformen von Weizen, Gerste und Rhabarber.
Um den Lebensraums der Leoparden zu kartieren, führen Raza, Ararat und ihre Kollegen Befragungen mit Dorfbewohnern durch. Einer von ihnen ist Atta Kamil, ein Bauer aus dem Distrikt Qara Dagh, der Feldfrüchte anbaut und Rinder, Schafe und Ziegen hält. Wir treffen ihn außerhalb des Dorfs an einem von Bäumen umgrenzten Feld. Kamil trägt einen dichten Schnurrbart und die traditionellen weiten Hosen der Kurden. Wir stellen uns unter eine Schatten spendende Eiche und beginnen unser Gespräch.
»Seit den 1970er Jahren haben wir hier keine Leoparden mehr gesehen«, erzählt Kamil. Stattdessen beobachtet er zahlreiche andere Wildtiere: Wildziegen, Wildschweine, Stachelschweine, Dachse, Chukarhühner und Rebhühner. In weiten Teilen des Irak ist die Jagd verboten, und Kamil sagt, er befürworte diese Regelung wie die meisten seiner Bekannten. »Wir gehören hierher, in dieses Gebiet, und wir sind ein Teil dieser Natur«, sagt er. »Wir möchten sie vor jeglichem Schaden schützen.«
Trotz des Jagdverbots hat die Waldpolizei von Qara Dagh in den letzten drei Monaten etwa 60 Wilderer aufgegriffen. Die illegalen Jäger schießen im Wesentlichen auf Frankoline (rebhuhnartige Fasanenvögel), Chukarhühner, Wildziegen und Schwarzwild. Werden sie von der Polizei gefasst, drohen ihnen eine Geld- und eine kurze Haftstrafe. Manche finden jedoch, dass die Strafen nicht hoch genug sind, um die Täter von weiteren unerlaubten Jagdzügen abzuhalten.
Die Menschen jagen aus underschiedlichen Gründen: zum Nahrungserwerb, um Geld zu verdienen, zum Spaß und um ihre Existenzgrundlage zu schützen. Laut Kamil bereiten den Bauern zwei Wildtiere Ärger: Wildschweine, die Kulturpflanzen auf den Feldern zerstören, und Wölfe, weil sie Rinder und Schafe reißen. Theoretisch haben Landwirte zwar die Möglichkeit, Entschädigungszahlungen oder eine Abschusserlaubnis für Problemtiere bei der Regierung zu beantragen. Wegen finanzieller Engpässe wurden diese Programme allerdings zeitweilig eingestellt, so dass den Bauern nichts anderes übrig bleibt, als die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.
Einige behaupteten mitunter, die Leoparden würden ihre Nutztiere töten, sagt Raza, aber für gewöhnlich sind Wölfe die Schuldigen. Man kann den Unterschied leicht feststellen: Wölfe machen sich gleich an Ort und Stelle über ihr Opfer her, während Leoparden ihre Beute auf einen Baum schleppen und sie dort in mehreren Tagen verspeisen. Zudem erklärt der iranische Leopardenforscher Arash Ghoddousi, der diverse Aspekte der Interaktion zwischen Persischen Leoparden und Nutztieren in seinem Heimatland untersucht hat, dass Leoparden ihre natürlichen Beutetiere den Haustieren klar vorziehen.
Auf Polizeistreife in den Bergen
Etwas weiter die Straße hinunter sind wir unter einer anderen Eiche mit Araz Ata Mohammed Salih verabredet. Der in einem nahe gelegenen Dorf geborene Waldpolizist kennt die Gegend wie kein anderer und hat Razas Gruppe schon häufig geholfen, Leopardenhabitate ausfindig zu machen und erfolgreiche Kamerafallen aufzustellen. Staatsangestellte haben jetzt (im April 2018) schon seit fünf Monaten kein Gehalt erhalten. Das liegt am Haushaltsdefizit, das durch fallende Ölpreise hervorgerufen wurde, an Auseinandersetzungen zwischen der kurdischen und der irakischen Regierung und an der Tatsache, dass finanzielle Ressourcen verstärkt zur Bekämpfung des Islamischen Staats eingesetzt werden. Salih hat während dieser Zeit von seinen Ersparnissen gelebt und sich nach einer Tätigkeit im privaten Sektor umgeschaut. Doch er liebt seine Arbeit und möchte sie eigentlich nicht aufgeben.
Vor vier Jahren hat er während seiner Dienstzeit eines Abends einen Leoparden gesehen. »Ich war sehr aufgeregt, als ich das Tier entdeckte«, erinnert sich der Waldpolizist. »Manche glauben, dass Leoparden Menschen fressen, aber ich hatte keine Angst.« Das sei eine sehr vernünftige Reaktion, meint Raza, denn die Großkatzen greifen nur selten Personen an. In den letzten neun Jahren sind der Biologin während ihrer Befragungen nur zwei derartige Vorfälle zu Ohren gekommen, die beide keinen tödlichen Ausgang genommen haben.
Menschen dagegen töten Persische Leoparden in deren gesamtem Verbreitungsgebiet. In einer 2016 erschienenen Veröffentlichung, an der Raza als Mitautorin beteiligt war, hatten Wissenschaftler die Anzahl der Leoparden im Nordirak und in der südöstlichen Türkei erfasst. Leider konnten die Nachweise meistens nur in Form toter Tiere erbracht werden. Von 2001 bis 2014 wurden sechs Leoparden von Jägern oder Schafhirten erschossen, einer wurde von einem Schäfer vergiftet, zwei tot aufgefundene Exemplare waren wahrscheinlich von Menschen vergiftet oder durch einen Schlangenbiss getötet worden, einer kam durch eine Landmine ums Leben.
Nur ein einziger Leopard war lebend auf einem Videofilm zu sehen. Es existieren so wenige Belege, dass sie wie anekdotische Nachweise erscheinen. Tatsächlich ist auch die Gesamtzahl der Persischen Leoparden außerordentlich niedrig. »Wir haben es mit einer Tierart zu tun, die in sehr geringen Dichten vorkommt«, bestätigt der Leopardenexperte Ghoddousi. »Das durchschnittliche Streifgebiet eines männlichen Leoparden ist etwa 100 Quadratkilometer groß.« Weibchen beanspruchen zwar kleinere Areale, können aber auf ihren Streifzügen durchaus Strecken im zweistelligen Kilometerbereich zurücklegen. »Wenn wir ein fortpflanzungsfähiges Weibchen oder Männchen verlieren, hat das beträchtliche Auswirkungen.«
Im Iran, wo etwa 65 Prozent der verbliebenen Persischen Leoparden leben, dokumentierten Forscher in den Jahren von 2000 bis 2015 insgesamt 147 getötete Individuen. Mehr als 60 Prozent wurden erschossen oder vergiftet, 26 Prozent kamen bei Unfällen mit Fahrzeugen ums Leben. Obwohl die iranische Regierung mit Beginn der 1950er Jahre bis in die 1970er Jahre zahlreiche Naturschutzgebiete ausgewiesen habe, sei die Durchsetzung der entsprechenden Vorschriften nicht konsequent genug verfolgt worden, sagt Ghoddousi.
Heute mangelt es den iranischen Naturreservaten oft an Personal, und Wilderei ist in diesen Gebieten weit verbreitet. Neben dem Töten der Tiere selbst stelle auch das illegale Jagen ihrer Beutetiere – insbesondere der von den Raubkatzen bevorzugten Wildziegen – eine Bedrohung für Persische Leoparden dar, erläutert Ghoddousi. Eine ausreichende Beutegrundlage zählt nämlich zu den wichtigsten Faktoren, die das Überleben der Großkatzen garantieren. Leider wird heutzutage in vielen Leopardenhabitaten von der dort ansässigen Bevölkerung heftig gewildert. »Im Golestan-Nationalpark (im nordöstlichen Iran) stellten wir fest, dass die Bestände von drei Vierteln der Beutetierarten in den vergangenen 40 Jahren um 60 bis 90 Prozent zurückgegangen sind«, so Ghoddousi.
Ein Friedenspark in einem vom Krieg zerrissenen Land
Seit der ersten Fotoaufnahme eines Leoparden im Jahr 2011 haben Raza und ihr Team dutzende Kamerafallen installiert. So haben sie wiederholt drei männliche Leoparden im Distrikt Qara Dagh gesichtet. Die Individuen lassen sich leicht anhand ihrer unverwechselbaren Fellzeichnung identifizieren, die Raza mit den Fingerabdrücken eines Menschen vergleicht. Begrenzte Finanzmittel und Personalausstattung haben zwar eine systematische Untersuchung ausgeschlossen. Doch Raza schätzt, dass vielleicht zehn Leoparden in Qara Dagh leben – von Weibchen bisher allerdings noch keine Spur.
In der Region Hawraman nahe der iranischen Grenze, wo die Mitarbeiter von Nature Iraq ein weiteres Schutzgebiet einrichten möchten, hat ein Ortsansässiger ein grobkörniges Video von einer Leopardenmutter und ihrem Jungen aufgenommen. Auch diese versprengten Restpopulationen von Persischen Leoparden stellen jedoch ein Problem dar, sagt Raza, da es für die Tiere immer schwieriger wird, sich zur Paarung zusammenzufinden. Kommt es trotzdem zur erfolgreichen Fortpflanzung, bringt ein Leopardenweibchen für gewöhnlich zwei Junge zur Welt, von denen meistens nur eines das Erwachsenenalter erreicht. Mit etwa eineinhalb Jahren erlangen die Weibchen Geschlechtsreife und können dann über einen Zeitraum von maximal zehn Jahren Nachwuchs bekommen – wenn es ihnen gelingt, so lange zu überleben.
Um die Bedingungen für Leoparden und ihre Beutetiere in Qara Dagh zu verbessern, haben Raza und ihre Mitarbeiter auf Anraten des Waldpolizisten Salih im Jahr 2018 einen kleinen Erddamm errichtet und dadurch ein Rückhaltebecken für Regenwasser geschaffen. Da die Region keine natürlichen Quellen aufweist und auf Grund des Klimawandels zunehmend trockener wird, müssen die Tiere weite Distanzen zurücklegen, um Wasser zu finden, sagt Raza. »Und auf solchen Wanderungen wären sie wiederum zahlreichen Gefahren ausgesetzt.« Viele Tiere machen sich bereits die neue Wasserquelle zu Nutze. Als wir am Rand des Teichs entlangspazieren, entdecken wir Spuren von Wölfen, Wildschweinen und Goldschakalen.
Auf unserem heutigen Ausflug begleitet uns auch der Bürgermeister des Distrikts Qara Dagh, Deliva Abdulla Ali. Der lächelnde Mann mit freundlichen Augen hat den Mitarbeitern von Nature Iraq versprochen, sie dabei zu unterstützen, Schutzzonen in Teilen seines Verwaltungsbezirks auszuweisen. Abdulla Ali äußert seine Hoffnung, dass die Erhaltung der Wildtiere letztlich zur Förderung des Ökotourismus in der Region beiträgt. Mit Razas Team diskutiert er gerade die Möglichkeit, in der Nähe der künstlichen Wasserstelle eine Hütte für Touristen zu errichten. Die Unterkunft soll mit Solarstrom betrieben werden, und man plant, den Besuchern Wildhüter als Begleiter zur Seite zu stellen, um für verantwortungsbewusstes Verhalten zu sorgen. Allerdings sei es wenig wahrscheinlich, dass die Regierung in absehbarer Zeit Gelder für ein derartiges Vorhaben bereitstellt, meint Abdulla Ali. Die fehlende Zusammenarbeit der zuständigen Abteilungen in der kurdischen Regionalregierung erschwerte es zudem, dafür im privaten Sektor Investoren zu gewinnen.
Tatsächlich hat der Ökotourismus bereits in einigen Gegenden erfolgreich Fuß gefasst. Im Iran existieren mehrere ökologisch bewirtschaftete Unterkünfte, von denen eine erst kürzlich im Leopardengebiet nahe dem Golestan-Nationalpark errichtet wurde, erzählt Ghoddousi. »Die Wirkung dieser Touristenhütte auf die Menschen vor Ort ist einfach unglaublich: Sie bietet eine alternative Einkommensquelle und vermittelt den Ortsansässigen zugleich ein gewisses Umweltbewusstsein.« Dennoch räumt der Leopardenexperte ein, es sei wegen der instabilen politischen Lage äußerst schwierig, in dieser Region einen nachhaltigen internationalen Tourismus zu etablieren.
Für den Naturschutz erweist sich die politische Instabilität ebenfalls als Problem. Razas oberstes Ziel, einen Friedenspark in der Bergregion von Irak und Iran zu errichten, würde eine Zusammenarbeit mit Leopardenforschern der Persian Wildlife Heritage Foundation (PWHF) in Teheran erforderlich machen. Anfang 2018 hat die iranische Regierung jedoch 13 Personen, die mit dieser Organisation in Verbindung stehen, verhaftet und ihnen vorgeworfen, sie würden mit ihren Wildtier-Kamerafallen Spionage betreiben. Einer der Gründer von PWHF, der iranisch-kanadische Umweltschützer Kavous Seyed Emami, kam im Februar 2018 in einem iranischen Gefängnis ums Leben – Gerüchten zufolge starb er keines natürlichen Todes.
Kurz zuvor, im Dezember 2017, habe ein anderer PWHF-Mitarbeiter Slemani besucht, berichtet Raza. Beide hatten Leoparden an der irakisch-iranischen Grenze beobachtet und konnten es kaum erwarten, in diesen Gegenden ein Schutzgebiet zu beantragen. Auch ein Besuch Razas im Golestan-Nationalpark war geplant, bei dem sie verschiedene Naturschutzprojekte kennen lernen sollte. Dann »habe ich wochenlang nichts mehr von ihm gehört«, erinnert sich Raza. »Ich habe ihm eine SMS geschrieben, bekam aber keine Antwort.« Später fand sie mit Hilfe eines Beitrags auf Instagram heraus, dass auch dieser Leopardenforscher verhaftet worden war. Inzwischen sind einige der bei PWHF arbeitenden Wissenschaftler wieder auf freiem Fuß, andere dagegen harren noch immer in iranischen Gefängnissen aus.
Freunde und Kollegen haben Raza und anderen Mitarbeitern von Nature Iraq geraten, künftig das Grenzgebiet zu meiden. Da ihre Partnerschaft mit den iranischen Naturschützern für unbestimmte Zeit auf Eis gelegt ist, schlagen Raza und Ararat jetzt einen neuen Kurs ein. Bei der Weltnaturschutzorganisation haben sie einen Förderantrag für ein 2282 Hektar großes Leopardenschutzgebiet in Qara Dagh eingereicht. Acht kurdische Regierungsinstanzen unterstützen dieses Projekt und haben Nature Iraq eine formelle Genehmigung erteilt, das Gebiet zur Erhaltung des Persischen Leoparden zu verwalten.
Raza und Ararat kommen auch gut mit ihren Untersuchungen voran, die einen Schutz der Regionen Hawraman und Darbandichan rechtfertigen sollen. Beide Gegenden grenzen südöstlich von Slemani an den Iran und könnten daher mit zukünftigen grenzüberschreitenden Schutzgebieten in einem Friedenspark zusammengefasst werden. Letztendlich hoffen die Wissenschaftler darauf, dass Biotopkorridore entstehen werden, die Qara Dagh mit den anderen Regionen verbinden. Auf diesem Weg könnten sich die Leoparden weiter ausbreiten, um sich fortzupflanzen und neue Reviere zu gründen.
Geduld und Beharrlichkeit
Manche fragen sich vielleicht, ob in einem derartig von menschlichen Tragödien heimgesuchten Gebiet Ökologie und Umweltschutz überhaupt ein solcher Stellenwert eingeräumt werden sollte. Internationale Vereinbarungen wie etwa das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) haben jedoch wiederholt bestätigt, dass wir uns mitten im sechsten Massenaussterben der Erdgeschichte befinden – hervorgerufen durch das explosionsartige Wachstum der menschlichen Bevölkerung, die sich im Lauf des letzten Jahrhunderts vervierfacht hat und bis 2060 voraussichtlich die Zahl von zehn Milliarden überschreiten wird. Dieser dramatische Anstieg verschärft zwangsläufig die Konflikte zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen sowie klimatische Stressfaktoren wie etwa eine sinkende Verfügbarkeit von Wasser. Das zwingt Menschen und Tiere gleichermaßen dazu, neue Lebensräume aufzusuchen.
Der Irak zählt zu den Unterzeichnerstaaten des CBD und hat sich im Rahmen seiner nationalen Biodiversitätsstrategie und des dazugehörigen Aktionsplans dazu verpflichtet, bis zum Jahr 2020 zehn neue Naturschutzgebiete auf irakischem Territorium auszuweisen. Doch ein Beamter hat Raza gegenüber zugegeben, dass die Einrichtung von nur drei Schutzzonen wahrscheinlicher ist. Trotzdem hoffen Raza und Ararat, dass eins dieser Gebiete Qara Dagh sein wird. Unterstützt werden die Bemühungen der beiden von Samad Mohammad, dem Vorsitzenden der Kommission zum Schutz und zur Verbesserung der Umwelt Kurdistans, der ebenfalls dem für Naturschutzgebiete zuständigen irakischen Nationalausschuss angehört.
Da Naturschutz in dieser Region ein relativ neues Thema ist, fangen Raza und ihr Team praktisch bei null an, wenn sie sich mit Regierungsvertretern treffen. Sie definieren, was das Management von Schutzgebieten beinhaltet, und versuchen festzulegen, welche Behörden für welche Aufgabenbereiche zuständig sind. Die Arbeit in Irakisch-Kurdistan bedeutet zusätzliche Komplikationen, denn das Gebiet wird zwar als autonome Region anerkannt, ist aber kein unabhängiger Staat. Überschneidungen in der kurdischen und irakischen Gesetzgebung, die die Jagd und die Naturschutzgebiete betreffen, führen zu Verwirrungen. »Wir sind zwischen diesen beiden Regierungen eingeklemmt, und die sind nicht zu einer vollständigen Zusammenarbeit bereit«, sagt Raza.
Um internationalen Standards wie etwa den IUCN-Kriterien zu genügen, ist jedoch die Anerkennung eines neu geschaffenen Naturreservats durch den Irak unerlässlich. Ihren Antrag auf Förderung eines Leopardenschutzgebiets in der Region Qara Dagh wollen die beiden Wissenschaftler auch beim irakischen Gesundheits- und Umweltministerium vorlegen. Sollte die IUCN ihre Zustimmung geben, werden Raza und Ararat ab Januar 2019 mit der Auswahl eines Vorstands und der Ausarbeitung eines Managementplans beginnen.
Die Organisation Nature Iraq verfügte nach ihrer Gründung im Jahr 2004 eine gewisse Zeit über solide Finanzmittel. Mittlerweile sind diese Geldquellen versiegt. Um ihre Leopardenforschung und die Naturschutzprojekte zu finanzieren, ist Raza daher ausschließlich auf internationale Unterstützung angewiesen. Ein Beispiel sind die bei der IUCN beantragten Fördergelder, mit deren Hilfe sie das Gelände des geplanten Naturreservats in Qara Dagh pachten möchte. Der stellvertretende irakische Umweltminister habe ihr in dieser Hinsicht bereits Unterstützung signalisiert, erklärt Raza. »Deshalb hoffe ich, dass wir so eine erfolgreiche Arbeitsbeziehung mit der irakischen Regierung aufbauen können.«
Die Aufklärung der Öffentlichkeit spielt in ihrer Arbeit eine ebenso wichtige Rolle. Mit zahlreichen lokalen Behördenvertretern haben Raza und ihre Mitarbeiter bereits über die Notwendigkeit diskutiert, schon im Kindergarten mit der Umwelterziehung zu beginnen. Es ist ein langwieriger Prozess, dessen Umsetzung nur Schritt für Schritt auf Distriktebene erfolgen kann. Darüber hinaus haben sie von drei Universitäten in Slemani Studenten angeworben, die als Praktikanten bei Feldexkursionen praktische Erfahrungen in dem Leopardenprojekt sammeln können. Diese Maßnahme zeige bereits positive Wirkung, bemerkt Raza. Im Jahr 2017 meldeten sich am internationalen Tag des Artenschutzes mehrere dieser Studenten »freiwillig, um eine von uns organisierte Veranstaltung zu leiten, mit den Leuten zu sprechen, Flyer zu verteilen und Unterschriften zu sammeln. Sie waren wirklich unglaublich interessiert.«
Früher habe er sich immer ein unabhängiges Kurdistan gewünscht, gesteht Ararat, doch heute ist er anderer Meinung. Die Arbeit im Naturschutz hat ihn gelehrt, dass Grenzen Illusionen sind. Nimm zum Beispiel Vögel, sagt der Wissenschaftler, »sie fliegen überall hin, können ganze Kontinente überqueren und machen sich überhaupt nichts aus Grenzen«. Und obwohl wir uns als Menschen anderen Tieren gegenüber überlegen fühlen, würden wir dennoch wegen solcher Illusionen gegeneinander kämpfen, sinniert Ararat.
Raza hofft ebenfalls auf ein Ende des andauernden Konflikts – und darauf, dass ihre Bemühungen, Raum für das Überleben einer weiteren Tierart zu schaffen, den Grundstein für eine allgemeine Erneuerung im Irak legt. »Viele Jahre haben wir praktisch grundlos gekämpft. Mir ist es sehr wichtig, in unserer Gesellschaft die Vorstellung zu verankern, dass es aus kultureller Sicht sinnvoll ist, Schutzgebiete zu haben«, sagt Raza. »Es sollte überhaupt stärker anerkannt werden, wie ein Land mit seinen heimischen Tieren und seinen natürlichen Ressourcen umgeht.« Um ihre Vision eines Tages Wirklichkeit werden zu lassen, setzt Raza ihre Arbeit zielstrebig fort. »Ich glaube an die Macht der Geduld«, erklärt sie. »In meinem Leben bin ich schon häufiger geduldig gewesen, um Dinge zu erreichen, die ich mir vorgenommen hatte. Alles kommt zu seiner Zeit.«
Geduld und vor allem Beharrlichkeit werden wohl alle Beteiligten aufbringen müssen: Razas iranische Kollegen, die darauf warten, aus der Haft entlassen zu werden und mit ihrer Arbeit fortzufahren; die Mitarbeiter der kurdischen Waldpolizei, deren Gehaltszahlungen ausstehen; die irakische und die kurdische Regierung für ihre Zusammenarbeit in puncto Schutzgebiete; die Menschen im Irak, um ihr Naturerbe schätzen und schützen zu lernen – und nicht zuletzt Raza, bis sie eines Tages endlich ihren ersten Leoparden zu Gesicht bekommt.
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