Psycholinguistik: Jahai-Sprecher sind Meister der Geruchsbeschreibung
Wie riecht eine Zitrone? Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie auf diese Frage mit "zitronig" antworten, ist ziemlich hoch, zumindest wenn Sie deutscher Muttersprachler sind. Das ist zwar irgendwie zutreffend, aber auch wenig informativ: Gemeinsamkeiten mit anderen, ähnlichen Gerüchen fallen dabei unter den Tisch.
Ganz anders reagieren die Sprecher des Jahai, die als Jäger und Sammler auf der Malaiischen Halbinsel leben. Laut den Linguisten Asifa Majid und Niclas Burenhult vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nimwegen tauchen in dieser Sprache rund ein Dutzend abstrakte Geruchsbegriffe auf, mit denen sich Gemeinsamkeiten zwischen den Düften unterschiedlicher Dinge benennen lassen.
Was haben Gerüche gemeinsam?
Der Ausdruck "Cŋɛs" passt beispielsweise auf den Duft, der von Benzin, Rauch, Fledermausexkrementen und -höhlen, bestimmten Tausendfüßerarten, wilden Ingwerwurzeln und einigen anderen Dingen ausgeht.
Wie die beiden Forscher herausfanden, wissen die Jahai-Sprecher mit diesem Vokabular auch sehr gut umzugehen: In einer aktuellen Studie baten die Forscher Jahai- und englischsprechende Versuchspersonen, diverse Düfte zu beschreiben. Während die Jahai-Sprecher aus ihren abstrakten Begriffen wählten und übereinstimmende Aussagen trafen, blieben die Englischsprecher eine präzise Antwort schuldig: Sie produzierten im Schnitt fünfmal so lange, individuelle Beschreibungen, die sich oft aus dem Gegenstand selbst speisten – eben wie bei "zitronig" für Zitronenduft.
Ähnlich wäre es, als könnten wir nicht oder kaum die Gemeinsamkeit zwischen der grünen Farbe eines Laubfroschs und eines Baums benennen, und würden Ersteren als "froschig" und Letzteren als "baumfarben" bezeichnen. Das ist jedoch in aller Regel nicht der Fall: Was Farben angeht, verfügen viele Sprachen über ein umfangreiches – und vor allem abstraktes – Begriffsinventar. Hinsichtlich der Duftbeschreibung verhalten sie sich jedoch eher so wie Englisch oder Deutsch.
Alles eine Frage der Kultur, sagen Forscher
Der Grund dafür sei im Gehirn zu suchen, lautet eine gängige Erklärung: Anders als bei Farben könne unser Denkorgan auf Geruchsinformationen nicht gut genug zugreifen. Doch dem widersprechen die beiden Linguisten. Sofern Muttersprachlern ein ausreichendes Vokabular zur Verfügung stehe, könnten sie es auch anwenden. Der Unterschied in der Behandlung der Sinneskanäle sei infolgedessen nicht biologisch, sondern kulturell bedingt.
Im Magazin "Science" spekuliert der Ethnopsychologe Douglas Medin von der Northwestern University in Evanstown daher, dass Gerüche in der Kultur der Jahai-Sprecher von großer Bedeutung sein könnten, was sich dann auf den Wortschatz ausgewirkt habe. Im dichten Regenwald ließen sich Pflanzen mitunter leichter anhand des Geruchs auseinanderhalten, und Düfte seien dank der feuchten Luft ohnehin besser wahrnehmbar.
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