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Sprachentstehung: Lippenschmatzen folgt natürlicher Sprechgeschwindigkeit

Lippenschmatzende Avatare

Eine unter Affen weit verbreitete gestische Kommunikationsform ist das "lip smacking": ein stummes, rhythmisches Öffnen des Kiefers mit geöffneten oder geschürzten Lippen. Mit diesem Schmatzen versichern die Tiere einander ihre Verbundenheit. Als Signal ist es sogar so wichtig, dass es zu den ersten Gesten zählt, die ein Jungtier beherrscht.

Könnte es nun sein, dass sich aus dieser Geste die Fähigkeit des Menschen zu sprechen entwickelt hat? Aus den einzelnen Schmatzbewegungen, so die Überlegung von Forschern wie Peter MacNeilage von der University of Texas in Austin, könnte sich die typische Silbenstruktur der menschlichen Sprache entwickelt haben: An einen mit offenem Mund artikulierten Laut – den Vokal – grenzen zwei mit stärker geschlossenem Mund produzierte Konsonanten.

Neben dieser oberflächlichen Ähnlichkeit hat unter anderem ein Wissenschaftlerteam um Asif Ghazanfar von der Princeton University noch weitere, subtilere Übereinstimmungen gefunden. So zeigten Röntgenaufnahmen, dass die Affen beim Lippenschmatzen die gleichen Muskelgruppen bewegen wie Menschen beim Sprechen, jedoch andere als beim Kauen. Auch die Geschwindigkeit, in der die Schmatzer üblicherweise vorgetragen wird, ähnelt dem menschlichen Sprechrhythmus: Beide liegen im Bereich von drei bis acht Hertz.

Auf diesen letzten Aspekt konzentrierten sich nun erneut Ghazanfar und Kollegen, darunter Christoph Kayser vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen, betrachteten aber diesmal die Ebene der Wahrnehmung. Ist die sprachrhythmustypische Schmatzgeschwindigkeit eine Konsequenz der motorischen Steuerung der Muskulatur oder spiegeln sich darin auch Aspekte der Wahrnehmung wider? Dazu präsentierten sie elf Makaken das computeranimierte Gesicht eines Artgenossen, der in natürlicher Geschwindigkeit schmatzte, und gleichzeitig das eines weiteren, der mit drei oder zehn Hertz schmatzte. Nun maßen sie, welches Gesicht die Affen wie lange betrachteten.

Ein Schmatzen aus dem Computer | "Weil wir Affen nicht bitten können, schnellere oder langsamere Varianten ihrer Mimik zu produzieren, nutzten wir computergenerierte Affenavatare", erläutern die Forscher. Hier ist eine Abfolge typischer Schmatzbewegungen dargestellt. Dass manche der Versuchstiere das virtuelle Smacking erwiderten, deuten die Forscher als Anzeichen, dass die Tiere die Darstellungen als Gesicht eines Artgenossen akzeptierten.

Es ergab sich, dass alle Versuchstiere bis auf eines den natürlichen Schmatzrhythmus mit längeren Blicken bedachten und die Darstellung teils sogar mit eigenem lip smacking erwiderten. Die Forscher um Ghazanfar deuten dies als Anzeichen dafür, dass die Makaken ausschließlich das naturalistisch getaktete – und damit sprachähnliche – Schmatzen als kommunikatives Signal auffassen.

Die Existenz dieses Drei-bis-acht-Hertz-Rhythmus ist wohl kein Zufall, meinen die Forscher. Er findet sich nämlich auch in den Hirnarealen zur Hörwahrnehmung, deren Neurone eine rhythmische Aktivität gleicher Frequenz aufweisen. Diese Oszillationen im so genannten Theta-Bereich synchronisieren sich beim Zuhören sogar mit der Sprechgeschwindigkeit des Sprechers, sofern diese nicht völlig aus dem üblichen Rahmen fällt. Steigt sie auf Werte von acht Hertz oder sinkt auf unter drei, leidet das Verständnis plötzlich erheblich.

Womöglich stellt der Theta-Rhythmus eine Art Taktung ähnlich den Vorgängen in einem Computerchip dar. Die natürliche Sprechgeschwindigkeit könnte sich eingestellt haben, um dieser Tatsache Rechnung zu tragen und ein möglichst gutes Verständnis zu ermöglichen. Dass bereits das Lippenschmatzen der Affen sich dieser optimalen Kommunikationsfrequenz bedient, liefert einen weiteren Anhaltspunkt, dass beide Ausdrucksweisen einen gemeinsamen evolutionären Ursprung haben.

Mensch und Affe kommunizieren über lip smacking

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